Monatsarchiv: April 2024

Was unterscheidet KVT und angewandte Verhaltensanalyse?

Erkenntnistheoretischer Hintergrund: Pro oder contra Mentalismus

Was die kognitive Psychologie und die kognitive (Verhaltens-)Therapie von der Verhaltensanalyse trennt, ist vor allem die Haltung zum Mentalismus, also der Frage, ob hypothetische (!) innere Prozesse ursächlich verantwortlich für äußerlich sichtbares Verhalten sind.

Die Verhaltensanalyse betrachtet sowohl von außen sichtbare (offenes) als auch die von außen nicht (verdecktes) oder kaum (subtiles) beobachtbare Aktivität als Verhalten. Ursächlich für dieses Verhalten ist die Umwelt, wobei diese sowohl auf dem Wege der Artgeschichte (über die biologische Evolution – wir haben einen Körper, der bestimmtes Verhalten ermöglicht oder erschwert) als auch in der Individualentwicklung (als Lerngeschichte) und in der unmittelbaren Situation auf das Verhalten einwirkt. Das heißt, natürlich spielen auch genetische Faktoren und die Physiologie u. a. unseres Nervensystems eine Rolle beim Zustandekommen unseres Verhaltens (wobei das Gehirn in diesem Zusammenhang zwar besonders bedeutsam ist, prinzipiell aber bei der Verursachung keine andere Rolle einnimmt als der Rest unseres Körpers). Verhaltensanalytiker beantworten die Frage, warum wir uns so verhalten, wie wir es tun, so: Weil Bedingungen in der gegenwärtigen und vergangenen Umwelt der Person das Verhalten (offen, subtil, verdeckt) fördern und weil die Person über einen Körper verfügt, der ihr dieses Verhalten ermöglicht.

Für Mentalisten (und alle kognitiven Psychologen sind in diesem Sinne Mentalisten) wird dagegen das äußerlich sichtbare Verhalten durch hypothetische innere Vorgänge und Instanzen verursacht. Diese hypothetischen inneren Vorgänge und Instanzen werden aufgrund des äußerlich sichtbaren Verhaltens (inklusive der Selbstberichte der Person) erschlossen. Sie sind nicht deckungsgleich mit dem, was die Person (als verdecktes Verhalten) bei sich selbst als Gedanken und Gefühle wahrnimmt. Gedanken und Gefühle sind nach dieser Auffassung ebenfalls nur die Indikatoren dieser hypothetischen Vorgänge und Instanzen. Die kognitive Psychologie beantwortet die Frage, warum wir uns (äußerlich) so verhalten, wie wir es tun, so: Weil innere Prozesse und Instanzen, die wir durch das äußerlich sichtbare Verhalten erschließen, aber nicht direkt (weder als die sich-verhaltende Person noch als Außenstehende) beobachten können, das Verhalten verursachen.

Auswirkungen auf das therapeutische Vorgehen

Die kognitive (Verhaltens-)Therapie (KVT) geht folglich ebenfalls davon aus, dass (hypothetische) innere Prozesse und Instanzen das problematische Verhalten und Erleben bei einer psychischen Störung verursachen. Ziel der Therapie ist es daher, diese inneren Prozesse und Instanzen zu verändern oder zu beeinflussen. Da diese aber nicht direkt erfahrbar sind (weder von der Person noch vom Therapeuten), muss in erster Linie am Erleben (Gedanken und Gefühle) und in zweiter Linie auch am äußerlich sichtbaren Verhalten gearbeitet werden.

Prototypisch für die kognitive (Verhaltens-)Therapie steht die Kognitive Therapie (KVT) der Depression nach Aaron Beck (Beck et al., 1979). Depressionen sind demnach gekennzeichnet durch

  • verzerrte Informationsverarbeitungsprozesse (Denkfehler),
  • negative Inhalte der Gedanken (in Form der negativen kognitive Triade) und
  • dysfunktionale kognitive Schemata.

