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Imitation und Sprachentwicklung

Kinder lernen ihre Muttersprache, indem sie die Sprache der Erwachsenen imitieren. Dies lässt sich sogar experimentell nachweisen.

In der Literatur zur Sprachentwicklung wird immer wieder betont, dass Kinder ihre Muttersprache ohne expliziten Unterricht und scheinbar ohne den Einsatz von Verstärkungstechniken durch ihre Erziehungspersonen erlernen. Dabei bezieht man sich in der Regel auf die Studie von Brown und Hanlon (1970). Jedoch konnte Moerk (1983) bei einer Reanalyse der Daten von Brown und Hanlon zeigen, dass diese Forscher viele subtile Verstärkungskontingenzen in der Interaktion zwischen den Kindern und ihren Eltern nicht bemerkten.

Die Sprachentwicklung wird aber nicht nur durch die direkte Verstärkung beeinflusst. Zusätzlich wirkt auch eine automatische Verstärkung. Wenn ein – bereits in der Sprache ansatzweise kompetenter – Sprecher feststellen kann, dass seine Art und Weise zu sprechen mit derjenigen der Sprachgemeinschaft übereinstimmt, wird sein sprachliches Verhalten positiv verstärkt, ohne dass dies explizit von der Sprachgemeinschaft veranlasst worden ist.

Wright (2006) konnte bei sechs Kindern im Alter von 3,5 bis 5,5 Jahren den Gebrauch des Passivs modellieren, ohne dass dies explizit verstärkt worden wäre. Ostvik et al. (2012) wiederholten das Experiment von Wright (2006) mit sechs normal entwickelten norwegischen Vorschulkindern im Alter von drei bis sechs Jahren. Die Kinder benutzten das Passiv, nachdem es von erwachsenen Modellen verwendet worden war. Zuvor hatten die Kinder kein Passiv verwendet. Bei dreien dieser Kinder war die Veränderung so stark, dass nicht einmal das explizite differentielle Verstärken von Aktivkonstruktionen im Sprachgebrauch (mittels Lob und Klebebildchen) die Häufigkeit von Passivkonstruktionen verringern konnte. Die Autoren erklären die Ergebnisse so, dass das Verhalten der Kinder automatisch verstärkt wurde, wenn sie eine Übereinstimmung mit dem sprachlichen Verhalten der Erwachsenen erzielten. Wenn Erwachsene das Passiv verwendeten, führte dies dazu, dass das Verhalten der Kinder, das Passiv zu verwenden, automatisch verstärkt wurde. Die Kinder hörten sich gewissermaßen selbst so sprechen, wie die Erwachsenen sprachen und dies war verstärkend genug. Grammatische Strukturen in der Muttersprache werden vom Kind anscheinend ohne explizite Verstärkung erworben, allein durch die automatische Verstärkung, die eintritt, wenn sich das Kind sprachlich in Übereinstimmung mit der von der Erwachsenen gesprochenen Muttersprache befindet.

Literatur

Brown, R. & Hanlon, C. (1970). Derivational complexity and order of acquisition in child speech. In J. R. Hayes (Ed.), Cognition and the development of language (pp. 11-53). New York: Wiley.

Moerk, E. L. (1983). A behavior analysis of controversial topics in first language acquisition: Reinforcement, corrections, modeling, input frequencies, and the three-term contingency. Journal of Psycholinguistic Research, 12, 129-155.

Ostvik, Leni; Eikeseth, Svein & Klintwall, Lars. (2012). Grammatical constructions in typical developing children: Effects of explicit reinforcement, automatic reinforcement and parity. The Analysis of Verbal Behavior, 28, 73-82. PDF 315 KB

Wright, Anhvinh N. (2006). The role of modeling and automatic reinforcement in the construction of the passive voice. The Analysis of Verbal Behavior, 22, 153-169. PDF 2,42 MB

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Nachahmung zeigt Wirkung

Mütter ahmen die Lautäußerungen ihrer Kinder nach und verstärken diese damit.

Skinners "Verbal Behavior" ist die Grundlage verhaltensanalytischer SprachforschungAus Langzeitstudien ist bekannt, dass Kinder in der Sprachentwicklung desto besser vorankommen, je häufiger in der frühen Entwicklung mit ihnen gesprochen wurde (Hart & Risley, 1995, 1999). Mütter und Väter imitieren oft und ohne dass sie dazu angeleitet werden müssen die Lautäußerungen ihrer Kinder (Field, 1977; Masur, 1987; Masur & Olson, 2008; Papousek, 1992, Pawlby, 1977). Warum sie das tun – was das beim Kind bewirkt – wurde bislang noch kaum untersucht. Andererseits ist bekannt, dass die Zahl der Lautäußerungen von Kindern durch kontingente soziale Verstärkung erhöht werden kann (Rheingold et al., 1959; Weisberg, 1963).

