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BBS bei behavior.org

Das Cambridge Center for Behavioral Studies (CCBS) veröffentlicht mehrmals im Jahr einen Newsletter. Dort finden sich immer wieder mal Beiträge zum Thema verhaltensorientierte Arbeitssicherheit (Behavior Based Safety, BBS). In der aktuellen Ausgabe (PDF 1,47 MB) finden sich zwei kurze Beiträge von Timothy Ludwig und Jerry Pounds. Das CCBS zertifiziert übrigens Firmen, die ein BBS-System haben, dass den Prinzipien von BBS gerecht wird. Leider nehmen nur wenige Firmen diesen Service in Anspruch.

Ludwig, Timothy D. (2013). The rule mill. The Current Repertoire, 29(3), 5.

Im Bereich der Arbeitssicherheit fragt man sich oft, warum Beschäftigte Regeln, die ihrem eigenen Schutz dienen, brechen. Timothy Ludwig (2013) berichtet von einem Gespräch mit den Beschäftigten eines Betriebes, der BBS verwendete. Ludwig fragte sie u. a., warum sie sich so genau an die Sicherheitsvorschriften des Betriebes hielten und bekam zur Antwort: „Warum sollten wir die Regeln brechen? – Wir haben sie selbst aufgestellt“.

Man sollte die Mitarbeiter soweit irgend möglich in den BBS-Prozess einbeziehen. Wenn die Mitarbeiter selbst die Regeln schaffen, halten sie sich auch daran.

Pounds, Jerry. (2013). Only leaders can change a culture. The Current Repertoire, 29(3), 4-9.

Jerrry Pounds (2013) erinnert daran, dass man eine andere Betriebskultur nicht herbeireden kann. Viele Initiativen zur Änderung der Kultur scheitern, weil sie nicht zwischen dem Unterscheiden, was unveränderlich ist (z. B. der Branche und der Art der Arbeit) und dem, was man verändern kann (z. B. dem Verhalten). Wenn man dem Beschäftigten eines Stahlwerks sagt, dass er seinen Kollegen daran erinnern soll, sich nicht im gefährlichen Bereich aufzuhalten, erreicht man mehr, als wenn man sich vornimmt, dass die Mitarbeiter „Verantwortung für die Sicherheit übernehmen“ sollen – ein Vorsatz, der lobenswert, aber abstrakt ist.

Den stärksten Einfluss aber auf die Kultur des Unternehmens haben die Führungskräfte. Die Werte und Prioritäten der Führungskraft beeinflussen das Verhalten der Beschäftigten schnell und zuverlässig. Pounds möchte den Führungskräften einige Ideen auf den Weg geben. Er hat diese Gedanken schon von vielen Mitarbeitern von Führungskräften gehört. Sie sagten es ihm, aber nicht ihren Vorgesetzten:

  • Die meisten Vorgesetzten verstehen nicht, welch großen Einfluss unmittelbare Konsequenzen auf das haben, was der Mitarbeiter gerade tut. Viele Führungskräfte betrachten positive Verstärkung als etwas, das notwendig ist, aber nicht entscheidend für den Geschäftserfolg.
  • Viele Vorgesetzte wissen über die Gesetze des Verhaltens Bescheid, aber sie nutzen dieses Wissen nicht.
  • Die wichtigste Situation, in der das Verhalten des Mitarbeiters durch Lob und Strafe geformt wird, ist der Dialog zwischen Vorgesetzten und Mitarbeiter.
  • Belohnungs-, Anerkennungs- und Anreizsysteme sind oft Hemmnisse für eine erfolgreiche Führung. Die Führungskraft glaubt damit, das Verhaltend der Mitarbeiter zu steuern. Viel wichtiger aber ist der unmittelbare Kontakt.

Wenn man die Art, wie eine Organisation arbeitet, verändern möchte, sollte man die Elemente der gegenwärtigen Kultur kennen, die man erhalten und die man ändern möchte.

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Eingeordnet unter BBS, OBM, Verhaltensanalyse

Brauchen wir das „Sicherheitsklima“?