Typische Denkfehler, die depressiven Menschen begehen, sind demnach das willkürliche Schlussfolgern, die selektive Abstraktion, die Übergeneralisierung, Über- oder Untertreibung, das Übertragen von äußeren Ereignissen auf die eigene Person und das Schwarzweißdenken. Die negative kognitive Triade besteht aus dem Selbst („ich bin minderwertig“), der Welt („keiner liebt mich“) und der Zukunft („und das wird so bleiben“). Treffen negative Gedanken in all diesen Bereichen zusammen, spricht man von der negativen kognitiven Triade, welche kennzeichnend für die Kognitionen in einer Depression ist. Kognitive Schemata sind mentale Präsentationen von Wissen. Sie wirken wie Filter für die Erfahrungen der Person. Als beispielhaft können die irrationalen Überzeugungen nach Albert Ellis (David et al., 2010) gelten, z. B.:

  • Ich muss von jedem für mich wichtigen Menschen geachtet und geliebt werden. Ist dies nicht der Fall ist dies eine Katastrophe.
  • Die Dinge müssen so sein, wie ich sie gerne hätte.
  • Für jedes Problem gibt es eine perfekte Lösung.
  • Ein normales Leben ist immer angenehm und ohne Schmerzen.

Diese stecken nach Ansicht der KVT hinter vielen psychischen Störungen, vor allem Depressionen. Sie werden aber (in der Regel) nicht vom Klienten so geäußert, sondern aufgrund seiner Aussagen vom Therapeuten erschlossen. Die dysfunktionalen Grundüberzeugungen resultieren aus frühen Lernerfahrungen, sie werden bspw. durch Lernen am Modell erworben. Treffen diese dysfunktionalen Grundüberzeugungen auf kritische Lebensereignisse und Stress und kommen gegebenenfalls auch Defizite in der sozialen Kompetenz hinzu, führt dies zu automatischen negativen Gedanken, die wiederum bewirken, dass die Person sich zurückzieht, passiv ist und andere Symptome der Depression entwickelt, was sie wiederum in ihren negativen Gedanken bestätigt. Die kognitive Therapie zielt auf die kognitive Umstrukturierung ab. Die Person soll also gewissermaßen lernen, anders zu denken, wodurch sie dann die Depression überwinden kann. Die zweite Komponente der kognitiven (Verhaltens-)Therapie ist die Verhaltensaktivierung. Dies ist eine rein verhaltensorientierte Maßnahme, bei der der Klient dazu angeleitet wird, wieder erwünschte Aktivitäten (z. B. sich mit Freunden treffen, Sport ausüben) aufzunehmen. Diese Verhaltensaktivierung stammt aus der ersten, vor-kognitiven Welle der Verhaltenstherapie. Sie soll den Zweck verfolgen, dem Klienten dabei zu helfen, seine negativen Gedanken zu überwinden.

Von diesem kognitiven Modell der Depression gibt es zahlreiche Varianten. Sie alle eint, dass sie kognitive Faktoren als ursächlich annehmen (mentalistischen Grundposition). Dabei konnte jedoch bislang nicht überzeugend nachgewiesen werden, dass die oben genannten depressiven Gedanken, Schemata usw. tatsächlich die Auslöser der Depression sind oder ob sie nicht lediglich mit einer Depression einhergehen. Tatsächlich zeigen einige Untersuchungen, dass diese kognitiven Auffälligkeiten nur in den depressiven Episoden festzustellen waren (Scher et al., 2005).

Die Verhaltensanalyse betrachtet die depressiven Kognitionen und Emotionen als Teil der Depression, als verdecktes Verhalten. Dieses gilt es, ebenso wie das mit der Depression einhergehende offene Verhalten, zu verändern, indem der Klient angeleitet wird, Aktivitäten zu zeigen, die positiv verstärkend auf ihn wirken (vgl. den Überblick bei Kanter et al., 2004).

