Liddelow et al. (2021) befragten 232 Australier unter anderem zu ihrer Einstellung gegenüber Händehygiene, ihren subjektiven Normen in Bezug auf Händehygiene und ihrer Absicht, Händehygiene zu betreiben. Die Studie fand während der ersten Welle der Corona-Pandemie statt. Hintergrund der Studie waren die Theorie des geplanten Verhaltens (Ajzen, 1985, 1991) und die (temporale) Selbstregulationstheorie (Hall & Fong, 2007). Eine Woche nach dieser Befragung erfassten die Autorinnen die tatsächliche Anwendung korrekter Händehygienetechniken in der vorausgegangenen Woche („engagement in proper hand hygiene behaviour over the previous week was assessed“). Anders, als man aufgrund dieser Angabe im Abstract vermuten möchte, erfassten sie nicht tatsächlich, ob sich die Versuchspersonen die Hände nun gründlich und richtig wuschen oder desinfizierten (etwa indem sie ihre Versuchspersonen dabei beobachteten). Sie legten den Versuchspersonen einen weiteren Fragebogen (Stevenson et al., 2009) vor, in dem diese angeben sollten, ob sie sich richtig die Hände gewaschen oder desinfiziert hätten. In der Auswertung finden die Autorinnen heraus, dass die Absicht, sich die Hände gründlich und richtig zu waschen oder zu desinfizieren, der stärkste Prädiktor für die tatsächliche Händehygiene war.
Wir fassen zusammen: Wenn ich eine Person frage, ob sie die Absicht hat, sich in der nächsten Woche die Hände gründlich und richtig zu waschen oder zu desinfizieren, dann wird sie höchstwahrscheinlich eine Woche später sagen, dass sie sich in der vorausgegangenen Woche die Hände tatsächlich gründlich und richtig gewaschen oder desinfiziert hat. Die Autorinnen folgern aus ihren Studienergebnissen, dass man die Absicht, sich die Hände zu waschen oder zu desinfizieren, steigern sollte, möglicherweise dadurch, dass man für richtige Händehygiene Werbung macht.
Ich habe mir diese Studie aufgrund ihres Titels etwas genauer angesehen, da ich mich selbst schon einmal im Rahmen meiner verhaltensanalytischen Forschung mit dem Thema Händehygiene beschäftigt habe (Bördlein, 2020). Normalerweise lese ich solche (traditionell-mentalistischen) psychologischen Fachzeitschriften nur sporadisch, wenn mich der Titel eines Artikels besonders anspricht. Der Artikel von Liddelow et al. (2021) war insofern für mich wieder eine eindringliche Erinnerung daran, warum ich die angewandte Verhaltensanalyse der typischen psychologischen Forschung so sehr vorziehe. Es geht um die gesellschaftlich relevante Fragestellung, wie man Menschen dazu bringen kann, bessere Händehygiene zu betreiben. Wir alle wissen, spätestens seit der Corona-Pandemie, wie wichtig dies ist. Die Autorinnen beziehen sich dabei auf typisch psychologisch-mentalistische Theorien, die im Grunde lediglich besagen, dass Menschen sich so verhalten, wie sie sich verhalten, weil sie das so wollen. Ich weiß, dass Vertreter der Theorie des geplanten Verhaltens oder der Selbstregulationstheorie dies als eine grobe Vereinfachung zurückweisen würden, ich kann aber nicht erkennen, inwiefern mir hier eine essenzielle Feinheit der Theorien entgangen ist. Liddelow et al. (2021) untersuchen diese wichtige Frage ausschließlich mittels Fragebögen, bei denen die Versuchspersonen Selbstauskünfte erteilen. Dies ist genau die bereits von Baumeister et al. (2007) kritisierte Praxis der Psychologie als der Wissenschaft von den Selbstauskünften und Fingerbewegungen (Fingerbewegungen beim Ausfüllen von Fragebögen oder Klicken mit der Maustaste bei Fragebögen, die über den Computer dargeboten werden). Die Autorinnen fanden heraus, dass Menschen, die sagen, dass sie die Absicht haben, gute Händehygiene zu betreiben, später von sich behaupten, sie würden tatsächlich gründliche Händehygiene betreiben. Ich will den Versuchspersonen von Liddelow et al. (2021) nicht unterstellen, dass sie explizit lügen oder absichtsvoll falsche Angaben machen, aber man muss sich doch sehr deutlich fragen, ob dieses Ergebnis wirklich relevant ist. Noch dringender muss man sich fragen, welche praktischen Auswirkungen dieses Ergebnis hat. Den Autorinnen fällt in Bezug darauf auch nur ein, dass man den Leuten noch einmal besser erklären sollte, warum sie sich die Hände gründlich reinigen sollen und dass man sie immer wieder mal daran erinnern sollte. Nun, dies konnte man auch schon vorher wissen. Genau solche Interventionen werden in der Verhaltensanalyse immer wieder evaluiert (Bowman et al., 2019; Choi et al., 2018; Deochand et al., 2019; Fournier & Berry, 2012; Hays & Romani, 2021; Luke & Alavosius, 2011), wobei tatsächlich das Verhalten beobachtet wird und die Auswahl der Interventionen systematisch vor dem Hintergrund erfolgt, dass es eben Umwelteinflüsse sind, die das Verhalten kontrollieren und dass man diese verändern muss, wenn man das Verhalten verändern will: Die Informationen über die Händehygiene, die Hinweise (Prompts) und die Konsequenzen des Verhaltens, korrekte Händehygiene zu betreiben (soziale Konsequenzen, langfristige gesundheitliche Konsequenzen, aber auch der mit der Händehygiene verbundene Verhaltensaufwand). Die verhaltensanalytisch begründeten Interventionen können detailliert nachweisen, wann, unter welchen Umständen, in welchen Situationen, bei welchen Personen usw. welche Interventionen mehr oder weniger wirksam sind.
