Archiv der Kategorie: radikaler Behaviorismus

Wie „radikal“ ist der Radikale Behaviorismus?

B. F. Skinners Variante des Behaviorsimus wird als „Radikaler Behaviorismus“ bezeichnet. Doch was bedeutet „radikal“ in diesem Zusammenhang? Schneider und Morris (1987) geben einen Überblick über die Verwendung des Begriffs „radikal“ im Zusammenhang mit dem Behaviorismus.

Es ist interessant, dass die Behauptung, Behavioristen leugneten, dass es ein Bewusstsein gibt, haufenweise bei Nicht-Behavioristen zu finden ist, aber kaum bei den (prominenten) Behavioristen selbst. Behavioristen wie Watson und Skinner leugnen nicht, dass es etwas gibt, das wir als Bewusstsein bezeichnen. Doch sprechen sie dem Bewusstsein den Charakter eines Dings ab – das Bewusstsein ist ein Konstrukt, oder, genauer, wenn wir das Wort Bewusstsein verwenden, verhalten wir uns verbal in Bezug auf unser eigenes Verhalten.

Der Begriff „radical“ kann im Englischen mehrere Bedeutungen haben, nämlich extrem, gründlich, bilderstürmerisch und politisch. In den Bedeutungen „extrem“ und „bilderstürmerisch“ wurde Watsons Behaviorismus schon früh (von Nicht-Behavioristen) als „radikal“ bezeichnet, z. B. 1921 von Calkins, der Watson unterstellt, er leugne oder ignoriere das, was wir als mentale Phänomene kennen. „Extreme behavioristic psychology denies or ignores what are known as mental phenomena“ (Calkins, 1921, S. 1; vgl. auch S. 4). Auch als radikal im Sinne von „politisch extrem“ wurde der Behaviorismus Watsons schon bald bezeichnet, oft als links-extrem, aber ebenso auch als rechts-extrem. Watson selbst bezeichnete seine Form des Behaviorismus nie als „radikal“.

Skinner (1945/1984) bezeichnete seine Form des Behaviorismus erstmals 1945 als „radikal“, im Sinne von „gründlich“ (thoroughgoing). Er grenzt ihn v. a. vom methodologischem Behaviorismus ab. Sehr viele Psychologen, die sich selbst nie als Behavioristen bezeichnen würden, kann man als methodologische Behavioristen betrachten (vgl. Brunswik, 1952, S. 66-67; Day, 1980, S. 241; Leahey, 1984, S. 131-132; Marx & Hillix, 1979, S. 160). „[E]ven some present-day psychologists who might not call themselves behaviorists, could be considered to be behaviorists of this sort” (Schneider & Morris, 1987, S. 33). Skinners Behaviorismus ist insofern radikal, als er (im Gegensatz zum methodologischen Behaviorimus) auch die privaten Ereignisse und das verdeckte Verhalten behandelt und keinen prinzipiellen Unterschied zwischen offenem Verhalten, das von Außen beobachtet werden kann (wie Gehen, Reden etc.), und verdecktem Verhalten, das nur die Person selbst bei sich feststellen kann (wie Denken, Fühlen etc.), anerkennt. Zuriff (1984) erläutert dies: „What distinguishes Skinner from … other behaviorists is not his legitimization of private events but the fact that he provides the most coherent account of how these events come to function as stimuli for verbal behavior“ (S. 572).

Skinners und Watsons Behaviorismus verbindet einiges. Vom methodologischen Behaviorismus sind ihre beiden Positionen meilenweit entfernt.

Literatur

Brunswik, E. (1952). The conceptual framework of psychology. Chicago: University of Chicago.

Calkins, M. W. (1921). The truly psychological behaviorism. Psychological Review, 28, 1-18. https://doi.org/10.1037/h0072853

Day, W. F., Jr. (1980). The historical antecedents of contemporary behaviorism. In R. W. Rieber & K. Salzinger (Eds.), Psychology: Theoretical-historical perspectives (pp. 203-262). New York: Academic.

Leahey, T. H. (1984). Behaviorism. In R. J. Corsini (Ed.), Encyclopedia of psychology (Vol. 1, pp. 130-133). New York: Wiley.

Marx, M. H. & Hillix, W. A. (1979). Systems and theories in psychology (3rd ed.). New York: McGraw-Hill.

Schneider, S. M., & Morris, E. K. (1987). A history of the term Radical Behaviorism. From Watson to Skinner. The Behavior Analyst, 10(1), 27-39. https://doi.org/10.1007/BF03392404

Skinner, B. F. (1945/1984). The operational analysis of psychological terms. Behavioral and Brain Sciences, 7(04), 547-581. https://doi.org/10.1017/S0140525X00027187

Zuriff, G. E. (1984). Radical behaviorism and theoretical entities. The Behavioral and Brain Sciences, 7, 572. https://doi.org/10.1017/S0140525X00027394

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Mentalismus – von den Gefahren, die drohen, wenn man Unterschiede zwischen Menschen auf „innere Faktoren“ zurückführt

Jay Moore (2003) hat vor fast 20 Jahren schon einmal zusammengefasst, warum es problematisch ist, Unterschiede zwischen Menschen auf (echte oder vermeintliche) innere Faktoren zurückzuführen – aus wissenschaftlicher und aus ethischer Sicht.

Verhaltensanalytiker zeichnen sich durch ihr hauptsächliches Interesse an den Kontingenzen, die das Verhalten kontrollieren, durch ihre Abgrenzung vom Mentalismus und ihre Überzeugung, dass sich die soziale Umwelt planen und verändern lässt, aus. Der Mentalismus dagegen vertritt die Ansicht, dass eine angemessene Erklärung von Verhalten den Bezug auf vermeintliche innere mentale Phänomene enthalten muss. Dieser vertritt entweder einen formalen und expliziten Dualismus (es gibt eine geistige und eine physische Welt) oder aber einen epistemiologischen Dualismus, der besagt, dass es eine geistige Sphäre gibt, die zwar physisch begründet ist (als Gehirnaktivität), die aber nicht untersuchbar sondern nur erlebbar ist (vgl. Psychologie als Wissenschaft vom Verhalten und Erleben des Menschen). Diesem epistemiologischen Dualismus huldigen nicht nur Philosophen und die gesamte traditionelle Psychologie, sondern auch der sogenannte Neo-Behaviorismus, der die vermittelnde Qualität innerer Prozesse anerkennt. In der akademischen Psychologie erwirbt man sich z. Zt. am besten seine Sporen, indem man neue Mentalismen erfindet und popularisiert. Wir haben aus der Medizin eine Tendenz übernommen, unser wissenschaftliches Heil in inneren Vorgängen zu suchen und wir erfinden notfalls welche, wenn sie nicht direkt untersuchbar sind. Zudem werden mentalistische Erklärungen – als ein verbales Verhalten – durch die soziale Umwelt aufrechterhalten: Der Laie kennt das „Erleben und Verhalten“ vor allem aus der Innenansicht und er ist geneigt, in Ersterem die Ursache für Letzteres zu sehen.

Ein Auswuchs des Mentalismus ist die Attributionstheorie. Attributionstheoretiker selbst haben den sogenannten fundamentalen Attributionsfehler entdeckt: Dass die meisten Menschen unangemessenerweise das Verhalten anderer Menschen auf dispositionelle Faktoren attribuieren. Der „fundamentale Attributionsfehler“ an sich ist bereits ein Fehler, denn er setzt voraus, dass Dispositionen überhaupt Ursachen von Verhalten sein können. Ebenso ein Fehler an sich ist das sogenannte Konsistenzparadox: Der Umstand, dass wir das Verhalten anderer Menschen über verschiedene Situationen hinweg als konsistenter einschätzen als dies eigentlich der Fall ist. Für den Verhaltensanalytiker ist das Verhalten immer eine Funktion der gegenwärtigen und der früheren „Situation“ – das Paradox existiert für ihn somit nicht. Wer nun solche dispositionellen Faktoren als Ursachen von Verhalten propagiert, der leistet – gewollt oder ungewollt – der Diskriminierung von Minderheiten Vorschub. Denn wenn das Verhalten einer Person, die einer bestimmten Gruppe von Personen (z. B. von gleicher Hautfarbe oder Nationalität) angehört, durch eine Disposition bestimmt ist, dann ist es zumindest fraglich, ob dieses Verhalten überhaupt geändert werden kann. Warum sollte man es also überhaupt versuchen? Aus Sicht der Verhaltensanalyse dagegen mögen Verhaltensrepertoires gelegentlich zwar gut organisiert und strukturiert sein, aber sie sind nicht durch „innere Ursachen“ determiniert.

Das Konzept der „Intelligenz“ ist ein weiterer bedenklicher Aspekt des Mentalismus. Intelligenz wird für gewöhnlich als eine mentale Eigenschaft eines Menschen betrachtet. Die stereotype mentalistische Betrachtungsweise der Intelligenz hat in der Geschichte bereits viel Leid über die Menschen gebracht (erinnert sei hier an die Ausgrenzung von osteuropäischen und anderen Einwanderern in den USA aufgrund der Ergebnisse von Intelligenttests). Ebenso bedenklich ist die mentalistische Interpretation der Intelligenzunterschiede zwischen Männern und Frauen. Die kognitive Neurowissenschaft unterfüttert diese Interpretation mit den Unterschieden in der Gehirnstruktur. Eine Implikation des Mentalismus ist die Folgerung, dass bei geringer Intelligenz keine Förderung von Nöten ist, denn sie ist ein inhärentes Merkmal der Person: Wenn Frauen bestimmte Aufgaben nicht so gut bewältigen wie Männer, weil ihre Neuronen irgendwie anders sind als die von Männern, warum sollten sie dann nicht am Besten „barfuss und schwanger in der Küche stehen“, wie Moore es umschreibt?

Aus Sicht der Verhaltensanalyse ist „Intelligenz“ nur eine weitere mentalistische Erklärungskrücke. Menschen unterscheiden sich: Sie haben unterschiedliche genetische Ausstattungen, die bedingen, dass sie in unterschiedlicher Weise für die Einflüsse ihrer Umwelt empfänglich sind. Zweifelsohne ist auch das Verhaltensrepertoire eines Menschen aus einer gehobenen sozialen Schicht entwickelter als das eines Menschen aus einer niedrigern sozialen Schicht.  Aus der mentalistischen Sicht folgt hier aber der pädagogische Pessimismus. Wir werden mit Programmen und Interventionen wenig Erfolg haben, solange wir an dem Bezug auf traditionelle mentalistische Erklärungen von Intelligenz festhalten.

Sicher werden bestimmte Aktivitäten des Menschen durch bestimmte anatomische Strukturen ermöglicht. Wir sehen z. B. an den Opfern von Schlaganfällen, dass sie bestimmte Aufgaben nicht mehr oder nur noch schlecht ausführen können. Alle diese Belege aber sind nur eine vage Grundlage für die mentalistischen Metaphern vom Speichern und Abrufen von Informationen. Bei weitem ist kein Bezug herstellbar zwischen den Modellen zur Informationsverarbeitung der kognitiven Psychologie und den Synapsen, Neuronen und Gehirnregionen. Das Verhalten sollte die Suchrichtung für den Physiologen vorgeben. Die traditionelle Psychologie ist verantwortlich für eine gigantische Verschwendung an Forscherarbeit, indem sie Physiologen nach den neuronalen Entsprechungen von mentalistischen Konstrukten suchen ließ.

Schon John Stuart Mill beklagte, wie vulgär es sei, die Diversität von Verhalten und Charakteren auf natürliche Unterschiede zurückzuführen. Der Verführung des Mentalismus erlagen jedoch auch die ersten Behavioristen – indem sie die Naturwissenschaft vom Verhalten zu einer „kognitiven“ Psychologie zu transformieren versuchten (bestes Beispiel: Bandura).

Moore, J. (2003). Behavior analysis, mentalism and the path to social justice. The Behavior Analyst, 26(2), 181-193. https://doi.org/10.1007/BF03392075

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Kann sich die Gesellschaft verhalten?

Kurze Antwort: Nein, eher nicht. Bei der ausführlichen Antwort müssen wir etwas tiefer einsteigen, bei der Ontologie.

Dinge und Konstrukte

Alles ist entweder ein Ding oder ein Konstrukt (Mahner & Bunge, 2000, S. 6). Dinge sind konkrete oder materielle Gegenstände, sie sind wirklich vorhanden. Konstrukte dagegen sind nur etwas, über das wir reden und nachdenken können, sie existieren in gewisser Weise nicht wirklich, sondern nur, solange wir uns in Bezug auf sie verhalten, das heißt reden oder nachdenken (Dinge dagegen existieren unabhängig von uns). Um sich zu veranschaulichen, was ein Ding ist, kann man als unzureichende Behelfsdefinition annehmen, dass ein Ding alles ist, auf das man zeigen kann. Doch es zählen auch Objekte zu den Dingen, auf die man nicht zeigen kann, die aber gleichwohl konkret oder materiell sind, z. B. Elektronen. Aus dem Bereich der Psychologie: Ein Gehirn wäre ein Ding, auf dieses kann ich zeigen. Die Intelligenz dagegen ist ein Konstrukt. Auch menschliches Verhalten besteht in der Interaktion zwischen Dingen. Ein häufiger Fehler ist die Reifikation. Sie besteht darin, dass ein Konstrukt verdinglicht wird, das heißt wie ein Ding behandelt wird.

Konstrukte können nicht etwas bewirken, d. h. sich verhalten. Wenn wir sagen, dass irgendein Konstrukt (z. B. die Intelligenz) etwas bewirkt, dann begehen wir höchstwahrscheinlich den Fehler der Reifikation. Zudem liegt auch die Gefahr der zirkulären Argumentation nahe. Denn Konstrukte wie die Intelligenz sind oft nur bequeme Redeweisen für Dinge und die Interaktion zwischen Dingen. Wir kommen dazu, eine Person als intelligent zu bezeichnen, weil wir bestimmtes Verhalten bei ihr beobachtet haben (sie gibt kluge Antworten, sie kann Probleme lösen, insbesondere Aufgaben in einem Intelligenztest). Wir schreiben dann dieser Person Intelligenz zu. Zum Fehler der Reifikation kommt es, wenn wir diese Intelligenz dann wiederum etwas bewirken lassen und z. B. sagen eine Person könne aufgrund ihrer Intelligenz Probleme lösen. Die Zirkularität liegt auf der Hand.

Die Gesellschaft ist, so wie das Wort zumeist verwendet wird, ein Konstrukt. Ich kann nicht auf sie zeigen, denn sie ist mehr als eine Gruppe von Menschen. Sie beinhaltet auch deren Interaktionen und die von dieser Gruppe von Menschen geschaffenen Dinge. Sage ich nun, die Gesellschaft wolle etwas, die Gesellschaft tue etwas usw., begehe ich den Fehler der Reifikation.

Das strukturell-individualistische Forschungsprogramm

Das strukturell-individualistische Forschungsprogramm setzt voraus, dass kollektive Sachverhalte das Ergebnis der Handlungen individueller Akteure sind (Opp, 2005, S. 103). Das heißt, wenn die Gesellschaft sich verändert, verändern sich in Wahrheit die an der Gesellschaft teilnehmenden Individuen, sie verhalten sich z. B. anders. Das strukturell-individualistische Forschungsprogramm fordert, dass „kollektive Sachverhalte durch die Anwendung von Aussagen über Individuen zu erklären sind“ (Opp, 2005, S. 104). Kollektivistisches Denken dagegen ist in gewisser Weise magisches Denken. Es bietet, so Opp (2005), weniger tiefe Erklärungen und behindert die Lösung praktischer Probleme. Betrachte ich kollektive Sachverhalte dagegen auf der Ebene individuellen Verhaltens, erkenne ich, welche objektiv untersuchbar Prozesse tatsächlich stattfinden und ich habe einen Lösungsansatz, wie ich kollektive Probleme lösen kann. Beklage ich z. B., dass „die Gesellschaft“ nicht bereit ist, die Rechte von Minderheiten zu akzeptieren, verbaut mir ein kollektivistisches Denken den Zugang zur Lösung dieses Problems, die immer erfordert, dass Individuen ihr Verhalten verändern.

Dieser strukturell-individualistische Ansatz ist, wohlverstanden, kein plumper Reduktionismus, wie es z. B. folgende Antwort auf ein Zitat von Margret Thatcher („There’s no such thing as society“) unterstellt:

„Es gibt keine Pflanzen! Nur Pflanzenzellen!

Es gibt keine Moleküle! Nur Atome!

Es gibt keinen Gedanken! Nur elektrochemische Aktivität von Neuronen!“ (Florian Aigner auf Twitter, https://twitter.com/florianaigner/status/1467292309062574081).

Florian Aigner attackiert hier einen Strohmann. Seine Vergleiche hinken, denn die Pflanze als Ganzes bildet auch wieder ein Ding, ebenso das Molekül. Sie sind „mehr“ als ihre Teile, aber das, was sie „mehr“ sind, spielt sich ebenfalls auf der Ebene der Dinge und der Interaktion zwischen ihren Teilen ab. Gedanken sind eine Aktivität von Dingen (in diesem Fall Menschen). Die Gesellschaft dagegen ist ein Konstrukt, wenn ich sie untersuchen will, muss ich das individuelle Verhalten von Menschen untersuchen (welches gegebenenfalls über die Individuen hinweg koordiniert ist, was aber wiederum nicht auf magische Art und Weise geschieht, sondern durch Vorgänge wie z. B. das Lernen am Modell). Des Weiteren kann ich auch die Artefakte, die für das Konstrukt „Gesellschaft“ relevant sind, untersuchen. Artefakte sind jedoch ebenfalls nur Produkte des individuellen Verhaltens von einzelnen oder mehreren Menschen gemeinsam.

So gesehen hat Margret Thatcher („There’s no such thing as society“) in gewisser Weise recht: Die Gesellschaft ist kein Ding, sie ist ein Konstrukt. Wenn wir dieses Konstrukt untersuchen wollen, müssen wir es herunter brechen auf das, was uns dazu bringt (in bequemer Redeweise) von diesem Konstrukt zu sprechen: das was Menschen tun. Nur einzelne Menschen verhalten sich.

Nachtrag: Dies ist jetzt natürlich vor dem Hintergrund eines naturalistisch-materialistischen Zugangs gesprochen, der sich allerdings in den empirischen Wissenschaften bislang als sehr erfolgreich erwiesen hat.

Mahner, M. & Bunge, M. (2000). Philosophische Grundlagen der Biologie. Berlin: Springer.

Opp, K. D. (2005). Methodologie der Sozialwissenschaften. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

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Kann sprachliches Verhalten durch einen behavioristischen Ansatz erklärt werden?

Zusammenfassung

Wenn man mit deutschen Psychologen über den Behaviorismus diskutiert, bekommt man – neben vielen Halbwahrheiten und Missverständnissen – ab und an zu hören, „seit Chomsky“ sei ja ohnehin ausgemacht, dass der behavioristischen Ansatz auf komplexes menschliches Verhalten nicht übertragbar sei. Die Proponenten dieser Behauptung beziehen sich dabei auf die Besprechung von B.F. Skinners Buch „Verbal Behavior“ (1957) durch den Linguisten Noam Chomsky (1959). Chomsky habe hier gezeigt, dass Skinners Anwendung des verhaltensanalytischen Erklärungsapparats auf sprachliches Verhalten fehlerhaft sei und dass der Behaviorismus zur Erforschung der menschlichen Sprache nicht tauglich sei. Interessanterweise haben die Anhänger dieser Legende – Chomsky hat Skinner „widerlegt“ – in der Regel weder das Buch „Verbal Behavior“ noch Chomskys Besprechung dazu gelesen. Bei einer genaueren Betrachtung von Chomskys Rezension aber beschleicht einen der Verdacht, dass auch Chomsky das von ihm besprochene Buch nicht richtig gelesen hat.

MacCorquodales Replik zu Chomsky

Sowohl was ihren Einfluss auf die Wissenschaft als auch was ihr Potenzial zur Erzeugung von Kontroversen angeht, sind sowohl Skinners Verbal Behavior (1957) als auch Chomskys Besprechung des Buches (1959) als echte Erfolge zu bezeichnen. Chomskys Besprechung war, milde ausgedrückt, unfreundlich. Sie besteht aus zwei Teilen: Im ersten kritisiert Chomsky Skinners analytischen Apparat, im zweiten folgt eine kurze und eher oberflächliche Kritik der Anwendung dieses Apparats auf sprachliches Verhalten. Chomskys Kritik wurde fast nie in systematischer Weise widersprochen, die Analyse von MacCorquodale (1970) steht hier einzig da. Der Grund dafür mag in dem Umstand liegen, dass Chomsky über weite Strecken einen Behaviorismus „widerlegt“, der so von niemandem (mehr) vertreten wird, am wenigsten von Skinner selbst. So verwendet er ganze sechs Seiten auf eine weitere Widerlegung der Trieb-Reduktions-Theorie der Verstärkung (die schon lange aus der Debatte verschwunden ist). Der hauptsächliche Grund für die Schweigsamkeit der Behavioristen zu Chomsky mag in dem Ton seiner Besprechung liegen: Sie ist, so MacCorquodale, „kleinlich bei Fehlern, herablassend, nachtragend, begriffsstutzig und schlecht gelaunt“ (S. 84, Übersetzung von CB). So bezeichnet Chomsky das einwandfrei sauber definierten Wort „Verhaltensantwort“ (response) ständig als einen „Begriff“ (notion), was das Wort irgendwie dubios erscheinen lässt. Die einzige nette Bemerkung in der Rezension findet sich in einer Fußnote.

MacCorquodale hält Chomskys Besprechung für durchaus beantwortbar. Obwohl sie sehr lang ist, sei sie in hohem Maße redundant: Tatsächlich lässt sie sich auf drei Krenaussagen reduzieren.

Obwohl seine Grundannahme eine empirische ist, enthält Skinners Buch keine empirischen Daten in Bezug auf sprachliches Verhalten. Chomsky hat selbst keinerlei Daten, um Skinners Hypothese zu widerlegen. Er hat sich auch nicht die Mühe gemacht, je irgendwelche Daten dahingehend vorzulegen. In der Tat gibt es bis heute keine Daten (die von Kognitivisten vorgebracht werden), die Skinners Hypothese widerlegen könnten. Dies sollte man bedenken, wenn man hört, dass Chomskys Arbeit zeige, dass sprachliches Verhalten nicht durch Skinners Form der funktionalen Analyse erklärt werden könne (so z.B. Fodor & Katz, 1964, S. 546). Chomsky hat nichts in der Art gezeigt, er hat es lediglich behauptet. Um so überraschender ist es, dass sich Chomsky nie auf eine von Skinners früheren Arbeiten bezieht (wie etwa Science and Human Behavior , 1953), in der die funktionale Analyse des Verhaltens erläutert wird und in der die Grundlagen für Verbal Behavior gelegt werden. Der Verdacht liegt nahe, dass Chomsky sich nie mit diesen Grundlagen auseinandergesetzt hat und deshalb auch nur das Zerrbild eines Behaviorismus, wie er es sich zusammengereimt hat, angreifen kann. Und, bei genauerer Betrachtung entsteht der Eindruck, auch Verbal Behavior hat Chomsky nie wirklich gelesen…

Chomskys erste Kritik an Verbal Behavior ist, dass es sich um eine ungetestete Hypothese handelt, die nicht ernsthaft diskutiert zu werden braucht (so MacCorquodale, 1970, S. 84ff). Zwar benutzen weder Skinner noch Chomsky das Wort „Hypothese“, im Gunde aber ist Verbal Behavior eine Hypothese, nichts anderes. Skinners Hypothese unterscheidet sich von gewöhnlichen psychologischen Hypothesen, insofern als sie keine Bezüge auf unbeobachtbare oder fiktionale Vorgänge enthält, sondern sich lediglich auf das von Menschen geäußerte sprachliche Verhalten bezieht. Seine Hypothese lautet, stark verkürzt, dass alles sprachliche Verhalten nach denselben Prinzipien funktioniert wie anderes Verhalten auch und dass es sich in den Begriffen von Stimulus, Verhalten und Verstärkung beschreiben und erklären lässt. Diese Hypothese mag sich als falsch erweisen, jedoch gilt es zu bedenken, dass diese Prinzipien sehr gut erforscht sind und dass sie sich als in einem erstaunlichen Maße artübergreifend gültig erwiesen haben: Vom Fisch bis zum Menschen, das operante Konditionieren funktioniert bei allen Arten auf dieselbe Art und Weise. Die Annahme, dass beim Menschen – speziell beim sprachlichen Verhalten – auf einmal ganz andere Prinzipien wirksam seien, ist demgegenüber ein außergewöhnliche Behauptung, zu deren Beweis es auch außergewöhnlich guter Belege bedürfte.

