Monatsarchiv: Oktober 2014

Hunde ziehen Futter dem Gestreichelt-Werden vor – Fast immer

Manchmal ist Gestreichelt-Werden doch besser als Futter: Wenn der Hund satt ist und verunsichert.

Feuerbacher und Wynne (ich berichtete hier) gingen nochmals (2014) der Frage nach, ob und unter welchen Umständen Hunde das Gestreichelt-Werden dem Futter vorziehen. Sie untersuchten sowohl Hunde, die einen Besitzer hatten als auch Tierheimhunde, in vertrauten und unvertrauten Umgebungen. Die Hunde waren zum Teil eine Weile von ihren Besitzern getrennt gewesen (sozial depriviert), zum Teil hatten sie einige Zeit nichts zu essen bekommen (nahrungsdepriviert). In den verschiedenen Versuchen wurden die Hunde jeweils mit zwei Menschen konfrontiert, die auf Stühlen saßen und die Hunde entweder kraulten oder ihnen kleine Futterbissen gaben. Das Futter wurde anfangs immer bei jedem Kontakt (kontinuierlich), später nach und nach seltener (intermittierend) und zuletzt gar nicht mehr (auf Extinktion) gegeben.

Alles in allem zogen die Hunde das Futter dem Gekrault-Werden vor. Es gab einige Ausnahmen. Hunde, die mit ihrem Besitzer in einer unvertrauten Umgebung waren, zogen bisweilen das Gekrault-Werden durch den Besitzer dem Futter (das von einem Fremden gegeben wurde) vor. Dies galt besonders dann, wenn Hund und Besitzer zuvor kurz getrennt worden waren. Hunde aus Tierheimen hatten eine vergleichsweise hohe Präferenz fürs Gestreichelt-Werden. In den meisten Situationen gingen die Hunde anfangs vorzugsweise zu demjenigen Menschen, der das Futter anbot, dies kippte aber, sobald dieser Mensch immer seltener (intermittierend) Futter gab, spätestens aber, wenn er gar kein Futter mehr anbot. Hunde, die in ihrer vertrauten Umgebung nur mit fremden Menschen konfrontiert wurden, gingen jedoch selbst dann noch ausschließlich zu dem Menschen, der Futter anbot (und nicht zu dem, der sie kraulte), wenn dieser Mensch gar kein Futter mehr herausgab (der Mensch hatte aber immer noch einen Beutel mit Futter bei sich). War der Hund von Futter depriviert, überlagerte dies alle anderen Variablen: Unabhängig von der Situation und den beteiligten Personen ging der Hund dann immer zu dem Menschen mit dem Futter.

Literatur

Feuerbacher, Erica N. & Wynne, Clive D. L. (2012). Relative efficacy of human social interaction and food as reinforcers for domestic dogs and hand-reared wolves. Journal of the Experimental Analysis of Behavior, 98(1), 105-129. PDF 2,08 MB

Feuerbacher, Erica N. & Wynne, Clive D. L. (2014). Most domestic dogs (canis lupus familiaris) prefer food to petting. Population, context, and schedule effects in concurrent choice. Journal of the Experimental Analysis of Behavior, 101(3), 385-405.

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Fast-Food-Lokale aufsuchen und nicht mit Geld umgehen können

Es scheint manchmal so als ob die Menschen Geld ausgeben, als ob es kein Morgen mehr gäbe. Was in den USA schon gang und gäbe ist – das Kaufen auf Raten, statt zu sparen, bis man sich etwas leisten kann – wird auch bei uns immer üblicher. In der Folge überschulden sich die Haushalte. Man würde gerne von der Regierung etwas anderes behaupten – aber auch die macht lieber weiter Schulden, nur um das Geld weiterhin mit vollen Händen ausgeben zu können.