Die KVT der Depression kann zwar sehr viel an Evidenz vorweisen, doch scheint die kognitive Umstrukturierung nicht unbedingt die zwingende Voraussetzung für den Therapieerfolg zu sein. Jacobson et al. (1996) verglichen die komplette KVT mit einer auf die Verhaltensaktivierung verkürzten Variante und fanden keine Unterschiede in der Wirksamkeit. Daraus hat sich mittlerweile (als Teil der „dritten Welle“ der VT, zu der auch die auf der Verhaltensanalyse basierende Acceptance and Commitment Therapy (ACT) zählt) die Aktivationstherapie (AT) entwickelt (Dimidjian et al., 2006; Jacobson et al., 2006), die darauf setzt, den Klienten zu befähigen, wieder aktiv zu werden und das depressive Vermeidungsverhalten zu reduzieren. Dabei leitet die AT den Klienten natürlich auch an, seine negativen Gedanken und Gefühle zu überwinden. Die AT ist wohl ähnlich wirksam wie die KVT (Uphoff et al., 2020), jedoch scheinen einige Klienten die KVT zu bevorzugen, vermutlich, weil diese ihrer Erwartung, dass es vorrangig um ihre Gedanken und Gefühle gehen sollte, eher entspricht als die AT.

Zusammenfassung: Sind KVT und Verhaltensanalyse völlig verschieden voneinander?

In ihrer prinzipiellen Haltung zur Frage, warum sich Menschen so verhalten, wie sie es tun, unterscheiden sich KVT und Verhaltensanalyse fundamental. In den Maßnahmen, die ergriffen werden, um Menschen zu helfen, gibt es Unterschiede in der Schwerpunktsetzung, jedoch leiten beide zu Veränderungen sowohl des offenen als auch des verdeckten Verhaltens an.

Literatur

Beck, A. T., Rush, A. J., Shaw, B. F., & Emery, G. (1979). Cognitive Therapy of Depression. Guilford Press.

David, D., Lynn, S. J., & Ellis, A. (2010). Rational and irrational beliefs: Research, theory, and clinical practice. Oxford University Press.

Dimidjian, S., Hollon, S. D., Dobson, K. S., Schmaling, K. B., Kohlenberg, R. J., Addis, M. E., Gallop, R., McGlinchey, J. B., Markley, D. K., Gollan, J. K., Atkins, D. C., Dunner, D. L., & Jacobson, N. S. (2006). Randomized trial of behavioral activation, cognitive therapy, and antidepressant medication in the acute treatment of adults with major depression. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 74(4), 658-670. https://doi.org/10.1037/0022-006X.74.4.658

Jacobson, N. S., Dobson, K. S., Truax, P. A., Addis, M. E., Koerner, K., Gollan, J. K., Gortner, E., & Prince, S. E. (1996). A component analysis of cognitive-behavioral treatment for depression. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 64(2), 295-304. https://doi.org/10.1037/0022-006X.64.2.295

Jacobson, N. S., Martell, C. R., & Dimidjian, S. (2006). Behavioral activation treatment for depression: Returning to contextual roots. Clinical Psychology: Science and Practice, 8(3), 255-270. https://doi.org/10.1093/clipsy.8.3.255

Kanter, J. W., Callaghan, G. M., Landes, S. J., Busch, A. M., & Brown, K. R. (2004). Behavior analytic conceptualization and treatment of depression. Traditional models and recent advances. The Behavior Analyst Today, 5(3), 255-274. https://doi.org/10.1037/h0100041

Scher, C. D., Ingram, R. E., & Segal, Z. V. (2005). Cognitive reactivity and vulnerability: empirical evaluation of construct activation and cognitive diatheses in unipolar depression. Clinical Psychology Review, 25(4), 487-510. https://doi.org/10.1016/j.cpr.2005.01.005

Uphoff, E., Ekers, D., Robertson, L., Dawson, S., Sanger, E., South, E., Samaan, Z., Richards, D., Meader, N., & Churchill, R. (2020). Behavioural activation therapy for depression in adults. Cochrane Database of Systematic Reviews, 7(7), CD013305. https://doi.org/10.1002/14651858.CD013305.pub2

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Neuere Forschungen zum Thema Feedback

Feedback ist ungeheuer wichtig, das wissen wir alle, auch im Bereich der Arbeitssicherheit. Wir werden auch nicht müde, Führungskräfte immer wieder dazu zu ermutigen, ihren Mitarbeitenden mehr positives und konstruktives Feedback zu geben. Feedback ist der Motor der Verhaltensänderung. Zahlreiche Studien bestätigen, dass und auf welche Weise Feedback die Leistung positiv beeinflusst (Sleiman, Sigurjonsdottir, Elnes, Gage & Gravina, 2020). Wir wissen mittlerweile recht gut, was Feedback wirksam macht und was wohl eher der „Managementfolklore“ zuzurechnen ist. So ist z. B. mittlerweile ganz gut nachgewiesen, dass das sogenannte „Feedback-Sandwich“ (negatives Feedback wird zwischen zwei Lagen positives Feedback gepackt) entgegen anderslautender Behauptungen nicht besonders wirksam, bisweilen sogar schädlich ist (Bottini & Gillis, 2021; Henley & DiGennaro Reed, 2015).