Ein Problem, das Psychologen mit dem Wort „Hypothese“ haben, ist, dass sie es mit „hypothetisch“ verwechseln. An Skinners Hypothese, sprachliches Verhalten folge denselben Prinzipien wie anderes Verhalten auch, ist aber nichts Dubioses oder Zweifelhaftes. Es handelt sich hier eher um eine „Null-Hypothese“, an der festzuhalten ist, bis eindeutige Daten sie wiederlegen. Skinners Problem besteht darin, dass keine Experimente zu dieser Hypothese (dass alles sprachliche Verhalten wie anderes Verhalten auch mit den Werkzeugen der Verhaltensanalyse erklärbar ist) möglich sind, wenngleich auch schon Verbal Behavior voller Beobachtungen ist. Seine Situation gleicht der eines Astronomen, der die Gezeiten erklärt: Er hat zahlreiche Belege für die Richtigkeit seiner Hypothese, jedoch kann er kein Experiment zu ihrer Prüfung durchführen. Die Hypothese als solche (die postulierte Gültigkeit der verhaltensanalytischen Gesetzmäßigkeiten für den Bereich der Sprache) ist nicht beweisbar sonder nur widerlegbar. Skinners Situation gleicht insofern der des Astronomen, als alle Menschen unter diesen Bedingungen die Sprache lernen und dass es z.B. nicht möglich ist, jemanden das Sprechen lernen zu lassen, ohne dass diese Gesetzmäßigkeiten eine Rolle spielen, genausowenig, wie der Astronom den Mond wegnehmen kann, um zu beweisen, dass dieser die Gezeiten verursacht. Wohl aber können sowohl Skinner als auch der Astronom zeigen, dass die Realität mit der Hypothese gut übereinstimmt.

Chomsky vermeidet das Wort „Hypothese“ zugunsten einiger eher pittoresker Ausdrücke: „Analogie, metaphorische Erweiterung, Illusion, Homonym“: All diese Ausdrücke beziehen sich lediglich auf den Umstand, dass Skinners System eine Hypothese über sprachliches Verhalten darstellt. Genau betrachtet ist jeder wissenschaftliche Ausdruck in einer ungestesteten Hypothese zunächst einmal nur eine analoge Erweiterung des Bestehenden. Es steht zu vermuten, dass Chomsky diese Ausdrücke lediglich aufgrund ihres abwertenden Charakters wählte. Noch überraschender ist die Geschwindigkeit, mit der Chomsky von der Feststellung, dass es sich bei Verbal Behavior um eine Hypothese handle, zu dem Schluss kommt, es sei „nur“ eine Hypothese, die sich als falsch erweisen werde. Chomskys einziges „Argument“ in diesem Zusammenhang ist, dass man Laborergebnisse nicht auf das „wirkliche Leben“ übertragen könne – was voraussetzt, dass im Labor andere Naturgesetze gelten als außerhalb. Eine, wie  MacCorquodale feststellt, im Lichte von Occams Rasiermesser nicht gerade sparsame Annahme.

Skinner wendet die Terminologie des operanten Konditionierens auf das sprachliche Verhalten an. Der Stimulus „ein Musikstück“ löst die Verhaltensantwort „Mozart“ aus. Chomsky fragt, warum es gerade „Mozart“ seien solle, das durch den Stimulus ausgelöst werde. Das sei irgendwie sehr beliebig. So werden die Stimuli (bzw. die Auswahl des Stimulus) in den Organismus verlegt: Der Organismus wähle dann eben den Stimulus für ein bestimmtes Verhalten aus. Dem muss widersprochen werden, denn „beliebig“ sind die Stimuli nur im hypothetischen Beispiel. Weiter kritisiert Chomsky, dass Skinner z.B. nur den Fall erklären könne, dass jemand „Eisenhower“ sage, wenn der Mann zugegen sei, nicht aber in anderen Situationen. Es wird hier offenbar, dass Chomsky anscheinend glaubt, ein Verhalten (eine verbale Reaktion) könne nur durch einen Stimulus ausgelöst werden. Anders kann man sich Chomskys Behauptung, der Stimulus werde in den Organismus verlegt, nicht erklären: Wenn Eisenhower nicht da ist, dann muss er – so glaubt Chomsky – im Kopf des Sprechers sein. Im konkreten Fall kann es aber tausenderlei Stimuli geben, die die Reaktion „Eisenhower“ auslösen können (z.B. ein Foto, der Name „Chrustschow“ – was auch immer die Lerngeschichte des Individuums hergibt…). Anzunehmen, „Eisenhower“ müsse im Kopf des Spechers zugegen sein, um diesen „Eisenhower“ sagen zu lassen, ist ein typischer mentalistischer Fehlschluss: Chomsky kritisiert hier Skinner dafür, dass er – Chomsky – Skinners Argumente nicht verstanden hat und seine laienhaften Vorstellungen auf Verbal Behavior überträgt. Es soll sich einmal ein Geisteswissenschaftler – wie Chomsky einer ist – dasselbe Vorgehen bei einer Disziplin wie der Quantenmechanik erlauben (und dann diese dafür kritisieren, dass sie widersinnig sei – weil er sie nicht versteht). Die Empörung wäre zu Recht groß. Pikanterweise wird ausgerechnet Chomsky in Sokals und Bricmonts Buch „Eleganter Unsinn“ als Kronzeuge gegen solche Philosophen und Geisteswissenschaftler – die Naturwissenschaften nicht verstehen und aufgrund ihres eigenen Nicht-Verstehens kritisieren – aufgerufen.

Erwartungsgemäß findet Chomsky Skinners funktionale Definition von Verstärker – ein Verstärker ist ein Ereignis, das einem Verhalten folgt und das die Auftretenswahrscheinlichkeit dieses Verhaltens erhöht – unbefriedigend. Er beklagt sich darüber, dass Verstärker nur im nachhinein als solche erkannt werden könnten. Dabei hängt Chomsky der Vorstellung an, Skinner vertrete eine Trieb-Reduktions-Theorie der Verstärkung. Es scheint aber ein schlichtes empirisches Faktum zu sein, dass Verstärker nur ein gemeinsames Merkmal haben: Nämlich, dass sie verstärken. Man kann aber in individuellen Fällen durchaus voraussagen, welches Ereignis höchstwahrscheinlich ein Verstärker sein wird. Dies gilt insbesondere für primäre – unkonditionierte – Verstärker, die für bestimmte Arten spezifisch sind. Das Verhalten einer von Futter deprivierten Ratte kann mit sehr großer Wahrscheinlichkeit durch Futter verstärkt werden. Zudem gibt es mit dem Premack-Prinzip ein weitere Möglichkeit, Verstärker „von vorn herein“ zu finden. Je mehr man über die Lerngeschichte eines Organismus weiß, desto besser kann man verstärkende Stimuli voraussagen.

Chomsky scheint überzeugt davon zu sein, dass Skinner der Auffassung ist, verbales Verhalten könne nur durch langsame und vorsichtige Verstärkung (so Chomsky, 1959, S. 39, S. 42 und S. 43) konditioniert werden. Tatsächlich sagt Skinner an keiner Stelle etwas Derartiges – er impliziert es auch nicht. Wieder einmal überträgt Chomsky seine Vorstellung, davon, was ein hypothetischer Strohmann-Skinner seiner Vorstellung wohl sagen würde, auf den realen Skinner.

Chomsky scheint des weiteren der Ansicht zu sein (a.a.O., S. 43), dass man ja mittlerweile wisse, dass Sprachenlernen zum größten Teil auf Imitationslernen beruhe – womit er impliziert, dass operantes Konditionieren keine große Rolle spiele. Aber auch Skinner vertritt die Ansicht, dass Sprachenlernen viel Imitationslernen beinhalte. Nur dass das Lernen durch Imitation selbst ein Produkt von Verstärkung ist. Weiter nimmt Chomsky an, dass latentes Lernen (ohne Verstärkung) von kaum einem Forscher mehr bezweifelt werde (a.a.O., S.39). Die vielen Studien, die Chomsky hier zum Beleg anführt, weisen jedoch alle erhebliche methodische Probleme auf. Die Frage nach dem latenten Lernen ist nicht (zugunsten desselben) beantwortet worden. Die Frage wird schlicht und ergreifend nicht mehr gestellt, weil sie sich als nicht beantwortbar erwiesen hat.

Chomsky kritisiert Skinners Verwendung des Begriffs „Wahrscheinlichkeit“. Chomsky sagt, dass der Begriff „Wahrscheinlichkeit“ bei Skinner eine merkwürdige Bedeutung habe (a.a.O., S. 34). Das verwundert nicht, denn Chomsky zitiert hier Hulls Definition von Wahrscheinlichkeit (Widerstand gegen Extinktion), nicht Skinners (Wahrscheinlichkeit des Auftretens)… Skinner definiert Wahrscheinlichkeit nicht anders als jeder Naturwissenschaftler. Noch peinlicher für Chomsky sollte sein, dass er anscheinend den Unterschied zwischen der Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer bestimmten verbalen Reaktion „an sich“ und der Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer bestimmten verbalen Reaktion in einer bestimmten Situation nicht kennt (ebd.). Die „Wahrscheinlichkeit an sich“ für das Auftreten des Wortes „Mulct“ ist sehr gering. In dieser jetzigen Situation – wenn Sie das Wort lesen – ist die momentane Wahrscheinlichkeit wesentlich höher. Die „Wahrscheinlichkeit an sich“ ist ein Thema für Linguisten, die momentane Wahrscheinlichkeit ist die verhaltensanalytische Fragestellung schlechthin: Unter welchen Bedingungen äußert eine Person einen bestimmte Teil ihres sprachlichen Repertoires? MacCorquodale (1970) fragt sich, was Chomsky wohl überhaupt mit dem Inhalt von Verbal Behavior anfangen konnte, wenn er diese grundlegende Unterscheidung nicht machen konnte. So kann man auch folgendes Missverständnis nur mit Chomskys völliger Ignoranz des kritisierten Buches erklären: Skinner definiert mehrfach eine „starke Reaktion“ als eine solche, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auftrete – und warnt vor eventuellen anderen Interpretationen dieses Begriffes. Chomsky meint nun aber, dass eine „starke Reaktion“ im sprachlichen Verhalten eine solche sei, die „geschrieen“ (a.a.O., S. 35) oder aber „oft und in einer sehr hohen Tonlage“ (a.a.O., S. 52) geäußert werde.

Chomskys zweiter großer Kritikpunkt ist, dass Skinner nur die traditionellen Begriffe durch eine technisch klingende Sprache zu ersetzen versuche (Ein Vorwurf, den man m.E. eher Chomsky und seiner technizistischen, aber im Grunde nutzlosen, da zu ihrem eigentlichen Zweck – der Generierung von Sprache – nicht tauglichen generativen Transformationsgrammatik machen müsste; dies am Rande). Daher, so Chomsky, seien sie kein bisschen objektiver als die traditionellen Begriffe. So sei „Stimuluskontrolle“ nur eine unperfekte Umschreibung für „Referenz“. Sprachliche Zeichen besitzen nach traditioneller Ansicht Referenten. So ist der Referent für das Wort „Hund“ ein tatsächlicher Hund. Das Konzept der Referenz stimmt schon auf den ersten Blick nicht eins zu eins mit dem der Stimuluskontrolle überein, denn eine Äußerung wie „Verdammt!“ hat keinen Referenten, sehr wohl aber einen auslösenden Stimulus (z.B. sich die Hand am heiße Topf zu verbrennen). Stimuluskontrolle beinhaltet viel mehr als „Referenz“. Irgendwie scheint Chomsky das zu ahnen, denn er kritisiert die behavioristischen Begriffe dafür, dass sie die traditionellen Konzepte verwischen würden. Aber Skinners Analyse ist genauso wenig eine Paraphrase des linguistisch-philosophischen Mentalismus wie die moderne Physik eine Paraphrase des Pantheismus darstellt. Sie konvergieren – beziehen sich auf einen ähnlichen Realitätsausschnitt – aber mit ganz anderen Voraussetzungen und ganz anderen Ergebnissen. Jeder Begriff in Skinners Ansatz bezieht sich auf ein ganz konkretes Faktum, auf Objekte und Ereignisse, die physikalisch vorhanden sind. Das ist Objektivität.

Chomskys dritte Kritik besteht darin, dass Sprache ein komplexes Phänomen sei, dessen Verständnis eine komplexe Theorie benötige. In der Tat ist Skinners Erklärungssystem ein relative einfaches im Vergleich zur Komplexität des zu Erklärenden. Andererseits hat es viele Variablen und ebenso viele Funktionen. Es ist guter wissenschaftlicher Brauch, eine Theorie, die ein komplexes Phänomen mit wenigen Annahmen erklärt, einer anderen Theorie vorzuziehen, die wesentlich mehr Annahmen machen muss – vorausgesetzt, die sonstigen Bedingungen sind gleich (dies wird auch als Occams Rasiermesser bezeichnet und solche „sparsamen“ Theorien werden gemeinhin als „elegant“ betrachtet). Auch eine Theorie sprachlichen Verhaltens, die keine speziellen grammatik-erzeugenden Regeln beinhaltet, kann sprachliche Äußerungen erklären, die grammatikalischen Regeln gehorchen. Auch aus einfachen Gesetzen können komplexe Phänomene resultieren. Skinner weist in Verbal Behavior auf die Möglichkeit der multikausalen Verursachung, die zu besonderen Effekten führe, immer wieder hin. Wer das Buch aufmerksam liest, erkennt, dass es sich bei weitem nicht nur auf die Erklärung einfachen sprachlichen Verhaltens beschränkt. Chomsky begeht den typischen Denkfehler der Pseudo- und Parawissenschaftler, wenn er die unerklärten Fälle überbewertet: Weil etwas aktuell nicht erklärt sei, müsse es auch unerklärlich sein. Nichts anderes legt Chomsky hier nahe und er gleicht damit den UFO- und Geistergläubigen in ihrer Argumentation vom Nicht-Wissen her (argumentum ad ignorantiam ).

Skinners Gesetze sind funktional insofern als sie den Zusammenhang von Umweltereignissen und  Verhalten beschreiben – beides objektiv beobachtbare Sachverhalte. Sie beziehen sich nicht auf andere Ereignisse, die hypothetisch angenommen werden oder erfunden werden, um zwischen den Umweltereignissen und dem Verhalten zu vermitteln. Diese Funktionalität wird bisweilen als eine Verleugnung solcher vermittelnden Mechanismen missverstanden. Natürlich existieren solche vermittelnden Mechanismen – sie sind natürlich neurologischer Natur und sie unterliegen natürlich ebenfalls bestimmten Gesetzen. Chomsky ignoriert diese Voraussetzungen und schreibt, dass man wohl von einer Theorie, die Verhalten voraussagen soll, erwarten dürfte, dass sie sich auf diese vermittelnden Mechanismen bezieht (a.a.O., S. 27). Vielleicht dürfte man das erwarten, aber man muss es nicht. Solange man kein Neurophysiologe ist, ist es absolut überflüssig, mehr über diese internen Strukturen zu wissen, als dass sie existieren. Die Verhaltensanalyse sagt erfolgreich Verhalten voraus, ohne sich auf vermittelnde Mechanismen zu beziehen. Ein Psychologe, der wüsste, wie genau diese interne Struktur zwischen Umweltereignissen und Verhalten vermittelt, könnte das Verhalten nicht besser voraussagen, denn alles was er dazu wissen muss, kann er auch ohne das Wissen um die innere Struktur wissen. Im Gegenteil: Wenn er etwas über diese innere Struktur in Erfahrung bringen möchte, muss er sich auf Verhaltensdaten beziehen; der Verhaltensanalytiker aber muss sich nicht auf hypothetische innere Strukturen beziehen, um Verhalten vorauszusagen.

Um zu wissen, wie schnell ein Auto fahren wird, dessen Fahrer das Gaspedal auf eine bestimmte Art und Weise drückt, muss ich nichts über den Aufbau des Motors wissen: Es genügt zu wissen, dass das Auto einen Motor hat. Es ist lediglich notwendig, das „Verhalten“ des Autos unter bestimmten Umweltbedingungen (bei einem bestimmten Verhalten des Fahrers und bei bestimmten Straßenverhältnissen) zu beobachten. Der Vergleich hinkt insofern, als Psychologen nicht in der Lage sind, die Motorhaube zu öffnen. Kognitive Psychologen gleichen Auto-Experten, die über den hypothetischen Aufbau eines Motors debattieren, während ihre eher praktisch veranlagten Kollegen (die Verhaltensanalytiker) lieber eine Testfahrt unternehmen…

Chomsky sieht diese innere Struktur vor allem im Gehirn und er vermutet ihren Ursprung zum größten Teil in der genetischen Vorherbestimmung oder Programmierung. Obwohl er mit beidem (dem Sitz der inneren Struktur im Gehirn und der genetischen Bestimmtheit der Struktur des Gehirns) zweifelsohne Recht hat, so hat das doch nichts mit dem Inhalt von Skinners Hypothese zu tun. Chomsky (und die kognitiven Psychologen) scheint der Psychologie die Aufgabe zuzuweisen, mit den verfügbaren Daten – dem Verhalten – so lange vorläufig zu arbeiten, bei die Neurologie mit der „wirklichen“ Erklärung aufschließen kann (a.a.O., S. 27; im übrigen war das auch Sigmund Freuds ursprüngliche Position – die Physiologie werde eines Tages seine Theorie bestätigen, hoffte er). Tatsächlich aber „versuchen“ Verhaltensanalytiker nicht, Verhalten zu „spezifizieren“ – sie tun es bereits. Die funktionalen Gesetze der Verstärkung sind gesichertes empirisches Wissen, nicht eine Theorie, die auf eine neurologische Bestätigung wartet.

Für Chomsky scheint es von großer Bedeutung zu sein, dass möglicherweise bestimmte Aspekte des sprachlichen Verhaltens genetisch vorbestimmt sind. Er lastet es Skinner sehr an, dass dieser dazu keine Stellung bezieht und sieht das als eine unentschuldbare Lücke an. Zum einen folgert er aus der genetischen Vorbestimmtheit dass eine Theorie des sprachlichen Verhaltens deswegen unbedingt die Struktur des Gehirns berücksichtigen muss. Zum anderen ist für ihn der Umstand der genetischen Programmierung von Sprachverhalten inkompatibel mit der Rolle der Verstärkung, die Skinner ihr zuweist. Dem lässt sich entgegnen, dass die Struktur des Organismus nicht notwendigerweise in einem psychologischen Gesetz berücksichtigt werden muss (wie Chomsky das fordert, a.a.O., S. 44). So lange das Gehirn programmiert ist, wird es gesetzmäßige Zusammenhänge zwischen Stimuli und Verhalten erzeugen und ein funktionales Gesetz, das diesen Zusammenhang beschreibt, muss sich nicht auf die Struktur des Gehirns beziehen. Zudem, wenn die genetische Programmierung wirklich so eine große Rolle spielt, dann wird dies nicht durch die Berücksichtigung der Struktur, sondern nur durch die Berücksichtigung des Verhaltens erkannt werden. Zum anderen gibt es keine Unvereinbarkeit von genetischer Evolution und dem Prinzip der Verstärkung, im Gegenteil: beide ergänzen sich.

Chomsky erliegt auch dem üblichen Denkfehler aller „biologistischen“ Theoretiker: Der bloße Umstand, dass es grammatikalische Universalien gibt – so es diese denn gibt – ist kein Beleg dafür, dass es ein ererbtes Subsystem zum Grammatikerwerb im Gehirn gibt. Wenn alle Menschen, die Sprache erwerben, dies auf dieselbe Art und Weise tun (z.B. via Verstärkung), dann ist es nur wahrscheinlich, dass das Resultat dieses Erwerbs – die Sprache – gewisse Gemeinsamkeiten aufweist.

Des weiteren beeindruckt Chomsky der Umstand, das Kinder (bei weitem aber nicht alle Kinder) Grammatik vergleichsweise schnell erwerben – was seines Erachtens im Widerspruch zum Erwerb durch Verstärkung steht. Es ist aber nichts an der Verstärkung, das voraussetzt, dass diese langsam ablaufen müsste.

Alles in allem beschäftigt sich Skinner mit dem, was auch immer die Genetik dem Organismus zu tun übrig lässt. Diese beiden Faktoren sind nicht inkompatibel. Es ist unlogisch anzunehmen, weil wir eine Disposition für grammatikalisches Verhalten hätten, könnten wir dieses Verhalten nicht durch Verstärkung gelernt haben.

Grammatik besteht für Chomsky in einer Theorie bzw. Regeln oder einer Kompetenz, über die ein Mensch verfügt. Es ist eine Sache, über die das Kind und später der Erwachsene verfügt. Diese Sache offenbart sich dadurch, dass die Person über einen Mechanismus zum Verstehen und zum Generieren grammatischer Sätze verfügt. Dieser Mechanismus kontrolliert gewissermaßen den Eingang und Ausgang der Sprache. Zunächst einmal ist es merkwürdig, warum wir über einen Mechanismus verfügen sollten, der dem Rest der Person ständig mitteilt, ob ein Satz wohlgeformt ist oder nicht. Sprache muss aber nicht von einer extra Grammatik-Einheit produziert werden, um grammatisch zu sein. Ein simples System kann sehr strukturierten Output produzieren. Diese Struktur muss nicht im System vorliegen, sie liegt allein im Output selbst vor. Chomsky dagegen nimmt an, dass Grammatik quasi unabhängig von dem Gesprochenen vorliege und auf das Gesprochene einen kausalen Einfluss ausübe. Chomsky sieht diesen Grammatik-Mechanismus als eine Art Kontrollinstanz, die durch keinerlei Input erreicht wird. Aber niemand spricht reine Grammatik: Alle Sätze haben grammatikalisch irrelevante Elemente – zu mindest haben sie Inhalt. Früher oder später muss irgend etwas in dieses System hinein kommen. Eine sprachlich kompetente Person kann zwischen verschiedenen Sätzen hinsichtlich ihrer Grammatikalität diskriminieren und sie kann grammatikalisch richtige Sätze erzeugen, die von andern dahingehend diskriminiert werden können. Das bedeutet nicht notwendigerweise, dass diesen beiden Fähigkeiten ein gemeinsames System zugrunde liegt. Ein Kind lernt sowohl zu laufen als auch zwischen „laufen“ und anderem Verhalten bei anderen Menschen zu diskriminieren. Durch die Annahme, das Kind verfüge über eine Theorie des Laufens, wird nichts gewonnen.

Im zweiten Teil der Besprechung kritisiert Chomsky die Anwendung von Skinners System auf sprachliches Verhalten. So fragt er sich, ob man je den relevanten Deprivationszustand für solche Forderungen wie „Gib mir das Buch!“ herausfinden wird. Dabei vergisst er, dass Verstärker nicht notwendigerweise trieb-reduzierend wirken müssen. Ein weiterer Lapsus unterläuft Chomsky, als er sich darüber amüsiert, dass „ein Sprecher nicht angemessen auf die Forderung `Geld oder Leben´ reagieren wird können, so lange er keine Vorgeschichte hat, die ein Getötet-werden beinhaltet“ (a.a.O., S. 46). Der Sprecher aber äußert in diesem Fall die Forderung und benötigt lediglich eine Vorgeschichte, die das Bedürfnis nach Geld beinhaltet. Das Absurde liegt hier bei Chomsky und nicht in Verbal Behavior.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Chomsky eine Theorie kritisiert hat, die so von niemandem vertreten wird, ein Amalgam, dass einige veraltete behavioristische Versatzstücke beinhaltet, wie z.B. die triebreduzierende Wirkung von Verstärkung, das Extinktions-Kriterium für Antwort-Stärke, eine Pseudo-Inkompatibilität von Genetik und Verstärkung und andere Dinge mehr, die nichts mit Skinners Theorie zu tun haben. Chomsky weist ohne Diskussion die Logik des Reduktionismus zurück und er erkennt an keiner Stelle die Möglichkeit an, dass Verhalten durch verschiedene Ursachen beeinflusst wird – bei Skinner nimmt das breiten Raum ein.