Ist das Sicherheitsklima ursächlich verantwortlich für das sichere oder riskante Verhalten der Mitarbeiter (und damit die Zahl der Unfälle) oder ist es umgekehrt so, dass die Mitarbeiter eines Betriebs meinen, sie hätten ein gutes Sicherheitsklima, weil es nur wenige Unfälle gibt?

Sicheres Verhalten der Mitarbeiter bewirkt, dass die Zahl der Arbeitsunfälle in einem Betrieb niedrig ist. Je mehr Mitarbeiter sich sicher verhalten, desto weniger Unfälle gibt es. Das ist durch zahlreiche Untersuchungen vielfach belegt. Diese Erkenntnis bildet nicht zuletzt auch die Voraussetzung für die Methode der verhaltensorientierten Arbeitssicherheit (behavior based safety, BBS, vgl. auch Bördlein, 2009).

Zudem wird jedoch auch oft behauptet, das ein – über Fragebögen gemessenes – Sicherheitsklima das sichere Verhalten und damit indirekt die Zahl der Unfälle beeinflusst. In solchen Fragebögen wird erfasst, wie die Mitarbeiter die Arbeitssicherheit in ihrem Betrieb einschätzen, ob sie meinen, dass sich die Vorgesetzten für die Sicherheit einsetzen usw. Das Sicherheitsklima wird dabei als ein Teil des gesamten Betriebsklimas aufgefasst.

In verschiedenen Untersuchungen findet man immer wieder mehr oder weniger große Korrelationen zwischen dem Sicherheitsklima eines Betriebs, dem sicheren oder riskanten Verhalten der Mitarbeiter und der Zahl der Unfälle. Doch ist dieses „Sicherheitsklima“ wirklich ein kausaler Faktor? Das heißt, bewirkt die über Fragebögen erfasste Einschätzung der Mitarbeiter, dass sie sich sicher verhalten oder meinen sie, ihr Betrieb sei „irgendwie gut und sicher“, weil es wenig Unfälle gibt, was wiederum u. a. am Verhalten der Mitarbeiter liegt?

Eine Methode, um diese Frage zu klären, ist die Metaanalyse: Dabei werden alle verfügbaren Studien zu diesem Thema nach einem mathematischen Verfahren gemäß ihrer methodischen Qualität gewichtet und die Ergebnisse zusammengefasst. Beus et al. (2010) hatten bei einer solchen Metaanalyse festgestellt, dass das Sicherheitsklima kaum Einfluss auf die Zahl der Unfälle hat. Eher schon konnte mit der Zahl der Unfälle das Sicherheitsklima recht gut prognostiziert werden. Das bedeutet, dass nicht das (schlechte) Sicherheitsklima zu (vielen) Unfällen führt, sondern dass die Mitarbeiter eines Betriebes, in dem es (aus anderen Gründen) zu vielen Unfällen kommt, das Sicherheitsklima dieses Betriebes als schlecht einschätzen. Den noch stärksten Einfluss auf die Zahl der Unfälle hat das von den Mitarbeitern wahrgenommene Engagement der Vorgesetzten für die Arbeitssicherheit. Wenn die Mitarbeiter sehen, dass sich die Leitung für die Arbeitssicherheit einsetzt, dann ist die Zahl der Unfälle geringer, als wenn die Mitarbeiter meinen, dass dem Management die Sicherheit eher unwichtig ist. 

Larsson Tholén et al. (2013) beschritten einen anderen Weg. Sie untersuchten die Zusammenhänge zwischen den psychosozialen Arbeitsbedingungen, dem Sicherheitsklima und dem selbstberichteten Sicherheitsverhalten bei 289 Arbeitern, die einen Straßentunnel bauten. Die Arbeiter wurden innerhalb von 21 Monaten viermal befragt. Üblicherweise findet man bei solchen Untersuchungen mehr oder weniger große Korrelationen zwischen den einzelnen Faktoren. Jedoch lässt sich aus der Korrelation keine Kausation ableiten, d. h. nicht bestimmen, ob nun das Sicherheitsklima das Sicherheitsverhalten bewirkt oder umgekehrt. Bei dem von Larsson Tholén et al. (2013) verwendeten Untersuchungsdesign ist jedoch – mit Einschränkungen – eine Aussage zur Verursachung prinzipiell möglich. Dazu muss man sich u. a. ansehen, wie stark z. B. das Sicherheitsklima zum Zeitpunkt t1 mit dem Sicherheitsverhalten zum späteren Zeitpunkt t2 zusammenhängt. Wenn ein das Sicherheitsklima zum Zeitpunkt t1 mit dem Sicherheitsverhalten zum Zeitpunkt t2 stärker korreliert als dieses mit dem Sicherheitsklima zum Zeitpunkt t3, legt das nahe, dass es eher das Sicherheitsklima ist, dass das Sicherheitsverhalten beeinflusst als umgekehrt.

