Die kognitiven Neurowissenschaften gehören zu den boomenden Teilen der Psychologie. Die Zeitschrift „Geist und Gehirn“ aus dem Verlag, der auch „Spektrum der Wissenschaft“ veröffentlicht, widmet sich diesem Thema und ist nur ein Beispiel dafür, welche Aufmerksamkeit diese Forschungen auch in der breiteren Öffentlichkeit genießen. Den Wissenschaftlern scheint hier endlich der Blick in die „Black Box“ zu gelingen, die Psychologie scheint vom Spekulativem zum Exakten voranzuschreiten.
Doch bei genauerer Betrachtung hat sich die kognitive Neurowissenschaft nicht wesentlich von den älteren kognitiven Wissenschaften weg entwickelt. Schon B.F. Skinner (Skinner, 1938, 1953, 1984, 1990) befürchtete, dass die Zuschreibung von unbeobachteten kognitiven Mechanismen zu gewissen Vorgängen im Gehirn zu nichts anderem als eine „konzeptuellen Nervensystem“ führen wird.
Obschon die Technologie, derer sich die kognitiven Neurowissenschaften bedient, eindrucksvoll ist, gleicht ihr Vorgehen Steven Faux (2002) zufolge der Jagd nach Geistern mittels Geigerzähler. Die kognitiven Wissenschaften bedienten sich früher solcher Messwerte wie der Reaktionszeit als abhängige Variable. Die kognitiven Neurowissenschaften bedienen sich der Gehirn-darstellenden Techniken wie der PET (Positron-Emissions-Tomographie). Diese Techniken sind das Ergebnis von Fortschritten in anderen Wissenschaften (Atomphysik, Computertechnik). Die Messwerte, die man mit ihnen erhebt, werden oft in eindrucksvollen farbigen Graphiken und Karten – ähnlich der Wetterkarte – in den diversen Fachzeitschriften dargestellt. Diese Daten scheinen die Leser etwas näher an die Black Box heranzuführen.
Eine häufig verwendete Technik ist die eben erwähnte Positronen-Emissions-Tomographie (PET). Die PET-Technik stellt gewissermaßen einen computerisierten Geigerzähler dar, der die Verteilung von zuvor eingeatmetem oder injiziertem radioaktivem Sauerstoff und Kohlenstoff im Gewebe darstellt. In den kognitiven Neurowissenschaften wird die mit dem PET gemessene Gehirnaktivität (die radioaktiven Isotope sind an den Stellen des Gehirns am häufigsten anzutreffen, die am meisten „Brennstoff“ verbrauchen) oft in Abhängigkeit von einer bestimmten Tätigkeit, die der Teilnehmer der Studie ausübt, gemessen. Zum Beispiel könnte der Teilnehmer während der Messung eine Liste mit konkreten Hauptwörtern vorlesen oder er soll einen Knopf drücken, wenn er einen bestimmten Ton hört. Die Werte mehrerer Versuche mit einem Teilnehmer werden übereinandergelegt und dann aus den Ergebnissen mehrerer Teilnehmer ein Durchschnitt errechnet.
Eine typische und häufig zitierte Studie stammt von Mellet, Tzourio, Denis und Mazoyer (1995). Die Teilnehmer lagen hier unter dem PET und beobachteten eine Landkarte mit bestimmten Merkmalen. Zuvor war der PET-Basiswert ermittelt worden, indem die Werte gemessen wurden, während die Teilnehmer entspannt mit geschlossenen Augen da lagen. In einer weiteren Bedingung sollten die Teilnehmer sich mit geschlossenen Augen den zuvor auf der Landkarte „gegangenen“ Weg vorstellen. Die für das mentale Vorstellen zuständigen Hirnregionen wurden sodann dadurch identifiziert, dass die Basiswerte von den Werten während der Bedingung, in der die Teilnehmer sich den Weg vorstellen sollten, abgezogen wurden. Hierbei fanden sich bestimmte Regionen im Gehirn (so der obere occipitale Cortex), die relativ konsistent über alle Teilnehmer erregt zu sein schienen, wohingegen andere Regionen auffällig deaktiviert waren. Warum sie das waren, wird von Mellet et al. (1995) jedoch nicht erklärt, ebenso wie in den meisten anderen Studien nicht erklärt wird, warum bestimmte Regionen erregt und andere eher deaktiviert sind.
In dieser Studie, wie auch vielen anderen, die diese Technik verwenden, ist vor allem die große Variationsbreite über die verschiedenen Teilnehmer auffallend. Auch die Daten eines einzelnen Teilnehmers, über den Mellet et al. (1995) detaillierter berichten, variieren stark. Die wenigsten Studien aus diesem Bereich enthalten Berichte über einzelne Teilnehmer. Zudem fällt bei den Graphiken auf, dass Differenzwerte, die tatsächlich sehr gering waren, in den Abbildungen knallrot dargestellt wurden – auffälligen Farbunterschieden liegen nicht notwendigerweise ebenso gravierende Messwertunterschiede zugrunde. Zudem, wenn man die Daten genauer betrachtet, wird klar, dass diese Unterschiede nur im Durchschnitt gelten. Würde man die Werte für jeden Teilnehmer einzeln graphisch darstellen, bei jedem wäre eine andere Region knallrot eingefärbt. Trotz dieser erstaunlichen interindividuellen Variationsbreite schließen die Autoren sehr sicher, dass „mentales Vorstellen“ mit einer Erregung des oberen occipitalen Cortex einhergehe. Mellet et al. (1995) folgern weiter, dass die gespeicherten visuellen Repräsentationen hier ihren Sitz hätten.