Die kognitive Psychologie begründet zum Teil mit Chomskys Besprechung von Verbal Behavior die Notwendigkeit für ein neues Paradigma und den Abschied vom Behaviorismus. Neue Paradigmen aber sind, so MacCorquodale, in der Psychologie im Dutzend billiger. Behavioristen verstehen neue Daten. Jedoch konnte weder Chomsky noch einer seiner geistigen Schüler bislang Daten vorlegen, die die Grundaussagen von Verbal Behavior in Frage stellen könnten.

Palmers Kritik an Chomskys „angeborener Grammatik“

Palmer (2000) stellt fest, dass er lange Zeit Chomskys Kritik an Skinner lediglich als eine polemische Übung ohne echte Bedeutung für die Wissenschaft von der Analyse des verbalen Verhaltens betrachtet hat. Jedoch belehrte ihn die Reaktion vieler Linguistik-Professoren auf seine Einwände gegen Chomsky eines Besseren: Er kam sich vor wie ein Fanatiker, den man nur milde belächelte, zu eingefahren war die Überzeugung, Chomsky habe Skinner „widerlegt“. Offenkundig besteht noch großer Aufklärungsbedarf.

Die Kontroverse zwischen Skinner und Chomsky dreht sich nicht darum, ob sprachliches Verhalten sowohl ontogenetische als auch phylogenetische Voraussetzungen hat, sondern darum, ob es einen angeborenen Mechanismus geben muss, der die Anordnung elementaren verbalen Verhaltens beschränkt.

Chomskys Argumentation geht, verkürzt, folgendermaßen: Muttersprachler wissen viele Dinge über die Syntax ihrer Sprache, die sie nicht durch Beobachtung erschlossen haben können und die man ihnen nicht explizit beigebracht hat. Daher muss dieses Wissen angeboren sein.

Cook und Newson (1996) bemerken hierzu in aller Unschuld, dass man vor Darwin die Adaptivität der Organismen auf dieselbe Weise mit der Existenz eines Schöpfers erklärt habe (und bringen so unfreiwillig die Sache auf den Punkt).

All die Argumente, die für eine angeborene Grammatik ins Feld geführt werden, erinnern uns lediglich daran, dass Sprache unglaublich nützlich ist. Sie rechtfertigen nicht Chomskys Grammatik und sie erklären nicht, warum jemand einen Nachteil im Kampf ums Überleben hätte, wenn er sich nicht an bestimmte Regeln dieser Grammatik hielte.

Die Annahme, dass Muttersprachler die verschiedenen Regeln ihrer Sprache kennen, ist im banalen Sinne nicht wahr – die wenigsten können eine grammatikalische Regel benennen. Doch wir können in der Tat feststellen, dass das meiste verbale Verhalten der meisten Menschen durch die Regeln der von Linguisten erstellten Grammatiken beschrieben werden kann. Aber diese Regeln sind von Linguisten aufgrund der Beobachtung des verbalen Verhaltens von Menschen erstellt worden. Dass jemand ein Verhalten modellieren kann, bedeutet nicht, dass das Individuum, welches dieses Verhalten zeigt, das Modell kennt. Die Taube auf einem Verstärkungsplan weiß nichts vom matching law und beim Fliegen weiß sie nichts von der Aerodynamik. Doch Chomsky meint, dass Grammatik nicht nur ein Modell der Sprache ist, er meint, dass Grammatik etwas ist, dass der Sprecher „weiß“.

Palmer (2000, ursprünglich 1981) kritisiert Noam Chomskys These, dass Grammatik (in einem bestimmten Sinne) angeboren sei. Diese Position hat unter Linguisten und Laien mit Interesse an der Materie große Popularität erfahren, denn Chomsky versteht es, gekonnt – zum Teil polemisch – und überzeugend zu argumentieren. Chomsky behauptet, mit seinem Ansatz bei der Erklärung des Spracherwerbs erfolgreich zu sein. Erfolg, so Palmer, verdient unsere Aufmerksamkeit, egal vor welchem theoretischen Hintergrund er zustande kommt.

Im wesentlichen geht es um Chomskys Annahme, dass das Gehirn des Neugeborenen in irgend einer Weise darauf vorbereitet sein muss, aus dem sprachlichen Material, das ihm geboten wird, Regeln zu extrahieren. Palmer kritisiert diese Annahme aus zwei Gründen: Zum einen sei es eine Überforderung der biologischen Evolution, anzunehmen, sie habe einen derartigen Mechanismus hervorbringen können. Zum andern muss dieser angeborene Mechanismus im Gehirn auf Reize reagieren, wirkliche Ereignisse in der physikalischen Welt. Jedoch scheint Chomsky nicht in der Lage zu sein, diese Ereignisse zu benennen. Zuletzt weist Palmer Chomskys spitzfindige Argumente gegen eine verhaltenswissenschaftliche Analyse der Sprache zurück, denn Chomsky verwechselt die Eigenschaften seines formellen Systems mit den Eigenschaften menschlicher Wesen: Die Feststellung, dass Sprache aus einer unendlichen Anzahl von Sätzen besteht, muss verworfen werden, wenn man aus der dünnen Luft formaler Analysen in die in die Welt von Umweltereignissen und Verhalten tritt.

Chomsky nimmt einer universelle Grammatik an, die gewissermaßen den vielgestaltigen Grammatiken der realen Welt übergeordnet ist bzw. zugrunde liegt. Er interessiert sich für die „essentielle Natur“ menschlicher Wesen und diese Grammatik soll also genetisch codiert sein. Jedoch ist der Nachweis des Beitrages der Genetik zum menschlichen Verhalten aus vielerlei Gründen sehr schwierig. So ist es z.B. unmöglich, diesen Nachweis experimentell zu erbringen – und im Falle der Sprache ist auch der Umweg über das Experiment am Tier (z.B. Zuchtexperimente oder Experimente, bei denen Tiere isoliert von Artgenossen aufwachsen) ausgeschlossen, denn Tiere zeigen keine dem Menschen vergleichbare Sprache.

Chomsky meint mit der „angeborenen Grammatik“ tatsächlich eine Grammatik im traditionellen Sinne, eine Sammlung von Regeln. Er benutzt häufig alltagssprachliche mentalistische Begriffe wie „Absicht“, „Glaube“, „Wille“ und „Geist“, ohne diese zu definieren. Deswegen bleibt seine Darstellung abstrakt und metaphorisch. Offenkundig, so Palmer, wartet Chomsky auf den Tag, an dem jemand kommt und seine Begriffe operationalisiert, ohne zugleich sein formales System, das er auf diesem terminologischen Treibsand errichtet hat, einstürzen zu lassen.

Chomskys Analyseeinheit ist der Satz und seine Daten sind seine Urteile – und die von ihm unterstellten Urteile anderer – darüber, welche Sätze „wohlgeformt“ seien und welche nicht. Sätze aber sind ein Begriff aus einem formalen System, nicht Einheiten der natürlichen Sprache. Wenn das verbale Verhalten eines Menschen und seine Urteile über verbale Äußerungen (ob diese „wohlgeformt“ oder nicht sind) eine Funktion der speziellen Erfahrungen sind, die diese Individuum in einer speziellen Umwelt gemacht hat, dann werden uns Überlegungen über einen idealen Sprecher in einer hypothetischen Gemeinschaft nicht weiterhelfen. Sobald er mit ungeordneten Daten konfrontiert wird, zieht sich Chomsky in eine hypothetische Welt zurück, in der Ordnung erscheint. Es ist nicht überraschend, dass noch nie jemand einen alternativen Ansatz zu Chomsky vorgeschlagen hat, denn diese Welt ist eine, die Chomsky selbst entworfen hat.

Die genetische Ausstattung ist oft eine bequeme Quelle für „Erklärungen“, wenn wir es mit einem Verhaltensphänomen zu tun haben, das wir nicht verstehen. Die Evolution hilft Chomsky nicht, wenn er seine angeborene Grammatik zu rechtfertigen sucht. Wenn eine Regel dieser Grammatik eine willkürlich Beschränkung ohne Konsequenzen in der ontogenetischen Umwelt ist und daher nicht durch kommunikative Kontingenzen erzeugt worden sein kann (wie Chomsky selbst schreibt, 1980, S. 41), dann kann sie auch keinen Selektionsvorteil für den Organismus darstellen, der in dieser Umwelt lebt. Wohlgemerkt: Die Fähigkeit zur Sprache als solche stellt sehr wohl einen Selektionsvorteil dar, nicht aber die Regeln einer universellen Grammatik. Also können sie auch nicht im Laufe der Stammesgeschichte erworben worden sein, denn sie würden ihrem Träger keinen adaptiven Nutzen bringen. Chomsky scheint darüber hinaus das Evolutionsprinzip nicht so recht zu begreifen, wenn er diesem Einwand entgegnet, die Stammesgesichte habe aber sehr viel Zeit gehabt, diese Regeln in das Erbgut zu schreiben: Wenn sie keinen Vorteil bringen, dann werden sie nicht ins Erbgut übernommen, egal wie viel Zeit vergeht. Chomsky sieht zuletzt noch einen Ausweg in „Zufallsmutationen“ oder in „physikalischen Gesetzen, die wir jetzt noch nicht kennen“ (1969, S. 262), um seine These von der genetisch verankerten Grammatik zu retten.

Zwar ist es zutreffend, dass nicht alles, was in den Genen codiert ist, von adaptivem Wert sein muss – Haar- und Augenfarbe sind hier Beispiele – jedoch sind diese Merkmale auch nicht universell. Die Erklärung, dass Sprache ein zufälliges Nebenprodukt anderen, früherworbenen Verhaltens ist, erscheint ebenso plausibel. Menschen verfügen über die nötige organische Ausstattung, um zu sprechen, ihr Verhalten ist besonders formbar durch soziale Verstärkung und einiges mehr. Diese Unterschiede sind quantitative, nicht qualitative. Sie können leicht durch die Mechanismen von Variation und Selektion entstanden sein und sie allein genügen, um das verbale Verhalten von Menschen zu erklären.

Wenn Chomsky behauptet, dass Sprache genetisch determiniert ist, dann muss er angeben können, welche Umweltereignisse dieses angeborene Verhalten auslösen oder steuern. Aber offenkundig gibt es keine physikalischen Merkmale, die erkennen lassen, ob ein Wort beispielsweise ein Verb oder ein Substantiv ist. Chomsky „löst“ das Problem dadurch, dass er es zu einem prinzipiell nicht-lösbaren erklärt.

Chomsky setzt den Satz als Analyseeinheit als evident voraus. Sätze aber sind formale Einheiten, keine des Verhaltens. Wenn die Analyseeinheiten a priori definiert werden, dann haben sie möglicherweise nur wenig mit dem zu tun, was in der Realität tatsächlich geschieht. Chomsky betont immer wieder, dass die Grammatik eine unendliche Anzahl an Sätzen hervorbringen kann. Er folgert daraus, dass auch Menschen eine unendliche Zahl an Sätzen hervorbringen und verstehen können. Selbstredend ist das keine empirische Tatsache. Palmer (2000) zieht folgenden Vergleich: Bekanntlich vollführen Bienen nach ihrer Heimkehr von der erfolgreichen Futtersuche zum Stock einen Tanz, durch den sie anderen Bienen die Richtung und Entfernung der Futterquelle mitteilen. Die Kreise, die die Bienen dabei vollführen, können prinzipiell unendlich viele verschiedene Durchmesser haben. Zweifelsohne haben noch nie zwei Bienen denselben Tanz vollführt. Trotzdem ist diese Variabilität irrelevant, sofern sie nicht in einer Beziehung zur Position der Futterquelle steht. Denn natürlich kann keine Biene eine unendliche Zahl an Tanz-Mustern unterscheiden, weder als Tänzerin, noch als Zuschauerin. Obwohl nun also eine abstrakte Beschreibung der Bienensprache eine unendliche Zahl an möglichen „Sätzen“ zutage fördern könnte, so ist es doch wahrscheinlich, dass Bienen nicht mehr als cirka hundert Muster wirklich unterscheiden (indem sich ihr Verhalten in Reaktion darauf unterscheidet). Festzustellen, dass Bienen die „Kompetenz“ besitzen, eine unendliche Zahl an Mustern zu interpretieren, bedeutet, eine Eigenschaft unseres formalen Systems der Bienensprache mit einer Eigenschaft des Organismus zu vermengen.

Naom Chomsky im Interview mit Javier Virues-Ortega (2006)

Chomskys (1959) Besprechung ist beinahe ebenso berühmt wie Verbal Behavior selbst. Leahey (1987) erklärte, Chomskys Besprechung sei die einflussreichste Einzelarbeit in der Psychologiegeschichte seit Watsons (1913) Psychology as the behaviorist views it. Knapp (1992) berichtet, zwischen 1972 und 1990 sei auf zwei Zitationen von Verbal Behavior eine von Chomskys Besprechung gekommen – ein wohl einzigartiges Verhältnis zwischen einem Buch und seiner Rezension (S. 87). Laut Marc Richell (nach Virues-Ortega, 2006, S. 243) spiegelt dies wohl den Umstand wieder, dass sich die meisten Wissenschaftler mit Informationen aus zweiter Hand zufrieden geben.

Für Nicht-Behavioristen stellt Chomskys Besprechung (1959) einen Meilenstein in der Geschichte der Psychologie dar. Die Besprechung zeige, so Fodor und Katz (1964, S. 564), dass sprachliches Verhalten nicht durch Skinners funktionale Analyse erklärt werden könne. Nach Smith (1999) ist Chomskys Besprechung die wohl vernichtendste, die je über ein Buch geschrieben wurde, es handle sich hier um die Totenglocke das Behaviorismus (S. 97). Darüber hinaus wird das Buch als einer der grundlegenden Texte des Kognitivismus betrachtet (ebd.).

Skinner selbst betrachtete die Besprechung als schwer zu beantworten. Chomskys Ton sei emotional und der Inhalt lasse grundlegende Kenntnisse der Verhaltensanalyse vermissen: „Chomsky versteht einfach nicht, worüber ich rede und ich sehe keinen Sinn darin, ihm zuzuhören“ (Skinner im Gespräch mit Andresen, 1991, S. 57, Übersetzung CB).

Javier Virues-Ortega (2006) stand über zwei Jahre hinweg mit Chomsky in Kontakt. Ein am 23. März 2004 geführtes Interview mit ihm wurde in der Zeitschrift der Association for Behavior Analysis, The Behavior Analyst mit dem Einverständnis Chomskys abgedruckt.

Chomsky erläutert hier zunächst, was ihn am Behaviorismus missfiel. Er fände schon das ganze Vorhaben, Verhalten zum Gegenstand einer Wissenschaft machen zu wollen, fragwürdig. Das Verhalten sei das Datenmaterial, mit dem man sich auseinandersetze. Verhalten könne nicht der Gegenstand sein; der Gegenstand, den man untersuche, sei die Kompetenz oder die Kapazität, Verhalten zu zeigen. Verhalten zum Gegenstand der Psychologie zu machen sei, als ob man die Physik als die Wissenschaft vom Ablesen der Messgeräte definiere.

Chomsky schildert weiter den konkreten Anlass, wie es zu Abfassung der Besprechung kam. Skinner und Skinners Texte hätten in den fünfziger Jahren die Orthodoxie repräsentiert. Verbal Behavior war einer jener heiligen Texte, die zu dieser Zeit jeder gelesen hätte. Außer ihm (Chomsky) habe es nur sehr wenige Menschen gegeben, die gespürt hätten, dass mit all dem etwas nicht in Ordnung ist. Noch vor Abfassung von Verbal Behavior wären die Mitschriften der William-James-Vorlesung Skinners von Hand zu Hand gereicht worden. Auf diese habe er sich auch bezogen, als er die Besprechung geschrieben habe: „I actually wrote the review before the book was published“ (S. 246).

Chomskys Besprechung war nun nicht die erste und auch nicht die einzige, die über Verbal Behavior geschrieben worden war. Der Grund, warum sie so erfolgreich war, lag laut Chomsky im guten Timing. Die Linguistik begann zu dieser Zeit zu erkennen, dass Sprache einfach nicht so funktionieren könnte wie Skinner das beschrieb. Es habe damals ein „interaktives Amalgam“ gegeben, in das sehr wenige Leute (außer ihm) einbezogen gewesen seien. Hinzu sei gekommen, dass sich die Befunde dafür, dass der Behaviorismus zu Erklärung des Verhaltens nicht tauglich sei, damals gehäuft hätten. Die Brelands hätten dann ja 1961 gezeigt, dass er nicht mal bei Tieren funktioniere. Die Brelands, so Chomsky, hätten bemerkt, dass ihre Versuche, Tiere zu konditionieren, früher oder später scheiterten, weil die Tiere wieder in ihr instinktives Verhalten zurückgefallen seien. Nicht mal bei Tauben (Skinners Haupt-Versuchstieren) funktioniere es so, wie Skinner das behauptet habe. Der Behaviorismus sei eben genau zu diesem Zeitpunkt kollabiert und die kognitive Psychologie habe das Feld übernommen.

[Chomskys Darstellung der Arbeiten der Brelands weicht übrigens ganz erheblich von dem ab, was diese geschrieben haben. – Auch die Abfolge der Ereignisse im Rahmen der sog. kognitiven Wende ist etwas verzerrt. Viele Indikatoren zeigen an, dass die Verhaltensanalyse nach wie vor ein wachsendes, lebendiges Forschungsprogramm ist. Ein schneller Wechsel der Paradigmen hat schlicht nicht stattgefunden.]

Auf die Frage, welchen Effekt seine Arbeit auf die Verbreitung der kognitiven Psychologie hatte, entgegnet Chomsky, es sei nun wirklich nicht an ihm, diese Frage zu beantworten. Auch andere (z.B. die Brelands) hätten Anteil an diesem Wechsel gehabt.

MacCorquodale (1970) und andere haben einige Mängel in Chomskys Besprechung aufgezeigt, so unter anderem:

  • Chomsky unterstellt Skinner, die Wirkungsweise der Verstärkung über die Reduktion der Triebenergie zu erklären – was nicht der Fall ist. Chomsky verwendet volle 6 Seiten auf eine Kritik der Triebreduktionstheorie (die schon Jahrzehnte vor Verbal Behavior weder von Skinner noch von irgendeinem anderen Behavioristen vertreten wurde).
  • Die „Stärke“ einer Reaktion werde, so Chomsky, von Skinner über den Widerstand gegen die Extinktion definiert (eine Reaktion sei also um so stärker, je schwieriger es sei, sie zu extingieren). Dies ist definitiv nicht Skinners Position, Reaktionsstärke ist für ihn die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Reaktion.
  • Skinner behandle in seinem Buch nicht die Grammatik (d.h. die Frage, wie es dazu kommen kann, dass Äußerungen eines Sprechers den Regeln der Grammatik gehorchen). Auch dies ist definitiv nicht so: Skinner widmet diesem Thema viele Seiten seines Buches.

Virues-Ortega (2006) bittet Chomsky, zu diesen Punkten Stellung zu nehmen, erfährt von diesem aber nur, er habe bereits vor 30 Jahren ausführlich darauf geantwortet. Natürlich sei ihm klar gewesen, dass die Triebreduktionstheorie von Skinner nicht vertreten werde. Er habe aber mit seiner Besprechung weit über Skinner hinaus gehen wollen und den Behaviorismus als Ganzes kritisieren wollen. [Anmerkung.: Welcher andere Behaviorist hat dann noch 1959 die Triebreduktionstheorie vertreten?]. Sein Standpunkt sei nach wie vor: Wenn man Skinner wörtlich nehme, liege er offenkundig falsch. Wenn man seine Äußerungen aber als Metaphern auffasse, dann seien sie nur eine schlechte Übersetzung der normalen mentalistischen Terminologie in eine Terminologie, die man aus dem Labor herausgenommen habe und ihrer Bedeutung beraubt habe.

Einige Hunderte sauber durchgeführte Studien sind seit Verbal Behavior auf Grundlage der dort verwendeten Prinzipien durchgeführt worden. Viele empirische Befunde und angewandte Methoden, die aus den in Verbal Behavior dargelegten Konzepten abgeleitet wurden, haben gezeigt, dass diese einen Nutzen außerhalb des Labors haben, z.B. Verfahren zur Behandlung von Sprechstörungen, Sprachlehrmethoden im allgemeinen usw. (z.B. Goldstein, 2002). Virues-Ortega fragt Chomsky, ob er nicht meine, dass die Anwendung der Verhaltensanalyse auf den Bereich der menschlichen Sprache zumindest manchmal nützlich sein könne.

Natürlich, so Chomsky, könne Verhaltensanalyse nützlich sein. So diene die Verhaltensanalyse z.B. dazu, den Effekt von Medikamenten auf das Verhalten von Menschen und Tieren zu untersuchen [ein anderes Beispiel kann Chomsky auch an anderer Stelle nicht nennen]. Aber darum sei es ja ursprünglich nie gegangen. Es gäbe genau Null („precisely zero“, S. 248) Nutzen in den Bereichen, die die Verhaltensanalyse ursprünglich angepeilt habe.

Ob die Verhaltensanalyse und die Analyse der Sprache nach Chomsky nicht voneinander profitieren könnten, fragt Virues-Ortega. Er könne sich nicht vorstellen, wie das gehen solle, so Chomsky. Er wisse von keinem Forschungsprogramm auf der Basis von Verbal Behavior. Das einzige, was von Skinners Arbeit übrigbleibe, seien einige rechte nützliche experimentelle Techniken. Deswegen schlössen sich eine formale und eine funktionale Analyse der Sprache nicht gegenseitig aus, das werde durchaus praktiziert, z.B. von ihm selbst.

Chomsky (1959) räumt ein, dass die Untersuchung von Konditionierungsprozessen insbesondere bei Tieren durchaus ihre Berechtigung habe. Die Übertragung auf den Bereich menschlichen, insbesondere sprachlichen Verhaltens sei aber nicht angemessen. Die dort verwendeten Konzepte seien „leer“ und nutzlos. Hängt also, so Virues-Ortega, die Gültigkeit dieser Konzepte von der Komplexität des Untersuchungsgegenstandes ab (schon MacCorquodale hat 1970 bemerkt, dass Chomsky offenbar davon ausgeht, dass außerhalb des Labors andere Naturgesetze gelten als innerhalb)?

Chomsky betont nun wieder, dass die Verhaltensanalyse ja z.B. auch in der pharmazeutischen Industrie ihre Anwendung gefunden habe und dass ihre Techniken durchaus auch gelegentlich in der „ernsthaften“ („serious“, S. 249) experimentellen Psychologie verwendet werden. Aber die Verhaltensanalyse sage wenig darüber aus, wie sich tierisches Verhalten entwickle oder wie es ausgeführt werde. Ob überhaupt so etwas wie Konditionierung existiere, werde ja auch immer wieder in Frage gestellt, z.B. von dem kognitiven Neuropsychologen Randy Gallistel (Gallistel & Gibbon, 2002) [Anmerkung.: Gallistel bezieht sich jedoch fast ausschließlich auf das klassische Konditionieren].

Zuletzt konfrontiert Virues-Ortega Chomskys mit den Einschätzung Skinners und anderer Verhaltensanalytiker bezüglich des Tonfalls seiner Besprechung. Skinner selbst fragte sich angesichts von Chomskys (1971) Besprechung von Skinners (1971) Beyond Freedom and Dignity, warum dieser wohl so wütend auf ihn sei. In der Besprechung von Verbal Behavior verwendet Chomsky viele Begriffe, die von Verhaltensanalytikern als herabsetzend oder aggressiv eingestuft wurden („Hebeldrückexperimente“, „perfekt nutzlos“, „Tautologie“, „sagt nichts von Bedeutung“, „Als-ob-Wissenschaft“ – „play-acting at science“ usw., alle Zitate aus Chomsky, 1959, S. 36-39).

Chomsky erwidert, er habe nachgeschaut, in welchem Kontext einige der oben genannten Wendungen vorgekommen seien. Es habe sich jedes Mal um eine vollkommen wertfreie Feststellung gehandelt. Dass die Definition von Verstärkung eine Tautologie sei, werde ja immer wieder von anderen als ihm festgestellt. Er könne also nicht erkennen, was da „wütend“ oder „aggressiv“ wirke. Er dagegen finde die Reaktionen auf seine Besprechung als nachgerade beleidigend („offensive“, S. 250). Die Kommentatoren sollten also gewissermaßen erst mal vor ihrer eigenen Türe kehren.