Diese „finanzielle Ungeduld“ hat etwas mit der Impulsivität und dem Phänomen der Verstärkerabwertung zu tun (vgl. meinen ausführlichen Artikel dazu): Verstärker, auf die man lange warten muss, werden weniger wert. Vor die Wahl gestellt, jetzt 90 Euro oder in zehn Jahren 100 Euro zu bekommen, wird wohl fast jeder lieber jetzt die 90 Euro nehmen. Wenn man aber den Unterschied zwischen den Beträgen und die Zeitspanne variiert, ergeben sich Unterschiede zwischen den Menschen: Das Ausmaß der Verstärkerabwertung ist nicht immer gleich. Drogenabhängige werten Verstärker, die sie erst in der Zukunft erhalten, stärker ab als Menschen, die keine Drogen nehmen (vgl. Critchfield & Kollins, 2001). Aber auch die Situation, in der man sich befindet, hat Einfluss darauf, wie sehr man zukünftige Belohnungen abwertet und stattdessen unmittelbare Bedürfnisbefriedigung bevorzugt. So hatten die Menschen im Polen der Nach-Wendezeit – als die Inflation hoch war – eine stärker ausgeprägte Verstärkerabwertung. Interessanterweise galt dies nicht nur für Geld (das wäre ja banal), sondern auch für viele andere Verstärker. Als sich die Lage in Polen beruhigte, ging auch das Ausmaß der Verstärkerabwertung bei den Polen zurück (Ostaszewski et al., 1998).

DeVoe et al. (2013) entdeckten einen weiteren Zusammenhang, nämlich den zwischen der finanziellen Ungeduld, dem Ausmaß der Verstärkerabwertung und der Anwesenheit von Fast-Food-Lokalen. Sie führten mehrere Studien durch.

  1. Sie stellten für die Industrienationen fest, dass in den letzten 30 Jahren die Verbreitung von Fast-Food-Lokalen mit der Sparquote negativ korreliert: Je mehr Fast-Food-Lokale es gab, desto geringer war die Sparquote.
  2. Auf lokaler Ebene zeigte sich, dass die Haushalte in denjenigen Stadtteilen, in denen es im Verhältnis zu normalen Restaurants die meisten Fast-Food-Lokale gibt, die geringste Sparquote hatten: Je höher der relative Anteil an Fast-Food-Lokalen in einem Viertel, desto weniger Geld legten die Bewohner im Schnitt auf die hohe Kante.
  3. Dies zeigte sich auch, wenn man die Verstärkerabwertung bei Geld untersuchte: Je höher der Anteil der Fast-Food-Lokale in der Wohngegend der Versuchsperson, desto höher ihre Verstärkerabwertung.
  4. DeVoe et al. (2013) baten ihre Versuchspersonen in einer weiteren Studie, sich an ihren letzten Besuch in einem Fast-Food-Lokal zu erinnern, anschließend sollten sie eine Aufgabe zur Verstärkerabwertung bearbeiten. Die gemessene Verstärkerabwertung war hier höher als wenn sich die Versuchsperson zuvor an ihren letzten Besuch in einem Restaurant erinnern sollte.
  5. Zuletzt baten die Autoren Passanten in einer Straße, Fragen zur Verstärkerabwertung zu beantworten. Standen die Passanten vor einem Fast-Food-Lokal, war ihre Verstärkerabwertung größer als wenn sie vor einem richtigen Restaurant standen.

Der letzte Befund deckt sich mit früheren Erkenntnissen, dass die Menschen ungeduldiger sind, wenn sie das Markenzeichen eines Fast-Food-Lokals sehen (Oishi & Graham, 2010). Menschen, die vor sich das Bild einer Bibliothek sehen, sprechen dagegen automatisch leiser (Aarts & Dijksterhuis, 2003). Hinweisreize wie diese zeigen an, welches Verhalten erwünscht ist. Wenn ich in einer Bibliothek bin, wird Leise-Sprechen gutgeheißen und lautes Sprechen bestraft (missbilligt). Wenn ich in einem Fast-Food-Lokal bin, wird langsames Kalkulieren, wie viel Geld ich für mein Essen ausgeben will, bestraft. Die Person hinterm Schalter und die Menschen in der Schlange hinter mir missbilligen es. Schnelles Entscheiden dagegen wird gutgeheißen. So könnte die Anwesenheit von Fast-Food-Lokalen allgemein ein Hinweisreiz sein, sich schneller und impulsiver zu verhalten.

Für die Befunde in den ersten Studien – über den Zusammenhang von Sparquoten und dem Anteil von Fast-Food-Lokalen – bieten sich andere Erklärungen an. Eine Moderatorvariable könnte der sozioökonomische Status in einer Gegend sein: Wo die Leute weniger Geld haben, gibt es weniger schicke Restaurants und mehr Fast-Food-Lokale. Auch der erste Befund, dass die Zahl der Fast-Food-Lokale im gleichen Ausmaß wuchs wie die finanzielle Ungeduld und die Abneigung gegen das Sparen, bedeutet nicht notwendigerweise, dass es da einen direkten Zusammenhang gibt.