Siehe auch die Übersichten (Gould et al., 2017; Neo et al., 2016; Seo et al., 2019) zur Wirksamkeit verschiedener Strategien zur Verbesserung der Händehygiene. Verhaltensbasierte Interventionen wie Prompts und Feedback sind am wirksamsten.
Literatur
Ajzen, I. (1985). From intentions to actions: A theory of planned behavior. In J. Kuhl & J. Beckmann (Eds.), Action Control: From Cognition to Behavior (pp. 11-39). Springer Berlin Heidelberg. https://doi.org/10.1007/978-3-642-69746-3_2
Ajzen, I. (1991, 1991/12/01/). The theory of planned behavior. Organizational Behavior and Human Decision Processes, 50(2), 179-211. https://doi.org/https://doi.org/10.1016/0749-5978(91)90020-T
Baumeister, R. F., Vohs, K. D., & Funder, D. C. (2007, Dec). Psychology as the science of self-reports and finger movements: Whatever happened to actual behavior? Perspectives on Psychological Science, 2(4), 396-403. https://doi.org/10.1111/j.1745-6916.2007.00051.x
Bördlein, C. (2020). Promoting hand sanitizer use in a University cafeteria. Behavior and Social Issues, 29(1), 255-263. https://doi.org/10.1007/s42822-020-00026-y
Bowman, L. G., Hardesty, S. L., Sigurdsson, S. O., McIvor, M., Orchowitz, P. M., Wagner, L. L., & Hagopian, L. P. (2019, September 01). Utilizing group-based contingencies to increase hand washing in a large human service setting [journal article]. Behavior Analysis in Practice, 12(3), 600-611. https://doi.org/10.1007/s40617-018-00328-z
Choi, B., Lee, K., Moon, K., & Oah, S. (2018, May 14). A comparison of prompts and feedback for promoting handwashing in university restrooms. Journal of Applied Behavior Analysis, 51(3), 667-674. https://doi.org/doi:10.1002/jaba.467
Deochand, N., Hughes, H. C., & Fuqua, R. W. (2019). Evaluating visual feedback on the handwashing behavior of students with emotional and developmental disabilities. Behavior Analysis: Research and Practice, 19(3), 232-240. https://doi.org/10.1037/bar0000154
Fournier, A. K., & Berry, T. D. (2012). Effects of response cost and socially-assisted interventions on hand-hygiene behavior of university students. Behavior and Social Issues, 21, 152-164. https://doi.org/10.5210/bsi.v21i0.3979
Gould, D. J., Moralejo, D., Drey, N., Chudleigh, J. H., & Taljaard, M. (2017, Sep 1). Interventions to improve hand hygiene compliance in patient care. Cochrane Database of Systematic Reviews, 9(9), CD005186. https://doi.org/10.1002/14651858.CD005186.pub4
Hall, P. A., & Fong, G. T. (2007, 2007/03/01). Temporal self-regulation theory: A model for individual health behavior. Health Psychology Review, 1(1), 6-52. https://doi.org/10.1080/17437190701492437
Hays, T., & Romani, P. W. (2021, 2021/03/01). Use of the Performance Diagnostic Checklist-Human Services to assess hand hygiene compliance in a hospital. Behavior Analysis in Practice, 14(1), 51-57. https://doi.org/10.1007/s40617-020-00461-8
Liddelow, C., Ferrier, A., & Mullan, B. (2021, Sep 7). Understanding the predictors of hand hygiene using aspects of the theory of planned behaviour and temporal self-regulation theory. Psychology & Health. https://doi.org/10.1080/08870446.2021.1974862
Luke, M. M., & Alavosius, M. (2011). Adherence with universal precautions after immediate, personalized performance feedback. Journal of Applied Behavior Analysis, 44(4), 967-971. https://doi.org/10.1901/jaba.2011.44-967
Neo, J. R. J., Sagha-Zadeh, R., Vielemeyer, O., & Franklin, E. (2016, Jun 1). Evidence-based practices to increase hand hygiene compliance in health care facilities: An integrated review. American Journal of Infection Control, 44(6), 691-704. https://doi.org/10.1016/j.ajic.2015.11.034
Seo, H. J., Sohng, K. Y., Chang, S. O., Chaung, S. K., Won, J. S., & Choi, M. J. (2019, Aug). Interventions to improve hand hygiene compliance in emergency departments: a systematic review. Journal of Hospital Infection, 102(4), 394-406. https://doi.org/10.1016/j.jhin.2019.03.013
Stevenson, R. J., Case, T. I., Hodgson, D., Porzig-Drummond, R., Barouei, J., & Oaten, M. J. (2009, 2009/09/01/). A scale for measuring hygiene behavior: Development, reliability and validity. American Journal of Infection Control, 37(7), 557-564. https://doi.org/10.1016/j.ajic.2009.01.003