David Palmers Analyse des Interviews

Palmer (2006) sieht durch das Interview (Virues-Ortega, 2006) bestätigt, dass Chomsky Skinners Ansatz zur Erklärung sprachlichen Verhaltens noch immer völlig verständnislos gegenübersteht und dass er nach wie vor äußerst stereotype Ansichten über dessen konzeptuelle und empirische Grundlagen hegt.

Zunächst berichtet Palmer einige Hintergründe zur Entstehungsgeschichte von Verbal Behavior, die Chomskys Ausführungen im Interview illustrieren. Der Impuls für Verbal Behavior ging 1934 von einer Unterhaltung Skinners mit dem Philosophieprofessor Alfred North Whitehead bei einem Dinner in Harvard aus. Skinner legte seine Ansichten dar, bis Whithead ihn aufforderte, doch sein sprachliches Verhalten zu erklären, wenn er jetzt gleich „No black scorpion is falling upon this table“ („Kein schwarzer Skorpion fällt jetzt auf diesen Tisch“) sagen werde. Skinner begann noch in der Nacht nach dem Gespräch mit Whitehead die Arbeit an einer verhaltenswissenschaftlichen Interpretation der Sprache. Er widmete einen Großteil des Jahres 1944 diesem Projekt und fasste seine Erkenntnisse 1947 in der William James Vorlesungsreihe an der Universität Harvard zusammen. Kopien des Vorlesungsskripts kursierten bald unter den Studierenden, was nicht nur Chomsky (im Gespräch mit Virues-Ortega, 2006), sondern auch Osgood (1958) bestätigt. Während eines Forschungsfreisemesters 1955, das Skinner in Putney im US-Bundesstaat Vermont verbrachte, verfasste er den Rohtext von Verbal Behavior.

Skinner (1957) betont gleich auf den ersten Seiten von Verbal Behavior, es handle sich hier nicht um eine experimentelle Analyse sondern vielmehr um eines Interpretation von alltäglichen Fakten. Dabei beruht diese Interpretation auf gut kontrollierten Laborexperimenten. Skinner bezieht sich nicht auf traditionelle strukturelle Formulierungen und steht weit jenseits der üblichen Spekulationen in der Psychologie und der Linguistik. Die konzeptuellen Grundlagen des Buches sind gänzlich bereits in The Behavior of Organisms (1938) und in Science and Human Behavior (1953) zu finden.

Die ersten Besprechungen des Buches waren zum Teil positiv, zum Teil gemischt, immer aber respektvoll (siehe Knapp, 1992, für eine Zusammenfassung). Chomskys (1959) Besprechung dagegen war 33 Seiten lang und in einem aggressiven, debattenartigen Stil verfasst, wie er unter Linguisten und Philosophen gelegentlich üblich ist. Chomsky schickte Skinner einen Entwurf seiner Besprechung, der sie aber nach kurzer Lektüre, angewidert von ihrem polemischen Stil, beiseite legte (Skinner, 1972, S. 345-346).

Chomskys (1959) zentraler Punkt ist folgender: Wenn man Skinners Analyse wörtlich nimmt, dann ist sie offenkundig falsch. Wenn man sie im übertragenen Sinne auffasst, dann ist sie nicht mehr als eine alltägliche Betrachtung, die in die Sprache des Labors gefasst ist. „This creates the illusion of a rigorous scientific theory with very broad scope, although in fact the terms used in the description of real-life and laboratory behavior may be mere homonyms“ (S. 31). Chomsky argumentiert, dass Begriffe wie „Stimulus“, „Wahrscheinlichkeit“ und „Stimuluskontrolle“ unangemessen sind, wenn sie auf menschliches Verhalten übertragen werden. Er illustriert dies an vielen Beispielen. Der Begriff „Reaktionsstärke“ etwa sei eine Umschreibung für weniger eindrucksvolle Ausdrücke wie „Interesse“, „Absicht“, „Glaube“ usw. Skinner sage etwa über den Vorgang, wie eine wissenschaftliche Aussage betätigt werde aus, dass dabei zusätzliche Variablen generiert werden, die die Wahrscheinlichkeit der Aussage erhöhen („generating additional variables to increase its probability“, S. 425). Wenn man diese Definition, so Chomsky (S. 34), wörtlich nehme, dann könne man den Grad der Bestätigung einer wissenschaftlichen Aussage daran ablesen, wie laut, schrill oder häufig diese geäußert werde.

Gerade hier sieht man, wie sehr Chomsky Skinner absichtlich missverstand, um in der Debatte einen Punkt zu machen. Skinner überließ es oft dem Leser, sich die offenkundigen Beispiele selbst dazu zu denken. Die Überzeugungskraft von Chomskys Besprechung beruht zum Teil darauf, dass er sich nicht auf diese Aufgabe einlässt. Wann immer Skinners Text eine absurde Interpretation zuließ, stürzte sich Chomsky darauf. Es scheint, dass sich Chomsky auf die naheliegende Annahme stützte, dass kaum ein Leser die Mühe auf sich nehmen würde, die Zitate im Buch selbst im Kontext nachzulesen. Im obigen Bespiel zeigt die genaue Lektüre, dass Skinners Position gegenüber Chomskys Witzelei vollkommen immun ist. Nach Skinner hängt der Grad, zu dem ein Ereignis eine Äußerung „bestätigt“, zur Gänze von der Lerngeschichte des Individuums in Hinsicht auf die zusätzlichen kontrollierenden Variablen ab, von all dem, was diese ausmacht, von ihrer Art, von der Zuverlässigkeit des Sprechers usw. Ein Tact ist hier zum Beispiel wichtiger als ein Echoic. Zudem würde der Leser entdecken, dass die von Chomsky zitierte Passage in eine ausführliche Diskussion der pragmatischen Natur der wissenschaftlichen Wahrheit eingebettet ist, die alles andere eine bloße Umschreibung alltäglicher Weisheiten ist.

Wiest (1967) entgegnete auf Chomskys (1959) Besprechung, dass man Skinner wohl kaum zum Vorwurf machen kann, dass er es verabsäumte, die Konstrukte einer konkurrierenden Theorie zu beachten. Katahan und Koplin (1968) bezogen sich auf Kuhn (1962) und entgegneten, dass Wiest seine Zeit vergeude, denn der Konflikt zwischen dem Behaviorismus und seinen Kritikern sei ein paradigmatischer und dieser könne nicht durch einen Disput entschieden werden – nur die Zeit könne die Frage klären.

Kenneth Mac Corquodale (1970) schrieb eine ausführliche Entgegnung zu Chomskys Besprechung (vgl. oben) und reichte diese bei Language ein (der Zeitschrift, in der Chomskys Besprechung erschienen war). Aus nicht bekannten Gründen wurde das Manuskript dort abgewiesen, was angesichts der Bedeutung, die Chomsyks Besprechung hat, doch schon sehr erstaunt (und MacCorquodale ist kein Niemand, sondern einer der bedeutendsten Behavioristen). MacCorquodale veröffentlichte dann im Journal of the Experimental Analysis of Behavior. Palmer (2006) vermutet hierin einen der Gründe, warum so wenige Nicht-Behavioristen die Argumente gegen Chomsyks Besprechung wahrgenommen haben. MacCorquodale fasst Chomskys Besprechung so zusammen, dass diese sich auf drei Hauptargumente reduzieren lässt:

  1. Skinner Buch ist nicht mehr als eine ungetestete Hypothese
    Nach MacCorquodale setzt dieses Argument voraus, dass in der „wirklichen Welt“ (der menschlichen Sprache) andere Naturgesetze gelten als im Labor (was eine fürwahr wenig sparsame Grundannahme ist).
  2. Skinners technisches Vokabular ist lediglich eines Umschreibung traditioneller Begriffe
    Dem hält MacCorquodale entgegen, dass Skinners Begriff bei weitem sauberer definiert sind, als die diffusen Konzepte der Vernacular.
  3. Sprache ist ein komplexes Phänomen und es bedarf daher einer komplexen, neurologisch-genetischen Theorie, um sie zu erklären
    Wie interessant die zugrundeliegenden Prozesse auch sein mögen, eine Verhaltenswissenschaft ist nicht auf sie angewiesen, um Verhalten erklären zu können.

Zudem ignoriert oder missversteht Chomsky die Komplexität von Skinners Analyse. Chomsyk scheint zu glauben, dass wann immer Skinner eine kontrollierende Variabel nennt, er meint, damit die einzig verantwortliche Variable gefunden zu haben – so als sei Sprache nur eine Sammlung von Reflexen. Die multiple Verursachung von Sprechakten zieht sich jedoch als Thema durch das ganze Buch. In der Besprechung wird sie kein einziges Mal erwähnt.

Es gibt in der Tat auch informierte und faire Kritik an Teilen von Skinners Buch. So haben Hayes, Barnes-Holmes und Roche (2001), Stemmer (2004) und Tonneau (2001) eine Reihe an Problemen mit Skinners Theorie aufgelistet, die von trivialen zu fundamentalen Kritikpunkten reicht. Immer aber waren diese Kritiken mit einem Vorschlag zu einer verhaltensanalytisch basierten Verbesserung verbunden. Es ist somit unwahrscheinlich, dass ihre Vorschläge Chomsky zufrieden stellen würden.

Chomsky (1973) antwortete auf die Kritik MacCorquodales (1970) nur indirekt, in einer Fußnote (S. 24). Er erwidert aber praktisch gar nicht inhaltlich, sondern wiederholt lediglich sein bereits 1959 vorgebrachtes Argument: Wenn man Skinner wörtlich nehme… usw.

David Palmer (2006) erwiderte auf die zentrale Aussage Chomskys, dass man dieselbe Argumentation auch gegen Newtons Mechanik anwenden könnte: Wenn man Newtons Gesetze der Bewegung wörtlich nehme, dann seien sie (im Alltag) offenkundig falsch. Wenn man sie im übertragenen Sinne auffasse, dann seien sie nicht mehr als wissenschaftlich klingende Umschreibungen der Daumenregeln des Handwerkers. Skinner aber habe nicht beabsichtigt, dass man seine Analyse als Metapher auffasse. Er machte die starke Voraussage, dass die Prinzipien des Verhaltens, die im Labor entdeckt wurden im technischen Sinne auf die Interpretation sprachlichen Verhaltens angewandt werden können. Wenn Chomsky meine, leicht Beispiele aufzeigen zu können, die belegten, dass Sprache nicht so funktioniere, wie von Skinner beschrieben, dann vernachlässige er, dass die Realität immer komplex ist und Übertragungen von Laborergebnissen immer etwas spekulativ sind: Schon Newton klagte, dass er verzweifle, wenn er darüber nachdenke, wie der die Bewegung von nur drei Körpern (Erde, Sonne, Mond) bestimmen solle. Wie viel komplexer aber ist der Bereich menschlichen Verhaltens.

Spätestens seit 1970 wurde Chomskys Besprechung von Verbal Behavior zu einem Meilenstein der kognitiven Psychologie und Psycholinguistik. Kaum ein Lehrbuch der kognitiven Psychologie erwähnt sie nicht. Wann immer die Besprechung erwähnt wird, dann in der Regel so, als würde eine klassische Arbeit genannt – die Gültigkeit der Argumente Chomskys scheint für die Autoren außer Frage zu stehen. Bruner (1983) bezeichnete Chomsyks Besprechung als „elektrisierend: Noam in Höchstform, gnadenlos bringt er sein Opfer zur Strecke, brillant, Seit‘ an Seite mit den Engeln… in der selben Kategorie wie St. Georg, der den Drachen schlägt“ (S. 159-160, Übersetzung CB). Solche Äußerungen sind in der kognitiven Literatur weit verbreitet; nie aber findet man ein Anzeichen dafür, dass der Autor auch nur eine Zeile von Skinners Buch oder MacCorquodales Text gelesen hat (so Palmer, 2006, S. 259). Darüber hinaus ist die Behauptung, dass verhaltensanalytische Interpretationen von komplexen Vorgängen unangemessen sind, so etwas wie ein Axiom in den kognitiven Wissenschaften – und die Besprechung wird als ausreichender Beleg dafür angesehen.

Interessanterweise stoßen kognitive Forscher immer wieder auf Ergebnisse, die die Wirksamkeit der verhaltensanalytischen Prinzipien nahe legen (Dale, 2004). Statt nun aber diese Prinzipien zu vereinnahmen, schneidet sich die kognitive Psychologie davon ab. Richelle (1993) bemerkt hierzu, dass nur wenige Spezialisten bereit sind, das Risiko auf sich zu nehmen, in den Augen ihrer Kollegen in die Nähe von Skinner gerückt zu werden, wenn sie auch nur vermuten könnten, dass Skinner einige Entwicklungen der Psycholinguistik vorweggenommen hat. Chomskys Besprechung ist zumindest zum Teil dafür verantwortlich, dass die Verhaltensgesetze in den Theorien der Linguisten und Kognitivisten ausgeblendet werden. Die Besprechung war also sehr einflussreich: Ob der Einfluss der Psycholinguistik zum Vor- oder Nachteil gereicht, bleibt abzuwarten.

Man muss Chomsky zugute halten, dass er einer Diskussion mit Verhaltensanalytikern nie abgeneigt war. Der verhaltensanalytische Philosoph Ullin Place führte über 1993 eine Debatte mit Chomsky, die in The Analysis of Verbal Behavior veröffentlich wurde (Chomsky, Place & Schoneberger, 2000). Hier wie auch im Interview mit Virues-Ortega (2006) scheint Chomsky das Gefühl zu haben, aus einer Position der Stärke heraus argumentieren zu können. Palmer (2006) bemerkt einige Punkte zu Chomskys Interview von 2006:

Chomsky bestreitet, dass Verhalten ein Gegenstand der wissenschaftlichen Untersuchung sein kann. Es gehe immer um die zugrundeliegenden Prozesse, für die das Verhalten nur ein Indikator ist. Skinner widmete sich aber diesen „zugrundeliegenden Prozessen“ über weite Strecken seiner Karriere (vgl. Morris, Lazo & Smith, 2004). Chomsky scheint damit jedoch in keiner Weise vertraut zu sein und offenbart durch diese Aussage mehr über sich als über Skinner.

Chomsky weigert sich 2006 auch nur den geringsten Fehler einzugestehen, auch wenn er mit offenkundigen Fehlern seiner Besprechung konfrontiert wird. Zum Beispiel widmete er sechs Seiten der Besprechung einer Widerlegung der Triebreduktionstheorie der Verstärkung – der weder Skinner noch ein anderer Behaviorist seiner Zeit je anhing. Virues-Ortega hält Chomsky noch zwei weitere Beispiele vor, bei denen Chomsky Skinner Positionen unterstellt, die dieser nie vertreten hat. Man könnte nun erwarten, dass Chomsky diese Fehler zwar einräumt, aber bspw. als unbedeutend abtut. Doch nein: Chomsky übergeht diese Punkte einfach: „Natürlich habe ich die Triebreduktionstheorie diskutiert, aber ich habe sie nicht auf Skinner bezogen“ (Virues-Ortega, 2006, S. 247, Übersetzung CB). Wieso „natürlich“? Wessen Triebreduktionstheorie diskutierte Chomsky dann? Und welche Bedeutung könnte das für Skinners Verbal Behavior haben? – Chomsky beantwortet diese Fragen so: Er habe weit über Skinner hinaus gehen wollen, um quasi den Behaviorismus in toto zu besprechen. Man fragt sich jedoch unwillkürlich, ob dies nicht einfach eine post-hoc Interpretation ist, durch die Chomsky vermeidet, seine Schlamperei einzugestehen. Denn merkwürdigerweise dreht sich die Besprechung nur um Skinner. Chomsky schreibt darin kein einziges Mal, dass er „eigentlich“ den „ganzen Behaviorismus“ kritisieren wolle. Selbst wenn man hierüber großzügig hinweg geht: Kein damals (1957) lebender Behaviorist vertrat je die Triebreduktionstheorie. Skinners Position ist nicht eine Unterabteilung eines „allgemeinen Behaviorismus“. Einige Teile der Besprechung wären, wenn man Chomsky glauben soll, somit gegen Skinner, einige gegen einen nicht-spezifizierten (durch keine Person verkörperten) „allgemeinen Behaviorismus“ gerichtet. Nur wird der Leser nicht darin eingeweiht, wann Chomsky über was schreibt. Wenn die Besprechung also ohne Fehler sein soll, dann muss sie ein zusammenhangloses Gemenge sein.

Chomsky bestreitet, dass die Besprechung in einem scharfen Ton geschrieben sei. Man sollte Chomsky zugestehen, dass Linguisten in ihren Debatten oft einen sehr polemischen Stil pflegen. Gemessen daran ist Chomskys Stil in der Besprechung von Verbal Behavior höflich und zurückhaltend. Doch Chomsky scheint das Gespür dafür zu fehlen, wie Außenstehende seine Formulierungen wahrnehmen (z.B. Czubaroff, 1988, S. 324). Der Ton, den Chomsky anschlägt, lässt sein Gegenüber auf keine fruchtbringende Debatte hoffen. Der Tonfall der Besprechung von Verbal Behavior ist aggressiv, nicht wütend. Nimmt man dagegen Chomskys Bemerkungen zu Beyond Freedom and Dignity (Skinner, 1971), so sieht man, wie Chomsky sich anhört, wenn er „in Höchstform“ ist. Hier ein Beispiel für Chomskys Stil: „Es fällt schwer, sich eine schlagenderes Beispiel vorzustellen, wie jemand unfähig ist, auch nur die Grundlagen des wissenschaftlichen Denkens zu verstehen“ (Chomsky, 1973, S. 46).

Chomsky fasst das Erbe Skinners so zusammen, dass nichts übriggeblieben sei, außer ein paar experimentelle Techniken von begrenztem Wert. Unter anderem sei die Verhaltensanalyse von den Entwicklungen in der vergleichenden Psychologie und Ethologie überrollt worden. Er beruft sich hier v.a. auf die Arbeit der Brelands (1961). Offenkundig ist er mit diesen Arbeiten nicht vertraut. Keller Breland und Marian Breland-Bailey sowie Robert Bailey nutzten über 50 Jahre lang die Prinzipien des operanten Konditionierens, um Tiere zu dressieren. Sie taten das überaus erfolgreich; keineswegs stellten sie fest, wie Chomsky das darstellt, dass die Tiere nur vorübergehend leicht von ihrem instinktivem Verhalten abwichen, um bald wieder in dieses zurück zu fallen. Vielmehr erwies sich, dass einige Generalisierungen nicht so funktionierten, wie man sich das ursprünglich gedacht hatte: Dieser „Breland-Effekt“ wurde jedoch ohne begriffliche Verrenkungen in die Verhaltensanalyse integriert. Skinner bezog sich später auf die Untersuchungen der Brelands und diese wiederum blieben Verhaltensanalytiker (insbesondere Robert Bailey, der erst vor kurzem, 2005 von der ABA für sein Lebenswerk geehrt wurde) und Skinner weiter eng verbunden (vgl. einen Brief Brelands an Skinner).

Chomsky scheint sich die Verhaltensanalyse als eine Art Dogma vorzustellen, an dem unbeeindruckt von Erkenntnissen festgehalten wird. Die Verhaltensanalyse hat sich über die Jahre eine Vielzahl an neuen Forschungsbereichen erschlossen, sowohl in der Grundlagenforschung als auch in der angewandten, genannt sei hier nur – für den Bereich sprachlichen Verhaltens – die Forschung zum „joint control“ (z.B. Lowenkron, 1998), zur Namensgebung (z.B. Horne & Lowe, 1996), zur Stimulusäquivalenz (z.B. Sidman, 1994) und zur Relational Frame Theory (z.B. Hayes et al., 2001).

Chomsky betont 2006 mehrfach, wie einflussreich Skinners Gedanken zur Sprache in den fünfziger Jahren gewesen seien und wie wenige Dissidenten es gegeben hat (offenkundig, um sich selbst als einen der „glücklichen Wenigen“ – bzw. deren Anführer – zu präsentieren). Skinner mag zwar eine charismatische und einflussreiche Persönlichkeit im Harvard der fünfziger Jahre gewesen sein. Chomsky aber überschätzt die Bedeutung Skinners zu dieser Zeit. Außerhalb von Harvard spielten Skinners Gedanken kaum eine Rolle. Im Gegenteil, Skinners Schüler taten sich so schwer, ihre Arbeiten in etablierten psychologischen Fachzeitschriften unterzubringen, dass sie letztlich ihre eignen gründen mussten.

Palmer (2006) fasst zusammen, dass Chomsky 1959 wie 2006 einen Strohmann abfackelt: Einen extremen Umwelttheoretiker, der dem Stimulus-Response-Dogma anhängt und für Belege und empirische Daten unempfänglich ist. Ein solches Zerrbild lässt sich leicht vernichten. Chomsky hatte einen enormen Einfluss auf die Psychologie – jedoch nicht in produktiver Hinsicht. Schriften von ihm, die später als 1965 datieren, werden kaum zitiert (Cook & Newsom, 1996, S. 78). Über zwei Jahrzehnte versuchten Chomsky und seine Anhänger die Syntax mit Transformationsregeln zu modellieren, mussten diesen Versuch aber letztlich aufgeben. Chomsky musste die Erklärung für alles in das Lexikon verlagern – eine Schritt, der seine Modell kein bisschen plausibler machte. Es ist wahr, dass die kognitive Psychologie in den Jahren seit Chomskys Besprechung aufblühte. Aber ebenso – und von kognitiven Psychologen ignoriert – erblühte die Verhaltensanalyse. Das Interesse an Skinners Analyse des sprachlichen Verhaltens ist so groß wie nie. Die Zahl wissenschaftliche Arbeiten, die von Skinners Buch angeregt wurden, hat sich in den letzten dreißig Jahren verachtfacht (Eshleman nach Palmer, 2006, S. 265, auch Eshleman, 1991, Sautter & LeBlanc, 2006). Praktische Anwendungen gibt es zuhauf – die Intervention bei Autismus sei als nur eine von vielen genannt. Palmer (2006) bemerkt, dass er von keiner praktischen Anwendung wüsste, die auf Chomskys Analyse aufbaut.

David Palmer schließt mit den folgenden Worten:
„Skinners analysis of verbal behavior is not a museum piece, a moribund historical curiosity; it is the foundation of an active research program, continuing conceptual development, and of practical applications with potentially far reaching effects“ (S. 265).

Literatur

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Skinner und die Untersuchung „privater Ereignisse“

Dem Behaviorismus wird gelegentlich vorgeworfen, er betreibe eine „Psychologie ohne Seele“. Ironischerweise akzeptieren Verhaltensanalytiker „private Ereignisse“ – also Gedanken, Gefühle usw. – in weit stärkerem Ausmaß als die nach dem Prinzip der „Operationalisierung“ arbeitende Mehrheit der Psychologen: Dieser stützt sich auf einen veralteten methodischen Behaviorismus – der die Untersuchung des beobachtbaren Verhaltens anderer Menschen als den einzig legitimen Forschungsgegenstand ansah. Verhaltensanalytiker beschäftigen sich mit allem, was Menschen tun – und Menschen „tun“ auch denken…

Innere Vorgänge als Gegenstand der Verhaltensanalyse

Innere Vorgänge (oder „private events“) sind jene Ereignisse, die nur dem Individuum selbst zugänglich sind: seine Gedanken, Gefühle usw. Ein Möglichkeit, mit diesem Problem umzugehen, die oft als Behaviorismus angesehen wird, ist, diese privaten Ereignisse aus der wissenschaftlichen Untersuchung herauszunehmen. Skinner (1963 / 1984) lehnt dies ab: Innere Vorgänge sind ein Teil des Verhaltens und als solche Gegenstand der Verhaltensanalyse.

Geht man das Problem der Privatheit statt von der unmittelbaren Erfahrung vom Standpunkt des Verhaltens aus an, so ergibt sich ein überraschendes Resultat. Es ist nicht so, daß das Individuum seine inneren Vorgänge am besten kennt. Vielmehr kann es nur das „kennen“, was der operanten Kontrolle durch andere zugänglich ist. Je privater ein Ereignis ist, desto weniger bewusst ist es uns. Andere Menschen sind v.a. daran interessiert, was das Individuum tut, getan hat oder beabsichtigt zu tun und sie erzeugen damit Kontingenzen, die diejenigen verbalen Reaktionen begünstigen, die die diese Ereignisse begleitenden (inneren und äußeren) Reize beschreiben. „The ´awareness´ resulting from all this is a social product“ (p. 618).