Literatur

Aarts, H. & Dijksterhuis, A. (2003). The silence of the library: Environment, situational norm, and social behavior. Journal of Personality and Social Psychology, 84, 18-28. Doi:10.1037/0022-3514.84.1.18

Critchfield, Thomas S. & Kollins, Scott H. (2001). Temporal discounting. Basic Research and the analysis of socially important behavior. Journal of Applied Behavior Analysis, 34, 101-122. PDF, 184 KB

DeVoe, Sanford E.; House, Julian & Zhong, Chen-Bo. (2013). Fast food and financial impatience. A socioecological approach. Journal of Personality and Social Psychology, 105(3), 476-494.

Oishi, S. & Graham, J. (2010). Social ecology: Lost and found in psychological science. Perspectives on Psychological Science, 5, 356-377. doi:10.1177/1745691610374588

Ostaszewski, P.; Green, L. & Myerson, J. (1998). Effects of inflation on the subjective value of delayed and probabilistic rewards. Psychonomic Bulletin and Reviews, 5, 324-333.

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Alkoholabhängige für die Teilnahme an beruflichen Trainingsmaßnahmen bezahlen

Armut macht krank. Einer der bedeutendsten Risikofaktoren für viele Krankheiten ist ein niedriger sozioökonomischer Status, bedeutender sogar als das Rauchen (Muenning et al., 2010). Der Umstand, keinen Highschool-Abschluss zu haben ist in den USA mit einer höheren Sterblichkeit assoziiert (dem dritthöchsten Verlust an Lebensjahren, noch vor der Fettleibigkeit). Es ist also sinnvoll, Menschen, die u. a. aufgrund ihres fehlenden Bildungsabschlusses arm sind, durch Bildungsmaßnahmen helfen zu wollen. Oft werden diese Personen jedoch nur in kurzzeitige Maßnahmen geschickt, z. B. Bewerbungstrainings, die allein nicht wirksam sind (hierzulande wie in den USA). Aufwändigere Interventionen sind wirksam, doch nehmen viele nicht regelmäßig genug an diesen Maßnahmen teil. Kommen noch Drogen- oder Alkoholprobleme hinzu, steigt das Risiko, dass die Maßnahme nicht erfolgreich abgeschlossen wird. In Kontingenzenmanagement-Programmen erhalten die Teilnehmer einen – ggf. monetären – Anreiz, ein bestimmtes Verhalten zu zeigen, z. B. die regelmäßige Teilnahme an Maßnahmen oder aber die Abstinenz von Alkohol und Drogen. Solche Programme wurden darüber hinaus auch schon erfolgreich zur Förderung der regelmäßigen Medikamenteneinnahme, als Hilfe zur Gewichtsreduktion und für die Verbesserung der Zahnpflege eingesetzt. Der Einsatz in berufsbezogenen Trainingsmaßnahmen wurde ebenfalls bereits erprobt (Silverman et al., 1996).

Koffarnus et al. (2011) setzten ein Kontingenzenmanagement-Programm ein, um die Alkoholabstinenz bei obdachlosen, alkoholkranken Erwachsenen zu fördern, die an einer beruflichen Trainingsmaßnahme teilnahmen. Die Untersuchung zeigte auch, wie sich die Teilnahme an der Maßnahme fördern ließ (Koffarnus et al, 2013). Die Teilnehmer der Maßnahme wurden per Zufall einer von drei Gruppen zugewiesen.

  1. Eine Gruppe (N=39) erhielt keine geplante Verstärkung für die Teilnahme an der Maßnahme.
  2. Die zweite Gruppe (N=42) erhielt sowohl für jeden Tag an dem sie an der Maßnahme teilnahmen, als auch für ihre Produktivität in dieser Maßnahme Gutscheine.
  3. Für die dritte Gruppe (N=43) galt die gleiche Regelung, jedoch durften die Teilnehmer nur dann zur Arbeit antreten, wenn sie durch eine Atemprobe nachgewiesen hatten, dass sie nüchtern waren (auch die Teilnehmer der anderen Gruppen mussten eine Atemprobe abgeben, jedoch durften sie unabhängig vom Ergebnis teilnehmen).