Warum aber wird so wenig Feedback gegeben? Führungskräfte entgegnen häufig, dass sie sich bemühen würden, dass sie aber einfach aufgrund der vielen anderen Arbeit nicht dazu kämen. Diese Begründung darf man durchaus etwas skeptisch sehen. Ein wichtiger, realer Grund, warum zu selten Feedback gegeben wird, ist die tatsächliche oder erwartete Reaktion des Feedbackempfängers. Wir fürchten, dass der Mitarbeiter bei einem nicht nur positivem Feedback negativ reagieren wird. Darum vermeiden wir es, Feedback zu geben. Neuere Forschungen im Bereich des Organisational Behavior Managements (OBM) beschäftigen sich daher mit der Frage, wie man die Situation verbessern kann, so das leichter und lieber Feedback gegeben wird. Ein Ansatz besteht darin, potentielle Feedbackempfänger darin zu schulen, mit Feedback konstruktiv umzugehen. Dies führt tatsächlich dazu, dass diejenigen, die Feedback geben sollen, dies häufiger tun und dass die Feedbackempfänger tatsächlich von dem Feedback mehr profitieren. Die Wirksamkeit eines entsprechenden „Trainings im Feedback-Empfangen“ von Ehrlich, Nosik, Carr und Wine (2020) konnte erst kürzlich von einer meiner Studentinnen in ihrer Masterarbeit bestätigt werden.

Ein weiterer Ansatz besteht darin, dem Feedbackgeber zu vermitteln, wie er durch sein Feedback die Leistung des Feedbackempfängers verbessert. Wie beim Lob sieht man, nachdem man Feedback gegeben hat, nicht unbedingt unmittelbar eine deutliche Verhaltensänderung beim Feedbackempfänger. Erkennt man aber, weil man explizit seine Aufmerksamkeit darauf richtet, dass der Feedbackempfänger tatsächlich aufgrund des Feedbacks seine Leistung mittelfristig steigert, behält man die Angewohnheit, Feedback zu geben, bei. Dies ist selbst dann der Fall, wenn der mitarbeitende auf das Feedback eher ablehnend reagiert. Sieht der Feedbackgeber dagegen keine Fortschritte beim Feedbackempfänger, senkt das die Wahrscheinlichkeit, dass er in Zukunft weiterhin akkurates und ehrliches Feedback geben wird (Matey, Espericueta Luna & Gravina, 2024).

Literatur

Bottini, S., & Gillis, J. (2021). A comparison of the feedback sandwich, constructive-positive feedback, and within session feedback for training preference assessment implementation. Journal of Organizational Behavior Management, 41(1), 83-93. https://doi.org/10.1080/01608061.2020.1862019

Ehrlich, R. J., Nosik, M. R., Carr, J. E., & Wine, B. (2020). Teaching employees how to receive feedback: A preliminary investigation. Journal of Organizational Behavior Management, 40(1-2), 19-29. https://doi.org/10.1080/01608061.2020.1746470

Henley, A. J., & DiGennaro Reed, F. D. (2015). Should you order the feedback sandwich? Efficacy of feedback sequence and timing. Journal of Organizational Behavior Management, 35(3-4), 321-335. https://doi.org/10.1080/01608061.2015.1093057

Matey, N., Espericueta Luna, W. A., & Gravina, N. (2024). The effects of performance improvement on feedback accuracy and omission. Journal of Organizational Behavior Management. https://doi.org/10.1080/01608061.2024.2345627

Sleiman, A. A., Sigurjonsdottir, S., Elnes, A., Gage, N. A., & Gravina, N. E. (2020). A quantitative review of performance feedback in organizational settings (1998-2018). Journal of Organizational Behavior Management, 40(3-4), 303-332. https://doi.org/10.1080/01608061.2020.1823300

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