Mentalistische Psychologen suchen nach dem „Abbild“ der Umwelt im Gehirn (das dort „konstruiert“ wird). Diese Suche dürfte, so Skinner (1963 / 1984), vergebens sein: Irgendwann müssen wir sehen, hören, riechen usw. Und Sehen, Hören und Riechen sind Handlungen, nicht Abbildungen. Natürlich können wir die Reizleitung im Gehirn untersuchen. Was wir finden werden, sind Muster von erregten Nervenzellen o.ä., nicht aber Abbilder. Zudem trägt es nichts zur Erklärung des Verhaltens eines Organismus auf eine bestimmten Reiz hin bei, wenn man die Weiterleitung des Reizes im Gehirn untersucht.

Sehen (wie andere Sinnesmodalitäten) ist noch nicht Bewusstsein. Bewusstsein besteht vielmehr darin, daß wir „sehen“, was wir sehen. Beim Erinnern wandern wir nicht durch unser „Archiv“, bis wir eine Kopie des zu Erinnernden finden. Auch die Experimente von Pennfield (mit der direkten Reizung des Gehirns und den damit verbundenen Erlebnissen der Probanden) rufen keine Bilder ab, sondern das Verhalten des Sehens, Hörens usw.

Die Verhaltensanalyse untersucht die Beziehung zwischen dem Verhalten des Organismus und den Umweltreizen. Mentalistische Psychologen legen mehr Wert auf die „Zwischenstationen“, die „mentalen“ Zustände. Diese mentalen Zustände scheinen die Lücke zwischen den abhängigen und unabhängigen Variablen in der obigen Beziehung zu überbrücken. Diese Position st besonders dann verlockend, wenn die Zeitspanne zwischen Umweltreiz und Verhalten sehr groß ist.

Operationalismus

Skinner (1984) lehnt den Operationalismus, wie ihn die moderne Psychologie betreibt, ab. Dies liegt zunächst an der in erster Linie negativen Definition von Operationalismus. Dieser besteht darin, nur über Beobachtungen, die Prozeduren, die mit der Beobachtung verbunden sind und die logischen und mathematischen Schritte, die darauf aufbauen, zu berichten und über sonst nichts.

Die Probleme des Operationalismus ergeben sich bei der Beschreibung von privaten Ereignissen. Die Frage ist, wie das Äußern des Satzes „Ich habe Zahnschmerzen“ von der Gesellschaft in angemessener Weise verstärkt werden kann, wenn diese keinen Kontakt zu den Zahnschmerzen des Individuums haben kann. Zunächst, so Skinner, ist es gar nicht wahr, dass der Stimulus der verstärkt wird, offen sein muss. Man kann eine Kind beibringen, zu sagen, „Es tut mir weh“, indem man es mit Wundpflastern u.ä. versorgt (diese sind nur dann ein Verstärker, wenn das Kind wirklich Schmerzen hat). Des weiteren können die „kollateralen“ offenen Äußerungen des Individuums verstärkt werden, so sein schmerzverzerrtes Gesicht usw.

Diese Verbindungen zwischen den privaten Ereignissen und den Worten, die wir dafür haben, sind jedoch notwendigerweise nicht präzise, noch ermöglichen sie es dem Individuum, sich selbst zu kennen. Zudem können die Äußerungen über private Zustände nicht von diesen selbst abhängen sondern z.B. von der Deprivation bezüglich der üblicherweise damit verbundenen Verstärker (denken wir an das Kind, das über Schmerzen klagt, weil es Zuwendung möchte). Skinner fasst zusammen: „Differential reinforcement cannot be made contingent upon the property of privacy“ (p. 550, Hervorhebung im Orginal).

Skinner wirft einen Blick auf den so genannten methodischen Behaviorismus. Dieser und der Operationalismus nach Boring und Stevens muss die unabweisbaren Forderungen des Behaviorismus anerkennen, aber er hält an den alten Fiktionen fest (vgl. den Gegensatz von operationaler und behavioraler Definition). Er unterscheidet private und öffentliche Ereignisse und erklärt nur die Letzteren zum Gegenstand der Psychologie. Dies ist nicht die Position des Behaviorismus, aber es ist eine, die sich leicht verteidigen lässt.

Skinner zitiert Boring (1945): „Science does not consider private data“. Skinner widerspricht Boring: Seine Zahnschmerzen seien genauso physisch wie seine Schreibmaschine und er sieht keinen Grund, warum er sich nicht damit als Wissenschaftler befassen sollte. Ironischerweise muss sich Boring mir Skinners äußerem Verhalten bescheiden, während er nach wie vor am „inneren Boring“ interessiert ist.

Literatur

Boring, E.G. (1945). The use of operational definitions in science. Psychological Review, 48, 519-522.
Skinner, B.F. (1963 / 1984). Behaviorism at fifty. The Behavioral and Brain Sciences, 7, 615-667.
Skinner, B.F. (1984). The operational analysis of psychological terms. The Behavioral and Brain Sciences, 7, 547-581.

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Skinner und „Skinner“ – Ein Theorien-Vergleich

Ein Beitrag von Theodor Ickler

0. Zwei Psychologen haben auf die Entwicklung ihrer Wissenschaft in diesem Jahrhundert einen besonders nachhaltigen, wenn auch höchst verschiedenartigen Einfluß ausgeübt: Burrhus F. Skinner, der Begründer und Hauptvertreter des „radikalen Behaviorismus“, sowie ein Forscher gleichen Namens, den wir zur deutlichen Unterscheidung „Skinner“ (in Anführungszeichen) nennen wollen. Ihre Lebensdaten stimmen vollkommen überein, ebenso die Titel ihrer Werke – gewiß ein kurioser Fall der Wissenschaftsgeschichte, der verständlicherweise dazu geführt hat, daß die beiden Persönlichkeiten eine Zeitlang für eine und dieselbe gehalten wurden. Dieser Irrtum ist jedoch längst aufgeklärt (vgl. etwa MacCorquodale 1969 u. 1970, Todd & Morris 1992, Catania 1977, wo sich auch eine gute deutschsprachige Zusammenfassung von Skinners Sprachtheorie findet; zu Skinners Lerntheorie im allgemeinen vgl. z. B. Werner & Butollo 1977).

Wenn eben die Übereinstimmung bei den Titeln ihrer Veröffentlichungen erwähnt wurde, so ist doch auf ein Problem der Überlieferungsgeschichte hinzuweisen: Während wir nämlich von Skinner eine Fülle authentischer Texte besitzen, ist von den Arbeiten „Skinners“, abgesehen von einigen kurzen Zitaten, keine Zeile erhalten. Wir sind hier fast ganz auf sekundäre Quellen angewiesen, doch ist das kein großer Schaden, denn „Skinners“ Lehrmeinungen sind bei anderen Autoren so eingehend referiert, daß wir uns ein recht genaues Bild machen können. Dabei stoßen wir auf die nächste Überraschung: Die Theorien der beiden Forscher sind nämlich so verschieden wie nur möglich, ja, man kann sagen, daß Skinner und „Skinner“ in allen wichtigen Punkten genau entgegengesetzte Ansichten vertreten haben. Auch dies ist nicht unbemerkt geblieben. Skinners eigenes Spätwerk „About Behaviorism“ (1974, dt. 1978) widerlegt in zwanzig Punkten gegnerische Ansichten, von denen manche sich unschwer auf seinen großen Antipoden „Skinner“ zurückführen läßt. Doch scheint gerade im deutschen Sprachraum ein Theorien-Vergleich immer noch lohnend, ja notwendig, zumal – ein weiteres Paradox – die erhaltenen Schriften Skinners kaum gelesen werden, die nicht erhaltenen „Skinners“ dagegen in aller Munde sind. Ich werde ein gewisses Schwergewicht auf beider Autoren Ansichten zu Sprachverhalten und Spracherwerb legen.

1. „Skinner“ versuchte, tierisches und menschliches Verhalten mit einem „Reiz-Reaktions-Modell“ („Stimulus-Response-Modell“, „S-R-Modell“) zu erklären.

„Den ehrgeizigsten und extremsten Versuch, die Sprachentwicklung innerhalb des S-R-Modells zu erfassen, hat Skinner in seinem Werk ‚Verbal Behavior‘ (1957) vorgelegt.“ (Grimm 1982, 562)

„Es wird postuliert, daß Zweitsprachenerwerb nach einem S-R-Modell abläuft, wie es etwa Skinner (1957) und andere Behavioristen umrissen haben.“ (Felix 1982, 3f.)

„Sprachverhalten. (…) Im Sinne des amerikanischen Psychologen B. F. Skinner als Sprach- bzw. Sprechverhalten, das Sprache innerhalb eines beobachtbaren Reiz-Reaktions-Modells definiert, als Reaktion auf bestimmte Stimuli.“ (Joachim Raith in Glück (Ed.) 1993, 588)

„Die wirkungsvollste Kritik des behavioristischen Reiz-Reaktions-Schemas kam (…) von der Linguistik, speziell von der 1959 erschienenen Kritik Chomskys an Skinners ‚Verbal Behavior‘ (1957).“ (Wimmer & Perner 1979, 15)

Die Beispiele lassen sich beliebig vermehren, so daß an diesem Bestandstück der „Skinnerschen“ Theorie kein Zweifel möglich ist. Das S-R-Modell ist wenig originell, es geht auf frühe Formen des Behaviorismus sowie auf reflextheoretische Vorstellungen zu Beginn des Jahrhunderts zurück.

Skinner war ein Gegner dieser Auffassung, das ist allgemein bekannt. George Mandler, selbst kein Behaviorist, stellt ausdrücklich fest, daß er „B. F. Skinners nachdrückliche Opposition zur S-R-Psychologie“ (Mandler 1979, 10) anerkenne. Als Kern der Skinnerschen Lehre gilt mit Recht das sogenannte „operante Konditionieren“, das er dem klassischen (Pawlowschen) ergänzend zur Seite stellte und in vielen Experimenten analysierte. Man nennt es auch „Lernen am Erfolg“. In seiner Autobiographie beschreibt er selbst, wie er, von der Reflexologie herkommend und in Auseinandersetzung mit dem älteren Behaviorismus, Mitte der dreißiger Jahre seine neue Konzeption entwickelte. Deren Kern besagt, daß die Auftretenswahrscheinlichkeit eines aus welchen Gründen auch immer vorhandenen („spontanen“) Verhaltens sich durch die Folgen, die es in der Umwelt hat und die auf den Organismus zurückwirken, verändert. Oder, mit den Anfangsworten aus „Verbal behavior“:

„Men act upon the world, and change it, and are changed in turn by the consequences of their action.“ (Skinner 1957, 1)

In diesem Satz – zugleich ein Beispiel für Skinners Kunst, mit ganz schlichten Worten etwas sehr Bedeutungsvolles auszudrücken – steht also ganz eindeutig die Aktivität der Organismen am Anfang, während „Skinner“ die Ansicht vertreten zu haben scheint, daß der Organismus erst durch einen äußeren Reiz aktiviert werden muß, wie der Zigarettenautomat durch die eingeworfene Münze.

Gegen das Bild des Menschen als eines „passiven“, nur „reagierenden“ Apparates haben sich die mentalistischen Gegner „Skinners“ besonders energisch gewehrt, ohne zu bemerken, daß sie dabei in Skinner einen starken Verbündeten hatten:

„Die Nativisten sehen den Menschen eher als einen agierenden und weniger als eine reagierenden Organismus an.“ (Felix 1982, 188)

Der sowjetischen „Tätigkeitspsychologie“ wird nachgerühmt:

„Dieses Tätigkeitsmodell unterscheidet sich grundlegend vom bloßen passiven Reagieren auf äußere Stimuli (wie etwa im Behaviorismus)“… (Heinemann & Viehweger 1991, 61)

Monika Schwarz (1992, 12f.) meint, der Mentalismus nehme „zielgerichtete Aktivitäten“ an statt „kausaler Mechanismen“, die auf „simple Reiz-Reaktions-Kontingenzen“ hinauslaufen usw., womit sie ebenfalls auf die bekannte Lehre „Skinners“ anspielt. Vgl. auch Holenstein 1992, 14ff.

2. „Skinner“ war ein Vertreter des „methodologischen Behaviorismus“ im Gefolge Watsons:

„Der Einwand gegen mentale Phänomene war nicht, daß es sie nicht gibt, sondern daß sie für die Entwicklung von Verhaltensweisen nicht relevant sind.“ (Bieri 1993, 31)

„Ein konsequenter Vertreter von Skinners Programm ist ein Epiphänomenalist, es sei denn, er geht dazu über, auch die Existenz mentaler Phänomene zu leugnen.“ (Bieri 1993, 53)

Dagegen wendet sich der Philosoph Peter Bieri mit Bedenken, die wohl geradewegs aus Skinners Schriften übernommen sind; denn die bis in den Wortlaut reichende Übereinstimmung ist anders kaum erklärlich:

„Die meisten methodologischen Behavioristen räumten das Vorhandensein seelischer Ereignisse ein, ohne sie jedoch in Betracht ziehen zu wollen. Konnten sie aber wirklich der Ansicht sein, daß die mittlere Phase in der dreiphasigen Folge von physikalischem, seelischem und wiederum physikalischem Ereignis nicht von Belang sei, daß mit anderen Worten seelische Zustände und Gefühle bloße Epiphänomene seien?“ (Skinner 1978, 23; vgl. auch ebd. 243)

Diesem methodologischen Behaviorismus, der „im Rahmen seiner selbstgesteckten Ziele (…) erfolgreich“ gewesen sei (Skinner 1978, 22), stellt Skinner bekanntlich seinen „radikalen Behaviorismus“ gegenüber, der aber von Bieri nicht näher behandelt wird, so daß die Überschrift „Das Scheitern des Behaviorismus“ (Bieri 1993, 31) etwas voreilig erscheint.

3. „Skinner“ hält die sogenannten „Assoziationen“ für dasjenige, was zwischen Reaktionen sowie zwischen Stimulus und Response vermittele:

„Einer der ersten Versuche zur Erklärung der Sprachentwicklung stammt aus der behavioristischen Lerntheorie (vgl.SKINNER 1957). Grundlage dieser Theorie ist die Annahme, daß sprachliches Verhalten durch assoziative Prozesse gesteuert wird. Die Sprachproduktion wird durch die Assoziationsstärken zwischen den Wörtern bestimmt. Diese assoziativen Beziehungen ergeben sich aus der Häufigkeit des gemeinsamen Vorkommens in der Erfahrung des Sprechers. Spracherwerb heißt nach dieser Vorstellung: das Kind lernt, welche Wörter einem bestimmten Wort mit welcher Wahrscheinlichkeit folgen, d.h. es lernt bedingte  Auftretenswahrscheinlichkeiten (vgl. STAATS/STAATS 1963). Chomsky hat die Unzulänglichkeiten des Behaviorismus in sprachtheoretischer und in wissenschaftstheoretischer Hinsicht offengelegt und damit das Konzept des Wahrscheinlichkeitslernens als unzureichend erwiesen.“ (Clahsen 1982, 9)

Vgl. wiederum auch M. Schwarz 1992, 12.

Skinner ist anderer Meinung. Er weist „Assoziation“ als Erklärungsprinzip ausdrücklich zurück. Eine „Assoziation“ (im umgangssprachlichen Sinn einer schlichten „Verbindung“) besteht zwischen den Umständen der Außenwelt, unter deren Einfluß die Konditionierung stattfindet (Skinner 1978, 49 u. 83, Skinner 1957, 58 u.ö.). Auch in „Verbal behavior“ ist „Assoziation“ kein Terminus, sondern dient allenfalls zur ironischen Charakterisierung gegnerischer Ansichten (s. das Register unter „word association“).

4. Was das „Wahrscheinlichkeitslernen“ betrifft, das „Skinner“ (nach Clahsen) lehrte, so läßt sich dem die Ansicht Skinners entgegenstellen, der hier offen gegen „Skinner“ polemisiert:

„Jemand, der sich unter der Einwirkung operanter Verstärkung verändert hat, hat nicht ‚eine Wahrscheinlichkeit gelernt‘; er hat aufgrund einer gegebenen Frequenz der Verstärkung in einer bestimmten Rate zu reagieren gelernt.“ (Skinner 1978, 146)

5. Besonders eingehend scheint sich „Skinner“ darüber verbreitet zu haben, daß der Mensch (und jedes Tier) als „Tabula rasa“ auf die Welt komme, also ohne jede genetische Ausstattung. Eine solche Ansicht würde man in unserem Jahrhundert für unmöglich halten, wäre sie nicht für „Skinner“ so reichlich belegt. Der Tabula-rasa-Standpunkt verkörpert eine extreme Stellungnahme im „Nature-nurture-Streit“: Kein Verhalten ist angeboren, alles stammt aus der Umwelt. Man spricht daher auch von „environmentalism“. „Skinner“ war extremer Environmentalist. M. Schwarz wendet sich mit Recht gegen „die Auffassung des Behaviorismus, daß der Mensch als Tabula rasa auf die Welt kommt und sein Wissen aufgrund assoziativer Lernsequenzen erwirbt.“ (Schwarz 1992, 12). Skinner war ebenfalls ein entschiedener Gegner dieser leicht zu widerlegenden Position:

„No reputable student of animal behavior has ever taken the position ‚that the animal comes to the laboratory as a virtual tabula rasa, that species differences are insignificant, and that all responses are about equally conditionable to all stimuli‘.“ (Skinner 1966, 1205)

„Ein Organismus ist selbstverständlich nicht leer und kann folglich nicht als eine black box angesehen werden.“ (Skinner 1978, 239)

Es erübrigt sich, weitere Zitate aus Werken Skinners anzuführen, da sich entsprechende Äußerungen fast auf jeder zweiten Seite finden lassen. Die Umwelt beeinflußt das Leben jedes Individuums, aber ihren größten Einfluß hat sie auf die Entwicklung der Arten ausgeübt (Skinner 1978, 25 u. ö.):

„Die Person ist zunächst vor allem ein Organismus, ein Mitglied einer Art und einer Unterart, das eine genetische Ausstattung sowie anatomische und physiologische Eigenarten besitzt, die das Ergebnis der Kontingenzen des Überlebens sind, denen die Art im Verlauf der Evolution ausgesetzt gewesen ist. Zur Person wird der Organismus, indem er ein Verhaltensrepertoire unter den Kontingenzen von Verstärkung erwirbt, denen er in seiner Lebenszeit ausgesetzt ist.“ (Skinner 1978, 234)

Während nach „Skinner“ jeder Organismus alles lernen kann (vgl. Felix 1982, 285), ist das in Skinners Augen völlig ausgeschlossen. In der Phylogenese einer jeden Art ist gerade auch die Ursache dafür zu suchen, daß bestimmte Umweltreize als Bekräftigung wirken und andere nicht (Skinner 1953, 83 u.ö.).

6. Das „Lernen am Erfolg“ eröffnet insofern eine interessante Perspektive, als es strukturell übereinstimmt mit der evolutionstheoretischen Erklärung jener phylogenetischen Ausstattung, von der „Skinner“ nichts wissen will. Der „Belohnung“ („Bekräftigung“, „Verstärkung“: die deutschen Äquivalente für „Reinforcement“ sind nicht einheitlich) entspricht in phylogenetischer Dimension die relative Erhöhung der Fortpflanzungsrate, d.h. das „Überleben des optimal Angepaßten“. „Skinner“ erkennt einen solchen Zusammenhang nicht, weshalb etwa die Ethologen der Lorenz-Schule in ihm eher einen Gegner als einen Verbündeten sehen. Liest man hingegen Skinner, z.B. die folgende Äußerung:

„Es gibt bemerkenswerte Ähnlichkeiten in den Theorien der natürlichen Selektion, der operanten Konditionierung und der Evolution sozialer Umwelten.“ (usw.) (Skinner 1978, 232)

– so glaubt man beinahe auf ethologischem Urgestein zu stehen, nicht zuletzt was die Ausweitung der genetischen Erklärungsweise in die kulturgeschichtliche Dimension betrifft (vgl. etwa die Arbeiten O. Koenigs).

Sprachwissenschaftlich und semiotisch ist von besonderem Interesse, daß alle drei Dimensionen zusammen – die phylogenetische, die historische und die ontogenetische – auf befriedigende Weise die Entstehung und den Wandel von Zeichen erklären. Der Lorenz-Schüler Wolfgang Wickler (1975, im Anschluß an Julian Huxley) hat besonders im Hinblick auf die Phylogenese gezeigt, wie Gestalt- und Verhaltensmerkmale „empfängerseitig semantisiert“ werden und damit unter „Selektionsdruck“ geraten, der zu ihrer „Ritualisierung“ führt. Die Evolutionslehre erklärt also, wie Bedeutung in die Welt kommt. In geschichtlicher und ontogenetischer Dimension (und vielleicht sogar in aktualgenetischer, vgl. die klassische Abhandlung von Donald T. Campbell 1960) gibt es genaue Analoga dazu, so daß eigentlich kein Grund mehr besteht, vom „Wunder des Bedeutens“ (Lenk 1994, 40) bzw. vom „Wunder des Verstehens“ (Gadamer) zu sprechen oder die Entstehung von Bedeutungen für „eines der tiefsten Probleme der gegenwärtigen Philosophie“ (Lenk a.a.O.) zu halten.

7. Der Spracherwerb wird von „Skinner“ auf folgende Weise erklärt:

„Das Kind soll deshalb nach den Regeln der Grammatik zu sprechen lernen, weil es für die Befolgung richtiger Regeln ‚belohnt‘ (positiv verstärkt) wird und für die Anwendung falscher Regeln ‚bestraft‘ wird.“ (Grimm 1982, 565)

Skinner hingegen schreibt:

„Die sogenannten Regeln der Grammatik sind jüngst Gegenstand einer weitläufigen Kontroverse geworden. In dieser Kontroverse wurde behauptet, daß es Regeln und Anweisungen gibt, die die Sprachgemeinschaft beherrschen und denen wir gehorchen, ohne uns dessen bewußt zu sein. Gewiß haben die Menschen über Jahrtausende grammatisch gesprochen, ohne zu wissen, daß es grammatische Regeln gibt. Ein grammatisches Verhalten wurde damals wie heute durch die verstärkenden Praktiken einer Sprachgemeinschaft geformt, aufgrund derer sich einige Arten von Verhalten als wirksamer erwiesen als andere. Durch das Zusammenwirken vergangener Verstärkungen und eines gegenwärtigen Problemaufbaus wurden Sätze erzeugt. Der Sprachgebrauch aber wurde von Kontingenzen und nicht von Regeln beherrscht, ob diese nun explizit formuliert gewesen sind oder nicht.“ (1978, 146)

Und er fügt die auch sprachdidaktisch wichtige Erkenntnis hinzu:

„Eine Sprache unter Zuhilfenahme eines Lexikons und einer Grammatik zu sprechen, ist nicht dasselbe wie eine Sprachbeherrschung, die durch eine Konfrontation mit einer Sprachgemeinschaft erworben worden ist.“ (1978, 144)

(Dieser Unterschied ist später bekanntlich von S. D. Krashen und dann von vielen anderen als Gegensatz von „Lernen“ (learning) und „Erwerben“ (acquisition) einer Fremdsprache popularisiert worden.)

Während also bei Skinner das Sprachverhalten und bei „Skinner“ die Beherrschung der „Regeln“, die dem Sprachverhalten angeblich zugrundeliegen, gelernt werden, lehren die mentalistisch-nativistischen Kritiker etwas anderes, was jedoch „Skinner“ näher kommt als Skinner:

„Kinder formulieren (unbewußt) auf der Grundlage wahrgenommener Sprachhandlungen Hypothesen über die Regeln, die diesen zugrundeliegen.“ (Grimm 1982, 565)

Ob dies, auch bei wohlwollender Auslegung, überhaupt als Erklärung des Spracherwerbs ernst genommen werden kann, sei dahingestellt; es ist nicht Gegenstand unseres Theorien-Vergleichs (vgl. Ickler 1994).