Diese Variationsbreite ist typisch für die Experimente in den kognitiven Neurowissenschaften. Selten findet man eine Replikation von einer Gruppe zur nächsten, recht selten sind Replikationen bei einem Individuum und extrem selten ist die Replikation der Ergebnisse von einem Individuum bei einem anderen (Cabeza & Nyberg, 1997, 2000). Besonders bezeichnend sind die Unterschiede in den Ergebnissen von Studien, die dieselbe Aufgabe beinhalteten. So war bei fünf Studien, die alle den sogenannten Stroop-Test (die Versuchsperson muss die Farben benennen, in der bestimmte Farbwörter – blau grün etc. – geschrieben sind; die Farbwörter sind nicht in „ihrer“ Farbe gedruckt, d. h. z. B. „blau“ ist nicht blau geschrieben) verwendeten, um so die „Aufmerksamkeit“ zu erfassen, keine einzige Gehirnregion bei allen fünf Studien aktiviert.
Eines der Hauptprobleme der kognitiven Neurowissenschaften liegt in der Übernahme ungeprüfter mentalistischer Konzepte (wie „mentales Vorstellen“). Die kognitiven Neurowissenschaften setzen voraus, dass die „kognitiven Atome“ bereits entdeckt wurden. Aber es scheint in diesen PET-Experimenten unmöglich zu sein, eine Experimentalbedingung zu schaffen, die von der Kontrollbedingung durch nur eine Aktion des Gehirns unterschieden ist. Die kognitiven Neurowissenschaftler setzen aber voraus, dass es so eine Art Periodensystem der kognitiven Elemente gibt. Das Problem ist, dass man jeden der von den Kognitionswissenschaftlern angenommenen basalen Prozesse ohne weiteres in weitere Subprozesse aufspalten kann (wobei man sich fragen muss, welcher Sinn darin zu sehen ist, ein vages Konstrukt durch drei andere vage Konstrukte zu ersetzen). Bei weitem herrscht hier keine Einigkeit.
Kognitive Neurowissenschaftler können nicht darlegen, warum unbeobachtete kognitive Konstrukte sinnvolle Bezeichnungen für bestimmte Gehirnregionen sein sollen. Uttal (2001) hat daher die kognitiven Neurowissenschaften bereits als die „Neue Phrenologie“ bezeichnet. Bestenfalls, so Faux (2002), bringen uns die PET-Messungen dazu, statt nicht mehr zu wissen, was im ganzen Gehirn vor sich geht, nicht mehr zu wissen, was in einem bestimmten Gyrus vor sich geht.
Zudem sind PET und verwandte Techniken keine direkten Messungen der Gehirnaktivität, sondern nur des Blutflusses im Gehirn. Dies ist insofern relevant, als auch hemmende Neuronen (die in der Gehirntätigkeit eine große Rolle spielen und deren Zweck darin besteht, die Aktivität anderer Neuronen zu hemmen) Sauerstoff und Nährstoffe verbrauchen.
Es ist mehr als zweifelhaft, dass die Wissenschaft dadurch voranschreitet, dass grobe physiologische Messungen vorgenommen werden, um schlecht definierte kognitive Konstrukte zu stützen.
Diese kognitiven Konstrukte werden in diesen Forschungen auch nicht getestet: Zwar werden immer wieder die Gehirn-Karten revidiert, jedoch nie diese Konstrukte wirklich auf die Probe gestellt. Sie werden einfach als gegeben vorausgesetzt.
Hinter all der kognitiven Neurowissenschaft scheint überall der berüchtigte Homunculus im Kopf, das cartesianische Theater, von dem aus alle anderen Aktivitäten gesteuert werden, hindurch. Immer wieder wird auf eine zentrale Exekutive verwiesen, einen Mechanismus, der Output produziert, ohne von Input abhängig zu sein. Diese zentrale Exekutive wird immer dann postuliert, wenn kein direkter Umwelteinfluss beobachtet werden kann. Der „Willen“ stellt somit die Restmenge jenes Verhalten dar, das nicht unter der Kontrolle des Forschers steht.
Literatur
Cabeza, R. & Nyberg, L. (1997). Imaging cognition: An empirical review of PET studies with normal subjects. Journal of Cognitive Neuroscience, 9(1), 1-26.
Cabeza, R. & Nyberg, L. (2000). Imaging cognition II: An empirical review of 275 PET and fMRI studies. Journal of Cognitive Neuroscience, 12(1), 1-47.
Faux, S. F. (2002). Cognitive neuroscience from a behavioral perspective. A critique of chasing ghosts with geiger counters. The Behavior Analyst, 25(2), 161-173.
Mellet, E.; Tzourio, N.; Denis, M. & Mazoyer, B. (1995). A positron emission tomography study of visual and mental spatial exploration. Journal of Cognitive Neuroscience, 7(4), 433-445.
Skinner, B. F. (1938). The Behavior of Organisms. New York: Appleton-Century-Crofts.
Skinner, B. F. (1953). Science and Human Behavior. Reno, NV: MacMillan.
Skinner, B. F. (1984). Methods and theories in the experimental analysis of behavior. Behavioral and Brain Sciences, 7(4), 511-546.
Skinner, B. F. (1990). Can psychology be a science of mind? American Psychologist, 45(11), 1206-1210.
Uttal, W. R. (2001). The new phrenology: The limits of localizing cognitive processes in the brain. Cambridge, Mass.: MIT Press.