Pelaez et al. (2011) untersuchten, ob Imitationen der Lautäußerungen des Kindes durch die Mutter auf diese Lautäußerungen als Verstärker wirken. Das heißt: Macht das Kind häufiger bestimmte Lautäußerungen, wenn diese kontingent (systematisch) von der Mutter nachgeahmt werden? Um diese Vermutung zu prüfen, muss man die evtl. verstärkende Wirkung der Imitationen von einer bloßen anregenden Wirkung differenzieren. Man muss also feststellen können, ob es nicht vielleicht nur die Anwesenheit der Mutter ist, die das Kind zu Lautäußerungen ermutigt. In diesem Fall würde das Kind in Anwesenheit der Mutter gleich viele Lautäußerungen machen, gleichgültig ob die Mutter diese imitiert oder nicht. Andererseits sollte man die Imitation nicht mit einer Situation vergleichen, in der die Mutter lediglich neben dem Kind sitzt. Dieser Vergleich mit einer Extinktionsbedingung kann das Ergebnis verzerren, da eine nicht-reagierende Mutter beim Kind zu starken emotionalen Reaktionen führen kann.

Pelaez et al. (2011) verglichen daher in einem BAB-Untersuchungsdesign die Wirkung der Imitation der Lautäußerungen des Kindes mit einer Situation, in der die Mutter auch agierte, jedoch nicht in Reaktion, kontingent auf die Lautäußerungen des Kindes:

  • B – In dieser Phase des Experiments ahmte die Mutter die jeweils letzte Lautäußerung des Kindes nach.
  • A – Die Mutter reagiert hier nicht unmittelbar auf die Lautäußerungen des Kindes, sie machte aber selbst mit der gleichen Häufigkeit wie in der B-Phase die gleichen Lautäußerungen. Sie tat dies immer dann, wenn das Kind etwas anderes tat als Lautäußerungen zu machen. Man nennt dieses Verfahren „differentielle Verstärkung anderen Verhaltens“ (oder DRO für differential reinforcement of other behavior).
  • B – Hier ahmte die Mutter wieder die Lautäußerungen des Kindes kontingent nach.

Jede dieser Phasen dauerte drei Minuten, dazwischen war jeweils eine Minute Pause.

An der Studie nahmen zunächst 17 Kinder mit ihren Müttern teil. Es handelte sich um frühgeborene Kinder, die eine Kinderklinik aufsuchten, weil bei ihnen ein erhöhtes Risiko für eine Sprachentwicklungsverzögerung bestand. Die Mütter wurden im Warteraum angesprochen und um die Teilnahme an einem Versuch zur Sprachentwicklung beim Kind gebeten. Anschließend wurden die Mütter in der kontingenten Imitation der Lautäußerungen ihrer Kinder und in der differentiellen Verstärkung anderen Verhaltens geschult. Sechs Mütter konnten das Trainingsprotokoll nicht umsetzen und schieden daher mit ihren Kindern aus der Studie aus. Bei den verbleibenden elf Kindern handelte es sich um fünf Jungen und sechs Mädchen im Alter von drei bis acht Monaten (Durchschnitt 6,1 Monate).

Das Experiment wurde auf Video aufgezeichnet und von zwei geschulten Beobachtern gleichzeitig ausgewertet. Gezählt wurde die Anzahl der Lautäußerungen pro Minute. Als eine Lautäußerung galt ein Vokal (z. B. „Iih“), eine Kombination von Konsonant und Vokal („Da“, „Ma“ usw.) oder aber eine Aneinanderreihung von solchen Kombinationen („Dadaba“).

Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass die mütterliche Imitation kindlicher Lautäußerungen als Verstärker für diese wirkt. Bei zehn der elf Kinder zeigten sich abhängig von der Phase des Versuchs deutliche Unterschiede in der Häufigkeit der Lautäußerungen. Im Schnitt machen die Kinder

  • in der ersten B-Phase 21,5,
  • in der A-Phase 11,5 und
  • in der zweiten B-Phase 29,5 Lautäußerungen je Minute.

Der Anstieg in der zweiten B-Phase spricht für einen überdauernden Lerneffekt.