Larson Tholén et al. (2013) fanden eine Korrelation von 0,205 zwischen dem Sicherheitsklima zum Zeitpunkt t1 und dem Sicherheitsverhalten zum Zeitpunkt t2. Die Korrelation zwischen dem Sicherheitsverhalten zum Zeitpunkt t2 und dem Sicherheitsklima zum Zeitpunkt t3 betrug dagegen nur 0,107.

Heißt das, wie die Autoren folgern, dass das Sicherheitsklima das Sicherheitsverhalten ursächlich beeinflusst? Ehe man diese Schlussfolgerungen zieht, sollte man sich mal die Größenordnung der Korrelationen vor Augen führen. Eine Korrelation von 0,205 entspricht einer „aufgeklärten Varianz“ von 4 %. Das heißt, gerade mal vier Prozent der Unterschiede in den Daten zum Zeitpunkt t2 können auf die Daten zum Zeitpunkt t1 zurückgeführt werden. Eine Korrelation von 0,107 entspricht 1 % aufgeklärter Varianz. Das ist alles nicht sehr beeindruckend. Eine kausale Wirkung eines vagen Konstrukts (Guldenmund, 2000) wie dem „Sicherheitsklima“ auf reales sicheres oder riskantes Verhalten der Mitarbeiter würde ich daraus nicht gerade folgern wollen. Zumal Larsson Tholén et al. (2013) das Sicherheitsverhalten der Tunnelarbeiter gar nicht direkt beobachteten, sondern über einen Selbsteinschätzungsfragebogen erfassten, der Fragen wie diese enthielt:

  • Wie oft nutzen Sie die vollständige Sicherheitsausstattung, egal, wie gefährlich die Arbeitssituation ist?
  • Wie oft arbeiten Sie auf die Art und Weise, die am sichersten ist?

Solche Selbsteinschätzungsfragen sind die am wenigsten präzise Form der Erfassung sicheren Verhaltens. Der Zusammenhang mit dem tatsächlichen Verhalten ist allenfalls vage.

Alles in allem ändert sich an der bisherigen Einschätzung nichts. Wenn in einem Betrieb die Mitarbeiter sicher arbeiten, kommt es dort zu wenigen Unfällen. Betriebliche Maßnahmen und Gegebenheiten wie eine gute Sicherheitstechnik, Vorgesetzte, die auf sicheres Arbeiten achten und ihre Mitarbeiter loben, wenn sie sicher arbeiten, bewirken, dass sich die Mitarbeiter sicher verhalten. All das bewirkt aber auch, dass die Mitarbeiter in einem Fragebogen angeben würden, dass ihr Betrieb ein „sicherer Betrieb“ ist. Die Notwendigkeit, im „Sicherheitsklima“ mehr als das Resultat der Arbeitsbedingungen zu sehen, erschließt sich mir nach wie vor nicht.

Literatur

Beus, Jeremy M.; Payne, Stephanie C.; Bergman, Mindy E. & Arthur, Winfred. (2010). Safety climate and injuries: An examination of theoretical and empirical relationships. Journal of Applied Psychology, 95(4), 713-727.

Bördlein, Christoph. (2009). Faktor Mensch in der Arbeitssicherheit – BBS. Berlin: Erich Schmidt Verlag.

Guldenmund, F. W. (2000). The nature of safety culture: A review of theory and research. Safety Science, 34, 215-257.

Larssson Tholén, Susanna; Pousette, Anders & Törner, Marianne. (2013). Causal relations between psychosocial conditions, safety climate and safety behaviour. A multi-level investigation. Safety Science, 55(1), 62-69.

 

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