8. Es wurde bereits erwähnt, daß „Skinner“ den Menschen als passiven Apparat auffaßt. In diesen Zusammenhang gehört auch seine Unfähigkeit, die produktiven, konstruktiven, ja kreativen Verhaltensweisen des Menschen zu erfassen. Entsprechend unwürdig und unmenschlich ist sein Bild vom Menschen. Man hat es mit Recht „rattomorphistisch“ genannt. Auch Skinner meint mit deutlicher Spitze gegen seinen Namensvetter:

„Wer behauptet, daß das Verhalten nichts weiter sei als eine Reaktion auf Reize, vereinfacht die Sache über Gebühr. Wer behauptet, Menschen seien genau wie Ratten und Tauben, ist naiv.“ (Skinner 1978, 258)

Gerhard Helbig lobt die Überwindung des Behaviorismus (d.h. „Skinners“) durch die generativistische Spracherwerbstheorie:

„Man erkannte wieder (…), daß die Lernenden einen Kopf haben, die Lehrer keine Tiertrainer, die Schüler keine Zirkuspferde sind.“ (Helbig 1981, 35)

Eine Sprachdidaktikerin meint:

„Der Prozeß der Sprachaneignung ist jedoch kein passives Aufnehmen vorgefundener Sprachmittel und -strukturen, sondern ein durchaus eigenständiger Nachvollzug der Sprache durch das Kind.“ (Pommerin 1982, 3)

Das entspricht vollkommen Skinners Meinung, ebenso wie die These von H. Grimm, Spracherwerb sei ein „aktiver, konstruktiver und rekonstruktiver Prozeß“. „Verbal behavior“ ist sozusagen die ausgearbeitete Explikation dieser These, auch wenn die Redeweise von „aktiven Prozessen“ aus Gründen der begrifflichen „Stilreinheit“ zu kritisieren wäre (vgl. Herrmann 1982) und dementsprechend von Skinner vermieden wird.

Gegen die überaus platten, mechanistischen Ansichten „Skinners“ setzt der Mentalismus das Hohelied von der Menschenwürde, wobei gelegentlich religiös-inbrünstige Töne vernehmbar werden:

„The cognitive process of learning appreciates the real human characteristics of man: he is not locked within his habits; he possesses a creative force which expresses itself not only in his philosophical thinking and in his art, but also in his language: every sentence he speaks originates from a receptacle which has openness. It is a creative linguistic act, which remains within the system of rules (rulegoverned creativity).“ (L. K. Engels 1977, 286)

In diesem Sinne sieht John Searle die größte Leistung Chomskys darin, „daß er einen wichtigen Schritt zu einer Rehabilitierung der traditionellen Auffassung von der Würde und der Einzigartigkeit des Menschen getan hat.“ (Searle 1974, 438)

Auf einen so erhebenden Ton sind Skinners Schriften nicht gestimmt, doch würde er der Sache nach kaum widersprechen. Menschen sind für ihn selbstverständlich weder Maschinen noch Zirkuspferde. Es ist nicht uninteressant, daß Skinner auch die „Computer-Metapher“ ausdrücklich kritisiert, wobei er sich folgenden Seitenhieb erlaubt:

„Nebenbei gesagt, stellen nicht die Behavioristen, sondern die kognitiven Psychologen, die den Geist als einen Computer auffassen, den Menschen als Maschine dar.“ (1978, 127)

9. Da „Skinner“ eine Reihe von Ansichten vertritt, die man nicht erst aus heutiger Sicht als offensichtlich falsch bezeichnen muß, stieß er bei denen, die sich näher mit ihm beschäftigt haben, auf ebenso scharfe wie berechtigte Ablehnung. Ein prominenter Kritiker war Noam Chomsky, dem man allgemein zuschreibt, „Skinner“ gründlich erledigt zu haben:

„Chomsky’s critique of Skinner was the final nail in the behaviorist coffin.“ (McLaughlin 1978, 21)

Gerhard Helbig erwähnt „die vernichtende Rezension von SKINNERs Buch ‚Verbal Behavior‘ (1957) durch CHOMSKY (1959)“ (Helbig 1981, 31), bei der es sich nach Henning Wode (1981, 23) um „flogging a dead – American – horse“ gehandelt habe. Gisela Szagun erwähnt in ihrem Buch über die Sprachentwicklung beim Kind „Skinner“ zweimal, stets im Zusammenhang mit Chomsky, dem es gelungen sei, „überzeugend nachzuweisen, daß die klassischen Variablen behavioristischer Theorien, Stimulus, Response und Verstärkung, beim Erklären des Spracherwerbs nutzlos sind.“ (Szagun 1991, 11) Für Elmar Holenstein (1992, 14) gibt es zwei Eckdaten des Behaviorismus: 1918 (Watsons Manifest) und 1959 (Chomskys „Skinner“-Kritik). Elizabeth Ingram hingegen erlag noch in den siebziger Jahren der Täuschung, „Skinner“ und Skinner seien dieselbe Person, als sie naiverweise feststellte:

„(…) while in linguistic and applied linguistic circles there is a general impression that he“ – „Skinner“ bzw. Skinner – „was killed off some time ago, there is, in fact, a very busy and lively group of people working away on operant conditioning and verbal learning, quite undeterred by fashions in other circles.“ (1978, 5)

Wenn H. Grimm und J. Engelkamp feststellen:

„Der Kritik Chomskys hat das Buch Skinners (sc. „Verbal Behavior“) seine große Popularität zu verdanken.“ (Grimm & Engelkamp 1981, 165)

– so kann sich das nur auf „Skinners“ Buch beziehen, da das gleichnamige Werk Skinners alles andere als populär ist. Zu denken gibt freilich, daß auch „Skinners“ populäres Buch, wie H. Grimm an einer anderen Stelle vermutet, „meistenteils sekundär oder gar tertiär gelesen“ wurde (Grimm 1977, 13). Das erklärt natürlich vieles.

„Skinner“ verfügte offenbar nur über einen extrem niedrigen Intelligenzquotienten – nahe am Schwachsinn – , da er nicht zu begreifen vermochte, was vor aller Augen liegt:

„Daß es“ (sc. das Modell „Skinners“) „aber weder den Aufbau des grammatischen Systems noch die sich entwickelnde Ausdrucksfähigkeit in dem von uns definierten Sinn auch nur annähernd zu erklären vermag, ist sicherlich jedem sofort einsichtig. Deshalb soll es weder ausführlich dargestellt noch im einzelnen widerlegt werden.“ (Grimm 1982, 565, Hervorhebung von mir.)

Vgl. auch: „offensichtlich unhaltbar“ (Grimm 1977, 12) und viele ähnliche Kennzeichnungen der „Skinnerschen“ Theorie, deren hervorstechendes Merkmal zugleich ihre „Einfachheit“ gewesen zu sein scheint, wie die Kritiker nicht müde werden hervorzuheben (z. B. Grimm ebd.). Skinner dagegen leidet fühlbar unter der ungeheuren Komplexität der Darstellung, die er seinen Lesern zumuten muß und auf die er selbst mehrfach entschuldigend hinweist. Sein Buch, an dem er Jahrzehnte gearbeitet hat – weit länger als an jedem anderen – ist zwar einfach geschrieben, aber offenbar nicht einfach zu verstehen.

Auch der Sprachphilosoph Franz von Kutschera kommt nach einer sorgfältigen Analyse von „Skinners“ Sprachtheorie (die er freilich nur aus Chomskys Referat zu kennen scheint – ein Fall jener „sekundären“ Lektüre) zu dem Ergebnis, man könne „von den sprachphilosophischen Versuchen des Behaviorismus völlig absehen“ (v. Kutschera o.J., 178).

Es ist eigentlich kaum zu verstehen, warum so viele Autoren sich zu ernsthafter Kritik an einer wissenschaftlichen Nullität wie „Skinner“ veranlaßt gesehen haben.

10. Was den einzelnen Sprechvorgang betrifft, so scheint „Skinner“ der Meinung gewesen zu sein, jedes einzelne Zeichen sei durch das unmittelbar vorangehende Zeichen in der Redekette vollständig determiniert. Man spricht auch von einem „Markoff-Prozeß“, und diese Ansicht hat Chomsky in seiner Rezension zu „Skinners“ „Verbal Behavior“ schlagend widerlegt.

„Skinner behandelt Sprache nicht als ein System von Strukturen, sondern als einen Markoff-Prozeß. Nur diese Reduzierung auf eine rein lineare Verknüpfung von Grundelementen läßt es zu, das Bilden von Äußerungen durch Reiz-Reaktionsmuster in dem Sinne zu erfassen, daß das eine Wort den Reiz für das nächste bildet usw.“ (Grimm & Engelkamp 1980, 166)

Dieses Beharren auf einem „Markoff-Modell“ trägt wesentlich zur Überholtheit der „Skinnerschen“ Ansichten bei, wie auch Willem Levelt sehr einsichtsvoll schreibt:

„Mit diesen Entdeckungen (gemeint ist Chomskys „Entdeckung“ der Rekursivität natürlicher Sprachen, Th. I.) wird das behavioristische Modell des menschlichen Sprachverhaltens, das ja explizit auf einem assoziativen Markov-artigen Mechanismus basierte, zu Recht als völlig unzureichend beiseite gelegt.“ (Levelt 1991, 63)

Vgl. auch Wimmer & Perner 1979, 15f.

Bei Skinner hat eine solche Auffassung keine Entsprechung; „intraverbale Bindung“ als eine Art Wort-zu-Wort-Verknüpfung spielt eine bescheidene Rolle, z. B. bei phraseologischen Wendungen, doch im übrigen benötigt Skinner ein ganzes Buch dazu, die vielfältigen Ursachen für das Auftreten eines sprachlichen Zeichens darzustellen. Vgl. etwa Skinner 1957, 312.

11. Von der Wortbedeutung hatte „Skinner“ eine sehr schlichte Vorstellung, die Hans Hörmann folgendermaßen referiert:

„Die Substitutionstheorien – zu denen prinzipiell auch der SKINNERsche Ansatz zu zählen ist – gehen alle von der faszinierend einfachen Ansicht aus, der conditionierte Stimulus ‚Wort‘ diene als Ersatz für den unconditionierten Stimulus ‚Objekt‘ dazu, jene Response auszulösen, die bislang vom ‚Objekt‘ ausgelöst worden ist.“ (Hörmann 1977, 105)

Aber was soll daran „faszinierend“ sein? Skinner führt diese „einfache Ansicht“ mit Recht auf Watson zurück und stellt ausdrücklich fest:

„This is a superficial analysis which is much too close to the traditional notion of words ’standing for‘ things.“ (Skinner 1957, 87)

Zu einem entsprechenden Beispiel, das Bertrand Russell anführt, bemerkt er:

„But we do not behave toward the word ‚fox‘ as we behave toward foxes, except in a limited case.“ (Ebd.)

Dies wird noch weiter ausgeführt; es versteht sich eigentlich von selbst, daß der radikale Behaviorismus keine „Substitutionstheorie“ der Bedeutung vertreten kann. Nur „Skinner“ scheint das nicht begriffen zu haben. Er meint daher auch, es gebe eine einzelne Response, die sowohl durch das Wort Regen als auch durch den Regen selbst ausgelöst wird und provoziert damit den Einwand:

„Offensichtlich gibt es weder auf das Objekt Regen noch auf das Wort ‚Regen‘ eine bestimmte Response; was auf das eine bzw. auf das andere folgt, hängt vielmehr in hohem Maße – allerdings nicht völlig – von der Situation ab, in der das eine oder das andere sich ereignet.“ (Hörmann 1977, 105)

Genau dies ist auch Skinners Ansicht: Wasser kann man trinken, wenn man durstig ist, aber wenn der Papierkorb brennt, wird man es eher zum Löschen verwenden (Skinner 1957, 32). Es gibt eben verschiedene Situationen und daher auch verschiedene Verhaltensweisen, die allesamt von Wasser als diskriminativem Reiz gesteuert werden; Entsprechendes gilt auch von der sprachlichen Reaktion Wasser (vgl. Skinner 1957, 32f.).

Kurzum: Das Semantische ist von „Skinner“ so dürftig behandelt worden, daß man ohne weiteres von einer „völligen Nichtbeachtung des Bedeutungsmoments“ sprechen kann (v. Bertalanffy 1971, 133). Er mißversteht offenbar die von Skinner ausführlich begründete Ablehnung des Terminus Bedeutung so, als sei sie ein Programm zur rein formalen, asemantischen Sprachbetrachtung. Skinner hingegen tut in seinem umfangreichen Buch beinahe nichts anderes, als dasjenige zu explizieren und lerntheoretisch zu begründen, was sonst unter dem Namen Bedeutung abgehandelt wird und nun in der „funktionalen Analyse“ aufgehoben ist.

12. Es ist unverkennbar, daß „Skinner“ einige äußerliche Anleihen bei seinem großen Namensvetter gemacht hat, vor allem im Terminologischen. Er scheint aber nicht imstande gewesen zu sein, die übernommenen Begriffe ordentlich zu definieren. Die Definitionen von Mand und Tact beispielsweise sind nach F. von Kutschera „derart vage, daß man sie nur als hilflose Appelle an den guten Willen des Lesers werten kann.“ (v. Kutschera o. J., 364) Auch hat „Skinner“ die terminologischen Neuprägungen Skinners in einer solchen Weise übernommen, daß sie als „bombastische pseudowissenschaftliche Terminologie“ (v. Kutschera o. J., 177) erscheinen, während Skinner sie sorgfältig definiert, mit vielen Beispielen erläutert und z. B. genau begründet, warum „Tacts“ eben nicht „so etwas wie deskriptive Ausdrücke“ sind (v. Kutschera o. J., 364 nach „Skinner“ und stets „sekundär gelesen“).

13. Die Versuchung liegt nahe, auch die Charakterunterschiede der beiden Forscherpersönlichkeiten in den Vergleich einzubeziehen. So ist bekannt, daß „Skinner“ bei allem fachlichen „Ehrgeiz“ (H. Grimm 1977, 12; 1982, 562; Grimm & Engelkamp 1981, 165; ebd. 192) ein zynischer, amoralischer, eben „rattomorphistischer“ Menschenverächter war, dessen Name unter Menschen guten Willens nur unter Bekundung von Abscheu erwähnt wird, etwa beim „Salzburger Humanistengespräch“ 1984 unter dem bezeichnenden Titel „Jenseits von Freiheit und Würde?“ (nach einem Buchtitel Skinners und „Skinners“). Dagegen scheint Skinner – übrigens ein musischer (auch musikalischer) Mensch und Prosa-Stilist von hohen Graden – ein liebenswürdiger Philanthrop gewesen zu sein. Doch darüber mögen diejenigen urteilen, die das Glück hatten, ihn persönlich zu kennen.

14. Der Sieg über „Skinner“ scheint leicht gewesen zu sein, bringt den Siegern aber auch entsprechend wenig Ehre, da der unterlegene Gegner denkbar schlecht gerüstet war. Mit Skinner hat es keiner der Kämpfer aufgenommen, so daß der Eindruck, die Niederlage „Skinners“ sei gleichbedeutend mit dem Sieg des „Mentalismus“ über den Behaviorismus, voreilig sein dürfte. Das gilt auch für das Triumphgeschrei mancher Wissenschaftstheoretiker:

„Es ist heute unumstritten, daß das behavioristische Reduktionsprogramm gescheitert ist.“ (Carrier & Mittelstraß 1989, 136)

„Natürlich ist es beim gegenwärtigen Stand der Dinge nicht erforderlich, die Adäquatheit des Mentalismus zu verteidigen. Dieser ist allgemein akzeptiert.“ (Ebd. 139)

Um das sagen zu können, müßte man nicht einen schwächlichen Popanz, sondern den eigentlichen Gegner allererst wahrnehmen und ernsthaft auf die Probe stellen.

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Werner, A. & Butollo, W. H. L. (1977): Skinner und das operante Konditionieren. In H. Zeier (Ed.), Die Psychologie des 20. Jahrhunderts. Bd. 4: Pawlow und die Folgen. Zürich: Kindler, 189-249.
Wickler, W. (1975). Stammesgeschichte und Ritualisierung. München: Deutscher Taschenbuch Verlag.
Wimmer, H. & Perner, J. (1979). Kognitionspsychologie. Stuttgart: Kohlhammer.
Wode, H. (1981). Learning a second language. Tübingen: Narr.

Dieser Artikel erschien zuerst 1994 in „Sprache und Kognition“. Online mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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Wissenschaftstheorie: War die „Kognitive Wende“ eine wissenschaftliche Revolution?

Die sogenannte kognitive Wende in der Psychologie wird gerne als eine wissenschaftliche Revolution betrachtet. Der Umstand, dass sich im Lauf der fünfziger Jahre immer mehr Psychologen vom Behaviorismus abwandten und die sogenannte kognitive Psychologie begründeten, wird als Beleg dafür genommen, dass das behavioristische Paradigma überkommen und unfruchtbar geworden war. In der Tat scheint die Argumentation, nach O’Donohue et al. (2003) folgendermaßen zu verlaufen:

  1. Es gab eine wissenschaftliche Revolution
  2. Nach Popper zeigt eine wissenschaftliche Revolution an, dass die ältere Theorie aufgrund von falsifizierenden Daten der neueren Theorie unterlag.
  3. Also wurde das behavioristische Forschungsprogramm aufgrund falsifizierender Daten ad acta gelegt.

Tatsächlich hat aber nach den Maßstäben der Wissenschaftstheorie keine „Revolution“ stattgefunden. O’Donohue et al. (2003) vergleichen die Aussagen der wichtigsten Wissenschaftstheoretiker (Popper, Kuhn, Lakatos, Laudan und Gross) darüber, was eine wissenschaftliche Revolution ausmacht, mit den Aussagen einiger der wichtigsten Vertreter der kognitiven Wende und kommen zu dem Ergebnis, dass keine wissenschaftliche Revolution im traditionellen Sinne stattgefunden hat. Am besten wird die kognitive Wende als ein sozio-rethorisches Phänomen (im Sinne Gross‘) beschrieben.

O’Donohue et al. (2003) greifen dabei zum einen auf die Ergebnisse eines Fragebogens zu, den sie an sechs bedeutende Proponenten der kognitiven Wende versendeten, zum andern auf die Aussagen anderer bedeutender „Kognitivisten“ (wie z. B. Noam Chomsky und Ulric Neisser), wie sie in einem Buch zum Thema, Baars (1986) The Cognitive Revolution in Psychology, niedergelegt sind.

Nach Popper ist eine wissenschaftliche Revolution dann gegeben, wenn die alte Theorie falsifiziert wurde und wenn die neue Theorie über mehr „Erklärungs- und Vorhersagekraft“ verfügt, in dem Sinne, dass sie mehr empirische Daten erklären kann und logisch stringenter ist. Von der kognitiven Wende kann dies nicht behauptet werden. Keiner ihrer Hauptvertreter kann konkrete empirische Daten nennen (z. B. Ergebnisse von Experimenten), die das behavioristische Forschungsprogramm falsifiziert hätten oder die nicht mehr mit den Mitteln dieses Programms hätten erklärt werden können. Vielmehr sprechen Kognitivsten wie Philip Johnson-Laird von kleineren (prinzipiell aber lösbaren) Ungereimtheiten (embarrassments ), die sie sich vom Behaviorismus abwenden ließen.

Nach Kuhn ist eine wissenschaftliche Revolution dann zu erwarten, wenn die alte Theorie in einem „Meer von Anomalien“ ertrinkt und eine neue Theorie einen besseren Ansatz aufweist, mit dem sie die Anomalien auflösen kann. Die Probleme, die sich bei der behavioristischen Forschung zeigten, wurden durch die kognitive Wende nicht gelöst (vielmehr kam die weiter fortbestehende behavioristische Forschung nach und nach selbst damit klar). Kognitivisten beschäftigten sich lieber mit anderen Themen als die Behavioristen zu dieser Zeit schwerpunktmäßig. Von einem „Meer von Anomalien“ gar kann keiner der befragen Kognitivisten sprechen, im Gegenteil, ihnen fallen kaum Beispiele für „Anomalien“ ein (die den Namen verdienten).

Lakatos sieht eine wissenschaftliche Revolution dann heraufziehen, wenn sich die alte Theorie zunehmend auf Ad-hoc-Strategien verlegen muss, um auftretende Anomalien zu bewältigen. Ein typisches Beispiel sind die Epizykel, mit denen das ptolemäische Weltbild gerettet werden sollte. Ein progressives Forschungsprogramm dagegen kann nicht nur die Anomalien des degenerierenden Programms beseitigen, es schreitet gewissermaßen theoretisch der Empirie voraus: Neue Fakten werden theoretisch vorausgesagt, nicht die Theorie post hoc zu den Tatsachen „passend gemacht“. Der behavioristische Forschungsansatz hörte aber damals, auch nach Aussage der Kognitivsten, nicht auf, neue Voraussagen zu treffen. Auch trifft es nicht zu, dass Anomalien nur mehr mit Ad-hoc-Strategien gelöst wurden. Die Kognitivisten können sich nicht auf einen empirischen Befund einigen, der den Behaviorismus in Bedrängnis gebracht hätte, vom Kognitivismus aber elegant gelöst worden wäre. Die wenigen genannten Befunde (überhaupt zogen es die Befragten, auch auf konkrete Nachfragen, vor, allgemeine Aussagen zu machen und biographische Details auszuführen, anstatt Forschungsergebnisse zu benennen) sind aus behavioristischer Sicht eher „kleine Probleme“. Ein experimentum crucis fand sich nicht: „proponents of the revolution have yet to impart how the cognitive program is progressing when compared to the degenerating behavioral program. Namely, what are these `cataclysmic´ data that `drowned´ the behavioural program in an `ocean of anomalies´“? (S. 97).

Laudan hebt auf die höhere Problemlösefähigkeit der neuen Theorie ab, wenn er die Gründe für wissenschaftliche Revolutionen betrachtet. Die behavioristische Forschungstradition hätte demnach intern inkonsistent sein müssen, metaphysische Annahmen machen müssen, Prinzipien verletzen müssen, die sie begründet hatte und sich nicht in Einklang mit übergreifenden Theorien (z. B. der Evolutionstheorie 1) bringen lassen können. Die kognitive Psychologie müsste demnach viel mehr empirische Probleme lösen können als die Verhaltensanalyse, insbesondere solche, die der Behaviorismus nicht zu lösen imstande ist. Dies kann durch die Aussagen der befragten Kognitivsten nicht bestätigt werden. Sie sprechen dem kognitiven Forschungsprogramm mehr „Attraktivität“ zu als dem behavioristischen, nicht aber eine bessere Problemlösefähigkeit.

Gross` Perspektive kommt dem, was bei der kognitiven Wende stattfand, noch am nächsten. Diese war ein soziologisches Phänomen. Die Psychologen schienen nach und nach überzeugt zu sein, dass das kognitive Forschungsprogramm erfolgversprechender sei als das behavioristische. Dieser Wandel war nicht logisch begründet. Er lässt sich am besten als ein Überzeugungsprozess beschreiben, bei dem es dem Überzeugten nachher schwer fällt, zu erklären, was ihn denn nun überzeugt habe. Überzeugend waren bei der kognitiven Wende – so bestätigen es auch die Aussagen der Befragten – vor allem die (in der Regel rein theoretischen, d. h. keine neue empirische Forschung referierenden) Bücher der Vorreiter des Kognitivismus. Der Vorzug der kognitiven Psychologie ist, dass sie wesentlich „lebensnaher“ und an das Alltagsverständnis angelehnt schreiben (können) als die an die Regeln einer Naturwissenschaft gebundenen Behavioristen. Hinzu kam der Reiz des Neuen: Wer zur fraglichen Zeit im behavioristischen Programm blieb, der musste erst den ganzen, bis dahin schon recht umfangreichen Grundstock an Forschung begreifen und berücksichtigen. Das kognitivistische Forschungsprogramm war dagegen ein unentdecktes Land, mit vielen Möglichkeiten, Phänomene neu, nämlich als „kognitive“ Phänomene, zu untersuchen und zu beschreiben.

1 Speziell hier stellt die kognitive Wende einen eindeutigen Rückschritt dar: Man fragt, sich welchen adaptiven Wert die zahlreichen „kognitiven Prozesse“ haben sollen, die von den Kognitivisten angenommen werden. Das operante Konditionieren passt sehr gut zur biologische Evolution (und ist gewissermaßen eine Fortsetzung der Evolution auf der Ebene des Individuums).