Mit dieser Studie konnte allerdings nicht aufgezeigt werden, ob die Steigerung der Lautäußerungen des Kindes zu einer Veränderung der Topografie der Lautäußerungen führte. Man sollte annehmen, dass eine Verstärkung bestimmter Lautäußerungen (wie z. B. „Ma“) durch mütterliche Imitation dazu führt, dass speziell dieser Laut („Ma“) häufiger geäußert wird. Prinzipiell ist diese differentielle Verstärkung von kindlichen Lautäußerungen nachgewiesen (Routh, 1969), jedoch nicht für den Fall der Verstärkung durch Imitation. Eine solche differentielle Verstärkung bestimmter Lautäußerungen führt dazu, dass sich die Vokalisationen des Kindes der Sprache seiner Eltern annähern. Zum Beispiel wird eine Mutter in Deutschland auf die Lautfolge „Ma“ anders reagieren als etwa auf die Lautfolge „Xa“. Wenn das Kind häufiger „Ma“ sagt, wird es früher oder später auch „Mama“ sagen, was wiederum von der Mutter auf vielfältige Weise verstärkt werden wird. Nach und nach sagt dann das Kind immer häufiger „Mama“, woraufhin die Bezugspersonen dazu übergehen werden, nur noch dann begeistert zu reagieren, wenn dies in Gegenwart der Mutter geschieht. Diesen Vorgang nennt man „Stimuluskontrolle“: Ein Verhalten („Mama“ sagen) wird nur in bestimmten Situationen (in Anwesenheit der Mutter) verstärkt, nicht aber in anderen Situationen (wenn der Vater oder der Onkel sich über das Kinderbettchen beugen).

Den besten Rat, den die Verhaltensanalyse den Eltern kleiner Kinder geben kann, lautet (Gewirtz & Pelaez-Nogueras, 1992): Sprecht und interagiert viel mit euren Kindern! Zahlreiche Studien haben den Zusammenhang zwischen sprachlicher Stimulation durch die Eltern in den ersten Lebensjahren und der späteren sprachlichen und intellektuellen Entwicklung des Kindes belegt (Kaplan et al., 2007; Newman et al., 2006; Tamis-LeMonda et al., 2001; Thiessen et al., 2005).

Literatur

Field, Tiffany M. (1977). Maternal stimulation during infant feeding. Developmental Psychology, 13(5), 539-540.

Gewirtz, Jacob L. & Pelaez-Nogueras, Martha. (1992). B. F. Skinner’s legacy in human infant behavior and development. American Psychologist, 47(11), 1411-1422.

Hart, B. & Risley, T. R. (1995). Meaningful differences in the everyday experiences of young American children. Baltimore: Brookes.

Hart, B. & Risley, T. R. (1999). The social world of children learning to talk. Baltimore: Brookes.

Kaplan, Peter S.; Sliter, Jessica K. & Burgess, Aaron P. (2007). Infant-directed speech produced by fathers with symptoms of depression: Effects on infant associative learning in a conditioned-attention paradigm. Infant Behavior & Development, 30(4), 535-545.

Masur, Elsie Frank. (1987). Imitative interchanges in a social context: Mother-infant matching behavior at the beginning of the second year. Merrill-Palmer Quarterly, 33(4), 453-472.

Masur, Elise Frank & Olson, Janet. (2008). Mothers’ and infants’ responses to their partners’ spontaneous action and vocal / verbal imitation. Infant Behavior & Development, 31(4), 704-715.

Newman, Rochelle; Ratner, Nan Bernstein; Jusczyk, Ann Marie; Jusczyk, Peter W. & Dow, Kathy Ayala. (2006). Infants’ early ability to segment the conversational speech signal predicts later language development: a retrospective analysis. Developmental Psychology, 42(4), 643-655.

Papousek, M. (1992). Early ontogeny of vocal communication in parent-infant interactions. In H. Papousek, U. Jurgens & M. Papousek (Eds.), Nonverbal vocal communication: Comparative and developmental approaches (pp. 230-261). New York: Cambridge University Press.

Pawlby, S. J. (1977). Imitative interaction. In H. R. Schaeffer (Ed.), Studies in mother-infant interaction (pp. 203-224). London: Academic Press.

Pelaez, Martha; Virues-Ortega, Javier & Gewirtz, Jacob L. (2011). Reinforcement of vocalizations through contingent vocal imitation. Journal of Applied Behavior Analysis, 44(1), 33-40. PDF 243 KB

Rheingold, H.; Gewirtz, J. L. & Ross, H. W. (1959). Social conditioning of vocalizations in the infant. Journal of Comparative and Physiological Psychology, 52, 68-73.

Routh, Donald K. (1969). Conditioning of vocal response differentiation in infants. Developmental Psychology, 1(3), 219-226.

Tamis-LeMonda, Catherine S.; Bornstein, Marc H. & Baumwell, Lisa. (2001). Maternal responsiveness and children’s achievement of language milestones. Child Development, 72(3), 748-767.

Thiessen, Erik D.; Hill, Emily A. & Saffran, Jenny R. (2005). Infant-directed speech facilitates word segmentation. Infancy, 7(1), 53-71.

Weisberg, Paul. (1963). Social and nonsocial conditioning of infant vocalizations. Child Development, 34(2), 377-338.

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