Alle Teilnehmer sollten an jedem Werktag für vier Stunden am Trainingsarbeitsplatz erscheinen. Die ganze Intervention dauerte 26 Wochen. Die Teilnehmer der Gruppen 2 und 3 konnten den Wert ihrer Gutscheine jederzeit am Computer einsehen. Sie erhielten zunächst pro Stunden einen Gutschein im Wert von $ 1, dieser Betrag wurde täglich in Schritten von 10 Cent auf maximal $ 5 gesteigert. Wenn der Teilnehmer eine Schicht ausfallen ließ (oder, in der dritten Gruppe, wegen Alkohol ausfallen lassen musste), wurde der Lohn auf $ 1 zurückgesetzt und die Steigerung begann von vorne. Durch regelmäßiges Erscheinen konnten sich die Teilnehmer zudem eine Art Gleitzeitkonto füllen, sodass sie gelegentlich später kommen oder eine Schicht ausfallen lassen konnten. Der leistungsabhängige Anteil der Bezahlung ergab sich aus der Bewältigung von bestimmten Arbeits- und Trainingseinheiten. Auch so konnten mehrere Dollar am Tag verdient werden. Sozialleistungen, die die Teilnehmer erhielten, waren von dem Kontingenzenmanagement-Programm unberührt.

Die Teilnehmer der ersten Gruppe (keine Verstärkung) bewältigten im Schnitt im Lauf der Intervention 10,5 Trainingseinheiten und nahmen 36 Stunden lang an der Maßnahme teil. Die Teilnehmer der zweiten Gruppe (Verstärkung für Teilnahme und Leistung) bewältigten im Schnitt 88 Einheiten in 148 Stunden. In der dritten Gruppe wurden im Schnitt 91 Einheiten in 106 Stunden bearbeitet. Der Unterschied zwischen der Gruppe 1 und den anderen Gruppen war signifikant, zwischen der Gruppe 2 und der Gruppe 3 war der Unterschied nicht signifikant. Wohl aber gab es in Teilaspekten Unterschiede zwischen den Gruppen 2 und 3. Die Gruppe 3 war z. B. signifikant besser in Test der Schreibgeschwindigkeit (das Beherrschen der Computertastatur war der Hauptbestandteil der Maßnahme), machte weniger Fehler und war – erwartungsgemäß – signifikant häufiger abstinent als die Gruppe 2. Da die Teilnehmer der Gruppe 3 bei Alkohol nicht teilnehmen konnten, lag ihre durchschnittliche Teilnahmezeit unter der von Gruppe 2, jedoch bewältigten sie in kürzerer Zeit mehr Lerneinheiten.

Leider erlaubt die Studie keine Aussage darüber, ob die Teilnehmer wieder eine Arbeit finden konnten. Sie zeigt aber, dass man die Teilnahme an und das Engagement in solchen Maßnahmen durch ein Kontingenzenmanagementprogramm deutlich steigern kann.

Literatur

Koffarnus, M. N.; Wong, C. J.; Diemer, K.; Needham, M.; Hampton, J.; Fingerhood, M.; … Silverman, K. (2011). A randomized clinical trial of a therapeutic workplace for chronically unemployed, homeless, alcohol-dependent adults. Alcohol and Alcoholism, 46, 561-569. doi: 10.1093/alcalc/agr057

Koffarnus, Mikhail N.; Wong, Conrad J.; Fingerhood, Michael; Svikis, Dace S.; Bigelow, George E. & Silverman, Kenneth. (2013). Monetary incentives to reinforce engagement and achievement in a job-skills training program for homeless, unemployed adults. Journal of Applied Behavior Analysis, 46(3), 582-591. doi: 10.1002/jaba.60

Muennig, P.; Fiscella, K.; Tancredi, D. & Franks, P. (2010). The relative health burden of selected social and behavioral risk factors in the United States: Implications for policy. American Journal of Public Health, 100, 1758-1764. doi: 10.2105/AJPH.2009.165019

Silverman, K.; Chutuape, M. D.; Bigelow, G. E. & Stitzer, M. L. (1996). Voucher-based reinforcement of attendance by unemployed methadone patients in a job skills training program. Drug and Alcohol Dependence, 41, 197-207. doi: 10.1016/0376-8716(96)01252-5

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