Literaturangabe:
O’Donohue, W.; Ferguson, K.E. & Naugle, A.E. (2003). The structure of the cognitive revolution. An examination from the philosophy of science. The Behavior Analyst, 26, 85-110. https://doi.org/10.1007/BF03392069

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B. F. Skinner und die Biologie des Verhaltens

B.F. Skinner wird öfters dafür kritisiert, er habe die Rolle der Biologie bei der Erklärung menschlichen Verhaltens unterschätzt oder geleugnet. Zuletzt tat sich hier der populäre Wissenschaftsautor Steven Pinker (2002) hervor. Er bezeichnete Skinner als einen eingefleischten Anhänger der These von der tabula rasa („a staunch blank slater“, 169). Diese Kritik wird auch von Garcia (1981) vorgebracht, der behauptet, Skinner würde sich nicht darum kümmern, dass es Unterschiede zwischen den Arten oder zwischen verschiedenen Gehirnen gäbe. Andere Kritiker räumen zwar ein, dass sich Skinner mit der Biologie des Verhaltens befasst hat, er habe dies aber erst gegen Ende seiner Karriere getan und nur in Reaktion auf die Kritik an seinem Versäumnis bzw. nur weil die empirischen Daten ihn dazu genötigt hätten. Da diese Argumente so oft und aus so prominenten Mündern vorgebracht werden, sollte man sie ernst nehmen. Zwar kann es dem aufmerksamen Leser von Skinners Werken nicht entgehen, dass dieser immer wieder die Rolle der Evolution, der Genetik und der Physiologie anspricht und würdigt. Wobei Skinner auch immer wieder klar stellt, dass die Analyse der Funktion der Biologie für das Verhalten nicht das zentrale Anliegen der Verhaltenswissenschaft ist. Jedoch sollte man es nicht bei einem ersten Eindruck bewenden lassen, sondern die jedermann zur Verfügung stehenden Daten (Skinners Veröffentlichungen) einer eingehenden Analyse unterziehen.

Morris, Lazo und Smith (2004) untersuchten die 289 von 1931 bis 1990 erschienenen Veröffentlichungen Skinners auf die Nennung von Evolution, Genetik und Physiologie und verwandter Begriffe sowohl im Titel als auch im Text, sowie ob und auf welche Weise diese Themen diskutiert werden. Explizit ausgenommen wurden Kritiken am „konzeptuellen Nervensystem“ (der kognitiven Psychologie) und am physiologischen Reduktionismus.

Skinner sprach demnach die Rolle der Biologie für das menschliche Verhalten in 34% seiner Veröffentlichungen an, er tat dies in 46 Jahren seiner 61-jährigen Karriere. In diesen Veröffentlichungen wurde die Genetik, Physiologie und Evolution des Verhaltens 133 mal angesprochen. Biologische Begriffe fanden sich in den Titeln von 17 Arbeiten, ausführlich diskutiert wurden solche Themen in 22 weiteren Werken, angesprochen in 94 weiteren. Die Gelegenheiten, bei denen Skinner die Biologie des Verhaltens ansprach, verteilen sich relativ gleichmäßig über seine ganze Karriere, wobei durchaus zu beobachten ist, dass er diese Themen später in seiner Karriere öfter ansprach als früher. Dies muss jedoch vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass Skinner in späteren Jahren mehr veröffentlichte als in jüngeren. Setzt man diese Zahlen also in Bezug zu der Gesamtzahl an Veröffentlichungen, ergibt sich, dass Skinner die Biologie des Verhaltens später nicht signifikant öfter ansprach als früher in seinem Leben.

Im Einzelnen ergibt sich für die Genetik: Bereits 1930 bespricht er die Rolle der Vererbung an. „Dass es grobe Merkmale des Verhaltens gibt, die genetische Konstanz zeigen, ist natürlich jedem Züchter bekannt“ („That there are gross charakteristics of behavior which show genetic constancy is of course, common knowledge to any stockbreeder“, 344). In The Behavior of Organisms (1938) berichtet er von eigenen Versuchen, die genetische Variabilität zu untersuchen, in Science and Human Behavior (1953) betont er mehrfach, wie unterschiedliche genetische Voraussetzungen zu unterschiedlichem Verhalten führen. Er fügte dem 1983 noch die Zusammenfassung hinzu, dass Unterschiede zwischen Arten in den erblichen Voraussetzungen für das Lernen zu auffällig seien, um übersehen werden zu können und dass es diese Unterschiede vermutlich auch, zu einem geringeren Ausmaß, zwischen den Individuen einer Art gibt (196). Immer wieder wird die Genetik des Verhaltens, auch nur in Zwischenbemerkungen, in ihr Recht gesetzt: 1947 betont Skinner, dass das menschliche Verhalten unter anderem durch die genetische Konstitution und die persönliche Geschichte determiniert sei (485). Bemerkenswert ist auch eine Bemerkung in Walden Two. Zwar sei der mittlere IQ der Walden-Two-Gemeinschaft aufgrund der besseren Erziehung und des besseren Unterrichts höher als in der Allgemeinbevölkerung. Aber die Spannweite der Werte sei nach wie vor dieselbe. Das heißt, die Methoden in Walden Two hatten keinen Einfluss auf genetisch bedingte Unterschiede. Alles in allem kann man Skinners Position gegenüber der Genetik des Verhaltens so zusammenfassen: „All behavior is due to genes, some more or less directly, the rest through the role of genes in producing the structures which are modified during the lifetime of the individual (1984, 704).

Mit der Physiologie des Verhaltens hat sich Skinner zu Beginn seiner Karriere als Forscher ausführlich beschäftigt. Erwähnt und diskutiert hat er die Physiologie 27 mal, von 1931 bis 1990. Er betonte hierbei aber auch, dass die Rolle der Physiologie für das Verhalten nur mit dem Fortschreiten der Biotechnologie aufgeklärt werden kann, in Zusammenarbeit von Verhaltenswissenschaft und Biologie. Die Legende von der Black Box weist er mehrfach zurück, z.B. 1969: „There is no doubt of the existence of sense organs, nerves, and brain, or their participation in behavior. The organism is neither empty nor inscrutable; let the black box be opened” (1969, 280).

Die Evolution kommt bei Skinner in sieben Titeln vor, wird in acht weiteren Veröffentlichungen ausführlich diskutiert und in 22 weiteren erwähnt. Er erwähnte die Evolution allerdings nicht vor 1950 explizit. Erst in den späten Sechzigern steigt die Rate der Nennungen deutlich an. 1966 bemerkt er: „No reputable student of animal behavior has ever taken the position `that the animal comes to the laboratory a virtual tabula rasa,´ that species differences are insignificant and that all responses are equally conditionable to all stimuli“ (1205). Auch Breland und Brelands (1961) Kritik an ihm ist befremdlich, betrachtet man die vielen Gelegenheiten, bei denen Skinner die biologische Evolution des Verhaltens diskutiert. Insbesondere ist die Möglichkeit des operantens Konditionierens für das Individuum ein Überlebensvorteil, den die Art irgendwann einmal im Lauf der Evolution angenommen haben muss, um in der Lebenszeit des Individuums leichte Anpassungen des Verhaltens vornehmen zu können. Alles in allem fasst Skinner (1977) zusammen: „The behavior of organisms is a single filed in which both phylogeny and ontogeny must be taken into account“ (1012).

Was die Ausgangsfrage angeht, ob Skinner die biologische Mitverursachung von Verhalten geleugnet hat, so muss diese mit Nein beantwortet werden. Auch ist nicht richtig, dass Skinner erst spät in seiner Karriere auf die biologischen Ursachen einging. Skinner selbst hat – da diese Kritiken bereits zu seinen Lebzeiten geäußert wurden – dies bekräftigt: „Several commentators refere to my `recent´ interest in the genetics of behavior, but my interest is actually longstanding (1984, 701). Auch betont er, dass sowohl Watsons also auch seine ersten Experimente ethologischer Natur waren (1980, 199).

Skinner hat, wenn man die steigende Rate an Veröffentlichungen in Rechnung stellt, später nicht öfter als früher über die biologischen Ursachen des Verhaltens im allgemeinen geschrieben. Über evolutionäre Aspekte im Besonderen allerdings hat er tatsächlich in seinen späteren Jahren häufiger geschrieben als früher. Ein Blick auf die Hintergründe hilft jedoch, das zu verstehen. In späteren Jahren schrieb Skinner ganz allgemein mehr systematische Arbeiten und weniger empirische. Der Bezug zur Evolution kam nun einfach häufiger zur Sprache. Auch änderte sich die Psychologie und die Wissenschaft und Skinner mit ihnen. In die Mitte des Jahrhundert fällt die Entdeckung der DNA-Doppelhelixstruktur, 1973 erhielten Lorenz, Tinbergen und von Frisch den Nobelpreis für Medizin. All diese Ereignisse haben Skinner natürlich, wie jeden anderen damit befassten Wissenschaftler, dazu angeregt, mehr über die Evolution des Verhaltens zu schreiben. Hinzu kommt die größere Bekanntheit Skinners in seinen späteren Jahren. Er musste nun in der Tat öfter den unfundierten Kritiken entgegnen, die ihm unterstellten, sich nicht um die biologische Evolution zu kümmern.

Warum konnte man aber Skinner unterstellen, die biologischen Aspekte des Verhaltens zu ignorieren? Nur wenige Äußerungen Skinners geben Anlass zu vermuten, er vernachlässige die Biologie des Verhaltens. 1953 schrieb er in Science and Human Behavior: “Operant conditioning shapes the behavior as a sculptor shapes a lump of clay” (91). Wer nicht weiterlesen kann oder will, mag das missverstehen können. Ein anderes Mal schreibt er, als er die beinahe identischen kumulativen Grafiken des Verhaltens von drei Tierarten unter bestimmten Verstärkerplänen bespricht: „Pigeon, rat, monkey, which is which? … It doesn’t matter … their behavior shows astonishingly similar properties” (1956, 230 – 231).

Es ist nicht nötig, ein Experte für die Arbeiten Skinners zu sein, um die Haltlosigkeit von Unterstellungen wie den o. g. zu erkennen. Es genügt völlig, Skinner einmal im Original statt nur sekundär oder tertiär zu lesen, dann nämlich findet man Passagen wie diese: „Human behavior will eventually be explained (as it can only be explained) by the cooperative action of ethology, brain science and behavior analysis“ (1989, 18).

Morris, Smith und Lazo (2005) berichten, dass ihr Artikel (Morris; Lazo & Smith, 2004) über Skinners Haltung zu biologischen Komponenten des Verhaltens ursprünglich nicht in The Behavior Analyst erscheinen sollte. Sie hatten den Artikel zuvor fünf anderen Fachzeitschriften angeboten, davon vier von der amerikanischen Psychologenvereinigung herausgegebenen; zwei der Zeitschriften beschäftigten sich explizit mit tierischem Verhalten. Der Artikel wurde aber jeweils zurückgewiesen, ohne das auch nur eine Begutachtung stattfand. Die Herausgeber begründeten dies zum einen mit Platzmangel, zum anderen aber damit, dass der Artikel nicht „ins Heft passe“. Gravierende Qualitätsmängel wurden dem Artikel nicht attestiert. Einige der Herausgeber empfahlen, den Artikel doch bei einer Fachzeitschrift für die Geschichte der Psychologie einzureichen. Morris, Smith und Lazo (2005) finden dies nicht nachvollziehbar, da die in Morris, Lazo und Smith (2004) berichtigten Falschdarstellungen Skinners durchaus keine historischen Tatbestände sind. Zudem gilt Skinner nach einer Studie von Haggbloom und anderen (2002) als bedeutendster Psychologe des 20. Jahrhunderts (diese Studie erschien in einem APA-Journal für Allgemeine Psychologie). Es scheint, so die Autoren, Skinner soll „Geschichte“ bleiben oder werden. Die falschen Darstellungen seiner Ansichten sollen festgeschrieben werden, wohl auch deshalb, weil sie ein so wohlfeiler Topos sind. Dieser biologieleugnende „Skinner“ ist ein Strohmann, auf dessen immer wieder kehrende rituelle Verbrennung die Psychologenschaft und ihresgleichen wohl nicht verzichten will.

Literatur

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Haggbloom, S. J., Warnick, R., Warnick, J. E., Jones, V. K., Yarbrough, G. L., Russell, T. M., Borecky, C. M., McGahhey, R., Powell, J. L., III, Beavers, J., & Monte, E. (2002). The 100 most eminent psychologists of the 20th century. Review of General Psychology, 6(2), 139-152. https://doi.org/10.1037/1089-2680.6.2.139

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Morris, E. K., Smith, N. G., & Lazo, J. F. (2005). Why Morris, Lazo, and Smith (2004) published in The Behavior Analyst. The Behavior Analyst, 28(2), 169-179. https://doi.org/10.1007/BF03392113

Pinker, S. (2002). The blank slate. The modern denial of human nature. New York: Viking.

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Kann sprachliches Verhalten durch einen behavioristischen Ansatz erklärt werden?

Zur Einführung in das Thema empfehle ich die Lektüre des Artikels Verbal Behavior in der Internet-Enzyklopädie „Wikipedia“.

Zusammenfassung

Wenn man mit deutschen Psychologen über den Behaviorismus diskutiert, bekommt man – neben vielen Halbwahrheiten und Missverständnissen – ab und an zu hören, „seit Chomsky“ sei ja ohnehin ausgemacht, dass der behavioristischen Ansatz auf komplexes menschliches Verhalten nicht übertragbar sei. Die Proponenten dieser Behauptung beziehen sich dabei auf die Besprechung von B.F. Skinners Buch „Verbal Behavior“ (1957) durch den Linguisten Noam Chomsky (1959). Chomsky habe hier gezeigt, dass Skinners Anwendung des verhaltensanalytischen Erklärungsapparats auf sprachliches Verhalten fehlerhaft sei und dass der Behaviorismus zur Erforschung der menschlichen Sprache nicht tauglich sei. Interessanterweise haben die Anhänger dieser Legende – Chomsky hat Skinner „widerlegt“ – in der Regel weder das Buch „Verbal Behavior“ noch Chomskys Besprechung dazu gelesen. Bei einer genaueren Betrachtung von Chomskys Rezension aber beschleicht einen der Verdacht, dass auch Chomsky das von ihm besprochene Buch nicht richtig gelesen hat.

MacCorquodales Replik zu Chomsky

Sowohl was ihren Einfluss auf die Wissenschaft als auch was ihr Potenzial zur Erzeugung von Kontroversen angeht, sind sowohl Skinners Verbal Behavior (1957) als auch Chomskys Besprechung des Buches (1959) als echte Erfolge zu bezeichnen. Chomskys Besprechung war, milde ausgedrückt, unfreundlich. Sie besteht aus zwei Teilen: Im ersten kritisiert Chomsky Skinners analytischen Apparat, im zweiten folgt eine kurze und eher oberflächliche Kritik der Anwendung dieses Apparats auf sprachliches Verhalten. Chomskys Kritik wurde fast nie in systematischer Weise widersprochen, die Analyse von MacCorquodale (1970) steht hier einzig da. Der Grund dafür mag in dem Umstand liegen, dass Chomsky über weite Strecken einen Behaviorismus „widerlegt“, der so von niemandem (mehr) vertreten wird, am wenigsten von Skinner selbst. So verwendet er ganze sechs Seiten auf eine weitere Widerlegung der Trieb-Reduktions-Theorie der Verstärkung (die schon lange aus der Debatte verschwunden ist). Der hauptsächliche Grund für die Schweigsamkeit der Behavioristen zu Chomsky mag in dem Ton seiner Besprechung liegen: Sie ist, so MacCorquodale, „kleinlich bei Fehlern, herablassend, nachtragend, begriffsstutzig und schlecht gelaunt“ (S. 84, Übersetzung von CB). So bezeichnet Chomsky das einwandfrei sauber definierten Wort „Verhaltensantwort“ (response) ständig als einen „Begriff“ (notion), was das Wort irgendwie dubios erscheinen lässt. Die einzige nette Bemerkung in der Rezension findet sich in einer Fußnote.

MacCorquodale hält Chomskys Besprechung für durchaus beantwortbar. Obwohl sie sehr lang ist, sei sie in hohem Maße redundant: Tatsächlich lässt sie sich auf drei Krenaussagen reduzieren.

Obwohl seine Grundannahme eine empirische ist, enthält Skinners Buch keine empirischen Daten in Bezug auf sprachliches Verhalten. Chomsky hat selbst keinerlei Daten, um Skinners Hypothese zu widerlegen. Er hat sich auch nicht die Mühe gemacht, je irgendwelche Daten dahingehend vorzulegen. In der Tat gibt es bis heute keine Daten (die von Kognitivisten vorgebracht werden), die Skinners Hypothese widerlegen könnten. Dies sollte man bedenken, wenn man hört, dass Chomskys Arbeit zeige, dass sprachliches Verhalten nicht durch Skinners Form der funktionalen Analyse erklärt werden könne (so z.B. Fodor & Katz, 1964, S. 546). Chomsky hat nichts in der Art gezeigt, er hat es lediglich behauptet. Um so überraschender ist es, dass sich Chomsky nie auf eine von Skinners früheren Arbeiten bezieht (wie etwa Science and Human Behavior , 1953), in der die funktionale Analyse des Verhaltens erläutert wird und in der die Grundlagen für Verbal Behavior gelegt werden. Der Verdacht liegt nahe, dass Chomsky sich nie mit diesen Grundlagen auseinandergesetzt hat und deshalb auch nur das Zerrbild eines Behaviorismus, wie er es sich zusammengereimt hat, angreifen kann. Und, bei genauerer Betrachtung entsteht der Eindruck, auch Verbal Behavior hat Chomsky nie wirklich gelesen…

Chomskys erste Kritik an Verbal Behavior ist, dass es sich um eine ungetestete Hypothese handelt, die nicht ernsthaft diskutiert zu werden braucht (so MacCorquodale, 1970, S. 84ff). Zwar benutzen weder Skinner noch Chomsky das Wort „Hypothese“, im Gunde aber ist Verbal Behavior eine Hypothese, nichts anderes. Skinners Hypothese unterscheidet sich von gewöhnlichen psychologischen Hypothesen, insofern als sie keine Bezüge auf unbeobachtbare oder fiktionale Vorgänge enthält, sondern sich lediglich auf das von Menschen geäußerte sprachliche Verhalten bezieht. Seine Hypothese lautet, stark verkürzt, dass alles sprachliche Verhalten nach denselben Prinzipien funktioniert wie anderes Verhalten auch und dass es sich in den Begriffen von Stimulus, Verhalten und Verstärkung beschreiben und erklären lässt. Diese Hypothese mag sich als falsch erweisen, jedoch gilt es zu bedenken, dass diese Prinzipien sehr gut erforscht sind und dass sie sich als in einem erstaunlichen Maße artübergreifend gültig erwiesen haben: Vom Fisch bis zum Menschen, das operante Konditionieren funktioniert bei allen Arten auf dieselbe Art und Weise. Die Annahme, dass beim Menschen – speziell beim sprachlichen Verhalten – auf einmal ganz andere Prinzipien wirksam seien, ist demgegenüber ein außergewöhnliche Behauptung, zu deren Beweis es auch außergewöhnlich guter Belege bedürfte.

Ein Problem, das Psychologen mit dem Wort „Hypothese“ haben, ist, dass sie es mit „hypothetisch“ verwechseln. An Skinners Hypothese, sprachliches Verhalten folge denselben Prinzipien wie anderes Verhalten auch, ist aber nichts Dubioses oder Zweifelhaftes. Es handelt sich hier eher um eine „Null-Hypothese“, an der festzuhalten ist, bis eindeutige Daten sie wiederlegen. Skinners Problem besteht darin, dass keine Experimente zu dieser Hypothese (dass alles sprachliche Verhalten wie anderes Verhalten auch mit den Werkzeugen der Verhaltensanalyse erklärbar ist) möglich sind, wenngleich auch schon Verbal Behavior voller Beobachtungen ist. Seine Situation gleicht der eines Astronomen, der die Gezeiten erklärt: Er hat zahlreiche Belege für die Richtigkeit seiner Hypothese, jedoch kann er kein Experiment zu ihrer Prüfung durchführen. Die Hypothese als solche (die postulierte Gültigkeit der verhaltensanalytischen Gesetzmäßigkeiten für den Bereich der Sprache) ist nicht beweisbar sonder nur widerlegbar. Skinners Situation gleicht insofern der des Astronomen, als alle Menschen unter diesen Bedingungen die Sprache lernen und dass es z.B. nicht möglich ist, jemanden das Sprechen lernen zu lassen, ohne dass diese Gesetzmäßigkeiten eine Rolle spielen, genausowenig, wie der Astronom den Mond wegnehmen kann, um zu beweisen, dass dieser die Gezeiten verursacht. Wohl aber können sowohl Skinner als auch der Astronom zeigen, dass die Realität mit der Hypothese gut übereinstimmt.

Chomsky vermeidet das Wort „Hypothese“ zugunsten einiger eher pittoresker Ausdrücke: „Analogie, metaphorische Erweiterung, Illusion, Homonym“: All diese Ausdrücke beziehen sich lediglich auf den Umstand, dass Skinners System eine Hypothese über sprachliches Verhalten darstellt. Genau betrachtet ist jeder wissenschaftliche Ausdruck in einer ungestesteten Hypothese zunächst einmal nur eine analoge Erweiterung des Bestehenden. Es steht zu vermuten, dass Chomsky diese Ausdrücke lediglich aufgrund ihres abwertenden Charakters wählte. Noch überraschender ist die Geschwindigkeit, mit der Chomsky von der Feststellung, dass es sich bei Verbal Behavior um eine Hypothese handle, zu dem Schluss kommt, es sei „nur“ eine Hypothese, die sich als falsch erweisen werde. Chomskys einziges „Argument“ in diesem Zusammenhang ist, dass man Laborergebnisse nicht auf das „wirkliche Leben“ übertragen könne – was voraussetzt, dass im Labor andere Naturgesetze gelten als außerhalb. Eine, wie  MacCorquodale feststellt, im Lichte von Occams Rasiermesser nicht gerade sparsame Annahme.

Skinner wendet die Terminologie des operanten Konditionierens auf das sprachliche Verhalten an. Der Stimulus „ein Musikstück“ löst die Verhaltensantwort „Mozart“ aus. Chomsky fragt, warum es gerade „Mozart“ seien solle, das durch den Stimulus ausgelöst werde. Das sei irgendwie sehr beliebig. So werden die Stimuli (bzw. die Auswahl des Stimulus) in den Organismus verlegt: Der Organismus wähle dann eben den Stimulus für ein bestimmtes Verhalten aus. Dem muss widersprochen werden, denn „beliebig“ sind die Stimuli nur im hypothetischen Beispiel. Weiter kritisiert Chomsky, dass Skinner z.B. nur den Fall erklären könne, dass jemand „Eisenhower“ sage, wenn der Mann zugegen sei, nicht aber in anderen Situationen. Es wird hier offenbar, dass Chomsky anscheinend glaubt, ein Verhalten (eine verbale Reaktion) könne nur durch einen Stimulus ausgelöst werden. Anders kann man sich Chomskys Behauptung, der Stimulus werde in den Organismus verlegt, nicht erklären: Wenn Eisenhower nicht da ist, dann muss er – so glaubt Chomsky – im Kopf des Sprechers sein. Im konkreten Fall kann es aber tausenderlei Stimuli geben, die die Reaktion „Eisenhower“ auslösen können (z.B. ein Foto, der Name „Chrustschow“ – was auch immer die Lerngeschichte des Individuums hergibt…). Anzunehmen, „Eisenhower“ müsse im Kopf des Spechers zugegen sein, um diesen „Eisenhower“ sagen zu lassen, ist ein typischer mentalistischer Fehlschluss: Chomsky kritisiert hier Skinner dafür, dass er – Chomsky – Skinners Argumente nicht verstanden hat und seine laienhaften Vorstellungen auf Verbal Behavior überträgt. Es soll sich einmal ein Geisteswissenschaftler – wie Chomsky einer ist – dasselbe Vorgehen bei einer Disziplin wie der Quantenmechanik erlauben (und dann diese dafür kritisieren, dass sie widersinnig sei – weil er sie nicht versteht). Die Empörung wäre zu Recht groß. Pikanterweise wird ausgerechnet Chomsky in Sokals und Bricmonts Buch „Eleganter Unsinn“ als Kronzeuge gegen solche Philosophen und Geisteswissenschaftler – die Naturwissenschaften nicht verstehen und aufgrund ihres eigenen Nicht-Verstehens kritisieren – aufgerufen.

Erwartungsgemäß findet Chomsky Skinners funktionale Definition von Verstärker – ein Verstärker ist ein Ereignis, das einem Verhalten folgt und das die Auftretenswahrscheinlichkeit dieses Verhaltens erhöht – unbefriedigend. Er beklagt sich darüber, dass Verstärker nur im nachhinein als solche erkannt werden könnten. Dabei hängt Chomsky der Vorstellung an, Skinner vertrete eine Trieb-Reduktions-Theorie der Verstärkung. Es scheint aber ein schlichtes empirisches Faktum zu sein, dass Verstärker nur ein gemeinsames Merkmal haben: Nämlich, dass sie verstärken. Man kann aber in individuellen Fällen durchaus voraussagen, welches Ereignis höchstwahrscheinlich ein Verstärker sein wird. Dies gilt insbesondere für primäre – unkonditionierte – Verstärker, die für bestimmte Arten spezifisch sind. Das Verhalten einer von Futter deprivierten Ratte kann mit sehr großer Wahrscheinlichkeit durch Futter verstärkt werden. Zudem gibt es mit dem Premack-Prinzip ein weitere Möglichkeit, Verstärker „von vorn herein“ zu finden. Je mehr man über die Lerngeschichte eines Organismus weiß, desto besser kann man verstärkende Stimuli voraussagen.

Chomsky scheint überzeugt davon zu sein, dass Skinner der Auffassung ist, verbales Verhalten könne nur durch langsame und vorsichtige Verstärkung (so Chomsky, 1959, S. 39, S. 42 und S. 43) konditioniert werden. Tatsächlich sagt Skinner an keiner Stelle etwas Derartiges – er impliziert es auch nicht. Wieder einmal überträgt Chomsky seine Vorstellung, davon, was ein hypothetischer Strohmann-Skinner seiner Vorstellung wohl sagen würde, auf den realen Skinner.

Chomsky scheint des weiteren der Ansicht zu sein (a.a.O., S. 43), dass man ja mittlerweile wisse, dass Sprachenlernen zum größten Teil auf Imitationslernen beruhe – womit er impliziert, dass operantes Konditionieren keine große Rolle spiele. Aber auch Skinner vertritt die Ansicht, dass Sprachenlernen viel Imitationslernen beinhalte. Nur dass das Lernen durch Imitation selbst ein Produkt von Verstärkung ist. Weiter nimmt Chomsky an, dass latentes Lernen (ohne Verstärkung) von kaum einem Forscher mehr bezweifelt werde (a.a.O., S.39). Die vielen Studien, die Chomsky hier zum Beleg anführt, weisen jedoch alle erhebliche methodische Probleme auf. Die Frage nach dem latenten Lernen ist nicht (zugunsten desselben) beantwortet worden. Die Frage wird schlicht und ergreifend nicht mehr gestellt, weil sie sich als nicht beantwortbar erwiesen hat.

Chomsky kritisiert Skinners Verwendung des Begriffs „Wahrscheinlichkeit“. Chomsky sagt, dass der Begriff „Wahrscheinlichkeit“ bei Skinner eine merkwürdige Bedeutung habe (a.a.O., S. 34). Das verwundert nicht, denn Chomsky zitiert hier Hulls Definition von Wahrscheinlichkeit (Widerstand gegen Extinktion), nicht Skinners (Wahrscheinlichkeit des Auftretens)… Skinner definiert Wahrscheinlichkeit nicht anders als jeder Naturwissenschaftler. Noch peinlicher für Chomsky sollte sein, dass er anscheinend den Unterschied zwischen der Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer bestimmten verbalen Reaktion „an sich“ und der Wahrscheinlichkeit für das Auftreten einer bestimmten verbalen Reaktion in einer bestimmten Situation nicht kennt (ebd.). Die „Wahrscheinlichkeit an sich“ für das Auftreten des Wortes „Mulct“ ist sehr gering. In dieser jetzigen Situation – wenn Sie das Wort lesen – ist die momentane Wahrscheinlichkeit wesentlich höher. Die „Wahrscheinlichkeit an sich“ ist ein Thema für Linguisten, die momentane Wahrscheinlichkeit ist die verhaltensanalytische Fragestellung schlechthin: Unter welchen Bedingungen äußert eine Person einen bestimmte Teil ihres sprachlichen Repertoires? MacCorquodale (1970) fragt sich, was Chomsky wohl überhaupt mit dem Inhalt von Verbal Behavior anfangen konnte, wenn er diese grundlegende Unterscheidung nicht machen konnte. So kann man auch folgendes Missverständnis nur mit Chomskys völliger Ignoranz des kritisierten Buches erklären: Skinner definiert mehrfach eine „starke Reaktion“ als eine solche, die mit hoher Wahrscheinlichkeit auftrete – und warnt vor eventuellen anderen Interpretationen dieses Begriffes. Chomsky meint nun aber, dass eine „starke Reaktion“ im sprachlichen Verhalten eine solche sei, die „geschrieen“ (a.a.O., S. 35) oder aber „oft und in einer sehr hohen Tonlage“ (a.a.O., S. 52) geäußert werde.

Chomskys zweiter großer Kritikpunkt ist, dass Skinner nur die traditionellen Begriffe durch eine technisch klingende Sprache zu ersetzen versuche (Ein Vorwurf, den man m.E. eher Chomsky und seiner technizistischen, aber im Grunde nutzlosen, da zu ihrem eigentlichen Zweck – der Generierung von Sprache – nicht tauglichen generativen Transformationsgrammatik machen müsste; dies am Rande). Daher, so Chomsky, seien sie kein bisschen objektiver als die traditionellen Begriffe. So sei „Stimuluskontrolle“ nur eine unperfekte Umschreibung für „Referenz“. Sprachliche Zeichen besitzen nach traditioneller Ansicht Referenten. So ist der Referent für das Wort „Hund“ ein tatsächlicher Hund. Das Konzept der Referenz stimmt schon auf den ersten Blick nicht eins zu eins mit dem der Stimuluskontrolle überein, denn eine Äußerung wie „Verdammt!“ hat keinen Referenten, sehr wohl aber einen auslösenden Stimulus (z.B. sich die Hand am heiße Topf zu verbrennen). Stimuluskontrolle beinhaltet viel mehr als „Referenz“. Irgendwie scheint Chomsky das zu ahnen, denn er kritisiert die behavioristischen Begriffe dafür, dass sie die traditionellen Konzepte verwischen würden. Aber Skinners Analyse ist genauso wenig eine Paraphrase des linguistisch-philosophischen Mentalismus wie die moderne Physik eine Paraphrase des Pantheismus darstellt. Sie konvergieren – beziehen sich auf einen ähnlichen Realitätsausschnitt – aber mit ganz anderen Voraussetzungen und ganz anderen Ergebnissen. Jeder Begriff in Skinners Ansatz bezieht sich auf ein ganz konkretes Faktum, auf Objekte und Ereignisse, die physikalisch vorhanden sind. Das ist Objektivität.

Chomskys dritte Kritik besteht darin, dass Sprache ein komplexes Phänomen sei, dessen Verständnis eine komplexe Theorie benötige. In der Tat ist Skinners Erklärungssystem ein relative einfaches im Vergleich zur Komplexität des zu Erklärenden. Andererseits hat es viele Variablen und ebenso viele Funktionen. Es ist guter wissenschaftlicher Brauch, eine Theorie, die ein komplexes Phänomen mit wenigen Annahmen erklärt, einer anderen Theorie vorzuziehen, die wesentlich mehr Annahmen machen muss – vorausgesetzt, die sonstigen Bedingungen sind gleich (dies wird auch als Occams Rasiermesser bezeichnet und solche „sparsamen“ Theorien werden gemeinhin als „elegant“ betrachtet). Auch eine Theorie sprachlichen Verhaltens, die keine speziellen grammatik-erzeugenden Regeln beinhaltet, kann sprachliche Äußerungen erklären, die grammatikalischen Regeln gehorchen. Auch aus einfachen Gesetzen können komplexe Phänomene resultieren. Skinner weist in Verbal Behavior auf die Möglichkeit der multikausalen Verursachung, die zu besonderen Effekten führe, immer wieder hin. Wer das Buch aufmerksam liest, erkennt, dass es sich bei weitem nicht nur auf die Erklärung einfachen sprachlichen Verhaltens beschränkt. Chomsky begeht den typischen Denkfehler der Pseudo- und Parawissenschaftler, wenn er die unerklärten Fälle überbewertet: Weil etwas aktuell nicht erklärt sei, müsse es auch unerklärlich sein. Nichts anderes legt Chomsky hier nahe und er gleicht damit den UFO- und Geistergläubigen in ihrer Argumentation vom Nicht-Wissen her (argumentum ad ignorantiam ).

Skinners Gesetze sind funktional insofern als sie den Zusammenhang von Umweltereignissen und  Verhalten beschreiben – beides objektiv beobachtbare Sachverhalte. Sie beziehen sich nicht auf andere Ereignisse, die hypothetisch angenommen werden oder erfunden werden, um zwischen den Umweltereignissen und dem Verhalten zu vermitteln. Diese Funktionalität wird bisweilen als eine Verleugnung solcher vermittelnden Mechanismen missverstanden. Natürlich existieren solche vermittelnden Mechanismen – sie sind natürlich neurologischer Natur und sie unterliegen natürlich ebenfalls bestimmten Gesetzen. Chomsky ignoriert diese Voraussetzungen und schreibt, dass man wohl von einer Theorie, die Verhalten voraussagen soll, erwarten dürfte, dass sie sich auf diese vermittelnden Mechanismen bezieht (a.a.O., S. 27). Vielleicht dürfte man das erwarten, aber man muss es nicht. Solange man kein Neurophysiologe ist, ist es absolut überflüssig, mehr über diese internen Strukturen zu wissen, als dass sie existieren. Die Verhaltensanalyse sagt erfolgreich Verhalten voraus, ohne sich auf vermittelnde Mechanismen zu beziehen. Ein Psychologe, der wüsste, wie genau diese interne Struktur zwischen Umweltereignissen und Verhalten vermittelt, könnte das Verhalten nicht besser voraussagen, denn alles was er dazu wissen muss, kann er auch ohne das Wissen um die innere Struktur wissen. Im Gegenteil: Wenn er etwas über diese innere Struktur in Erfahrung bringen möchte, muss er sich auf Verhaltensdaten beziehen; der Verhaltensanalytiker aber muss sich nicht auf hypothetische innere Strukturen beziehen, um Verhalten vorauszusagen.

Um zu wissen, wie schnell ein Auto fahren wird, dessen Fahrer das Gaspedal auf eine bestimmte Art und Weise drückt, muss ich nichts über den Aufbau des Motors wissen: Es genügt zu wissen, dass das Auto einen Motor hat. Es ist lediglich notwendig, das „Verhalten“ des Autos unter bestimmten Umweltbedingungen (bei einem bestimmten Verhalten des Fahrers und bei bestimmten Straßenverhältnissen) zu beobachten. Der Vergleich hinkt insofern, als Psychologen nicht in der Lage sind, die Motorhaube zu öffnen. Kognitive Psychologen gleichen Auto-Experten, die über den hypothetischen Aufbau eines Motors debattieren, während ihre eher praktisch veranlagten Kollegen (die Verhaltensanalytiker) lieber eine Testfahrt unternehmen…

Chomsky sieht diese innere Struktur vor allem im Gehirn und er vermutet ihren Ursprung zum größten Teil in der genetischen Vorherbestimmung oder Programmierung. Obwohl er mit beidem (dem Sitz der inneren Struktur im Gehirn und der genetischen Bestimmtheit der Struktur des Gehirns) zweifelsohne Recht hat, so hat das doch nichts mit dem Inhalt von Skinners Hypothese zu tun. Chomsky (und die kognitiven Psychologen) scheint der Psychologie die Aufgabe zuzuweisen, mit den verfügbaren Daten – dem Verhalten – so lange vorläufig zu arbeiten, bei die Neurologie mit der „wirklichen“ Erklärung aufschließen kann (a.a.O., S. 27; im übrigen war das auch Sigmund Freuds ursprüngliche Position – die Physiologie werde eines Tages seine Theorie bestätigen, hoffte er). Tatsächlich aber „versuchen“ Verhaltensanalytiker nicht, Verhalten zu „spezifizieren“ – sie tun es bereits. Die funktionalen Gesetze der Verstärkung sind gesichertes empirisches Wissen, nicht eine Theorie, die auf eine neurologische Bestätigung wartet.

Für Chomsky scheint es von großer Bedeutung zu sein, dass möglicherweise bestimmte Aspekte des sprachlichen Verhaltens genetisch vorbestimmt sind. Er lastet es Skinner sehr an, dass dieser dazu keine Stellung bezieht und sieht das als eine unentschuldbare Lücke an. Zum einen folgert er aus der genetischen Vorbestimmtheit dass eine Theorie des sprachlichen Verhaltens deswegen unbedingt die Struktur des Gehirns berücksichtigen muss. Zum anderen ist für ihn der Umstand der genetischen Programmierung von Sprachverhalten inkompatibel mit der Rolle der Verstärkung, die Skinner ihr zuweist. Dem lässt sich entgegnen, dass die Struktur des Organismus nicht notwendigerweise in einem psychologischen Gesetz berücksichtigt werden muss (wie Chomsky das fordert, a.a.O., S. 44). So lange das Gehirn programmiert ist, wird es gesetzmäßige Zusammenhänge zwischen Stimuli und Verhalten erzeugen und ein funktionales Gesetz, das diesen Zusammenhang beschreibt, muss sich nicht auf die Struktur des Gehirns beziehen. Zudem, wenn die genetische Programmierung wirklich so eine große Rolle spielt, dann wird dies nicht durch die Berücksichtigung der Struktur, sondern nur durch die Berücksichtigung des Verhaltens erkannt werden. Zum anderen gibt es keine Unvereinbarkeit von genetischer Evolution und dem Prinzip der Verstärkung, im Gegenteil: beide ergänzen sich.

Chomsky erliegt auch dem üblichen Denkfehler aller „biologistischen“ Theoretiker: Der bloße Umstand, dass es grammatikalische Universalien gibt – so es diese denn gibt – ist kein Beleg dafür, dass es ein ererbtes Subsystem zum Grammatikerwerb im Gehirn gibt. Wenn alle Menschen, die Sprache erwerben, dies auf dieselbe Art und Weise tun (z.B. via Verstärkung), dann ist es nur wahrscheinlich, dass das Resultat dieses Erwerbs – die Sprache – gewisse Gemeinsamkeiten aufweist.

Des weiteren beeindruckt Chomsky der Umstand, das Kinder (bei weitem aber nicht alle Kinder) Grammatik vergleichsweise schnell erwerben – was seines Erachtens im Widerspruch zum Erwerb durch Verstärkung steht. Es ist aber nichts an der Verstärkung, das voraussetzt, dass diese langsam ablaufen müsste.

Alles in allem beschäftigt sich Skinner mit dem, was auch immer die Genetik dem Organismus zu tun übrig lässt. Diese beiden Faktoren sind nicht inkompatibel. Es ist unlogisch anzunehmen, weil wir eine Disposition für grammatikalisches Verhalten hätten, könnten wir dieses Verhalten nicht durch Verstärkung gelernt haben.

Grammatik besteht für Chomsky in einer Theorie bzw. Regeln oder einer Kompetenz, über die ein Mensch verfügt. Es ist eine Sache, über die das Kind und später der Erwachsene verfügt. Diese Sache offenbart sich dadurch, dass die Person über einen Mechanismus zum Verstehen und zum Generieren grammatischer Sätze verfügt. Dieser Mechanismus kontrolliert gewissermaßen den Eingang und Ausgang der Sprache. Zunächst einmal ist es merkwürdig, warum wir über einen Mechanismus verfügen sollten, der dem Rest der Person ständig mitteilt, ob ein Satz wohlgeformt ist oder nicht. Sprache muss aber nicht von einer extra Grammatik-Einheit produziert werden, um grammatisch zu sein. Ein simples System kann sehr strukturierten Output produzieren. Diese Struktur muss nicht im System vorliegen, sie liegt allein im Output selbst vor. Chomsky dagegen nimmt an, dass Grammatik quasi unabhängig von dem Gesprochenen vorliege und auf das Gesprochene einen kausalen Einfluss ausübe. Chomsky sieht diesen Grammatik-Mechanismus als eine Art Kontrollinstanz, die durch keinerlei Input erreicht wird. Aber niemand spricht reine Grammatik: Alle Sätze haben grammatikalisch irrelevante Elemente – zu mindest haben sie Inhalt. Früher oder später muss irgend etwas in dieses System hinein kommen. Eine sprachlich kompetente Person kann zwischen verschiedenen Sätzen hinsichtlich ihrer Grammatikalität diskriminieren und sie kann grammatikalisch richtige Sätze erzeugen, die von andern dahingehend diskriminiert werden können. Das bedeutet nicht notwendigerweise, dass diesen beiden Fähigkeiten ein gemeinsames System zugrunde liegt. Ein Kind lernt sowohl zu laufen als auch zwischen „laufen“ und anderem Verhalten bei anderen Menschen zu diskriminieren. Durch die Annahme, das Kind verfüge über eine Theorie des Laufens, wird nichts gewonnen.

Im zweiten Teil der Besprechung kritisiert Chomsky die Anwendung von Skinners System auf sprachliches Verhalten. So fragt er sich, ob man je den relevanten Deprivationszustand für solche Forderungen wie „Gib mir das Buch!“ herausfinden wird. Dabei vergisst er, dass Verstärker nicht notwendigerweise trieb-reduzierend wirken müssen. Ein weiterer Lapsus unterläuft Chomsky, als er sich darüber amüsiert, dass „ein Sprecher nicht angemessen auf die Forderung `Geld oder Leben´ reagieren wird können, so lange er keine Vorgeschichte hat, die ein Getötet-werden beinhaltet“ (a.a.O., S. 46). Der Sprecher aber äußert in diesem Fall die Forderung und benötigt lediglich eine Vorgeschichte, die das Bedürfnis nach Geld beinhaltet. Das Absurde liegt hier bei Chomsky und nicht in Verbal Behavior.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Chomsky eine Theorie kritisiert hat, die so von niemandem vertreten wird, ein Amalgam, dass einige veraltete behavioristische Versatzstücke beinhaltet, wie z.B. die triebreduzierende Wirkung von Verstärkung, das Extinktions-Kriterium für Antwort-Stärke, eine Pseudo-Inkompatibilität von Genetik und Verstärkung und andere Dinge mehr, die nichts mit Skinners Theorie zu tun haben. Chomsky weist ohne Diskussion die Logik des Reduktionismus zurück und er erkennt an keiner Stelle die Möglichkeit an, dass Verhalten durch verschiedene Ursachen beeinflusst wird – bei Skinner nimmt das breiten Raum ein.

Die kognitive Psychologie begründet zum Teil mit Chomskys Besprechung von Verbal Behavior die Notwendigkeit für ein neues Paradigma und den Abschied vom Behaviorismus. Neue Paradigmen aber sind, so MacCorquodale, in der Psychologie im Dutzend billiger. Behavioristen verstehen neue Daten. Jedoch konnte weder Chomsky noch einer seiner geistigen Schüler bislang Daten vorlegen, die die Grundaussagen von Verbal Behavior in Frage stellen könnten.

Palmers Kritik an Chomskys „angeborener Grammatik“

Palmer (2000) stellt fest, dass er lange Zeit Chomskys Kritik an Skinner lediglich als eine polemische Übung ohne echte Bedeutung für die Wissenschaft von der Analyse des verbalen Verhaltens betrachtet hat. Jedoch belehrte ihn die Reaktion vieler Linguistik-Professoren auf seine Einwände gegen Chomsky eines Besseren: Er kam sich vor wie ein Fanatiker, den man nur milde belächelte, zu eingefahren war die Überzeugung, Chomsky habe Skinner „widerlegt“. Offenkundig besteht noch großer Aufklärungsbedarf.

Die Kontroverse zwischen Skinner und Chomsky dreht sich nicht darum, ob sprachliches Verhalten sowohl ontogenetische als auch phylogenetische Voraussetzungen hat, sondern darum, ob es einen angeborenen Mechanismus geben muss, der die Anordnung elementaren verbalen Verhaltens beschränkt.

Chomskys Argumentation geht, verkürzt, folgendermaßen: Muttersprachler wissen viele Dinge über die Syntax ihrer Sprache, die sie nicht durch Beobachtung erschlossen haben können und die man ihnen nicht explizit beigebracht hat. Daher muss dieses Wissen angeboren sein.

Cook und Newson (1996) bemerken hierzu in aller Unschuld, dass man vor Darwin die Adaptivität der Organismen auf dieselbe Weise mit der Existenz eines Schöpfers erklärt habe (und bringen so unfreiwillig die Sache auf den Punkt).

All die Argumente, die für eine angeborene Grammatik ins Feld geführt werden, erinnern uns lediglich daran, dass Sprache unglaublich nützlich ist. Sie rechtfertigen nicht Chomskys Grammatik und sie erklären nicht, warum jemand einen Nachteil im Kampf ums Überleben hätte, wenn er sich nicht an bestimmte Regeln dieser Grammatik hielte.

Die Annahme, dass Muttersprachler die verschiedenen Regeln ihrer Sprache kennen, ist im banalen Sinne nicht wahr – die wenigsten können eine grammatikalische Regel benennen. Doch wir können in der Tat feststellen, dass das meiste verbale Verhalten der meisten Menschen durch die Regeln der von Linguisten erstellten Grammatiken beschrieben werden kann. Aber diese Regeln sind von Linguisten aufgrund der Beobachtung des verbalen Verhaltens von Menschen erstellt worden. Dass jemand ein Verhalten modellieren kann, bedeutet nicht, dass das Individuum, welches dieses Verhalten zeigt, das Modell kennt. Die Taube auf einem Verstärkungsplan weiß nichts vom matching law und beim Fliegen weiß sie nichts von der Aerodynamik. Doch Chomsky meint, dass Grammatik nicht nur ein Modell der Sprache ist, er meint, dass Grammatik etwas ist, dass der Sprecher „weiß“.

Palmer (2000, ursprünglich 1981) kritisiert Noam Chomskys These, dass Grammatik (in einem bestimmten Sinne) angeboren sei. Diese Position hat unter Linguisten und Laien mit Interesse an der Materie große Popularität erfahren, denn Chomsky versteht es, gekonnt – zum Teil polemisch – und überzeugend zu argumentieren. Chomsky behauptet, mit seinem Ansatz bei der Erklärung des Spracherwerbs erfolgreich zu sein. Erfolg, so Palmer, verdient unsere Aufmerksamkeit, egal vor welchem theoretischen Hintergrund er zustande kommt.

Im wesentlichen geht es um Chomskys Annahme, dass das Gehirn des Neugeborenen in irgend einer Weise darauf vorbereitet sein muss, aus dem sprachlichen Material, das ihm geboten wird, Regeln zu extrahieren. Palmer kritisiert diese Annahme aus zwei Gründen: Zum einen sei es eine Überforderung der biologischen Evolution, anzunehmen, sie habe einen derartigen Mechanismus hervorbringen können. Zum andern muss dieser angeborene Mechanismus im Gehirn auf Reize reagieren, wirkliche Ereignisse in der physikalischen Welt. Jedoch scheint Chomsky nicht in der Lage zu sein, diese Ereignisse zu benennen. Zuletzt weist Palmer Chomskys spitzfindige Argumente gegen eine verhaltenswissenschaftliche Analyse der Sprache zurück, denn Chomsky verwechselt die Eigenschaften seines formellen Systems mit den Eigenschaften menschlicher Wesen: Die Feststellung, dass Sprache aus einer unendlichen Anzahl von Sätzen besteht, muss verworfen werden, wenn man aus der dünnen Luft formaler Analysen in die in die Welt von Umweltereignissen und Verhalten tritt.

Chomsky nimmt einer universelle Grammatik an, die gewissermaßen den vielgestaltigen Grammatiken der realen Welt übergeordnet ist bzw. zugrunde liegt. Er interessiert sich für die „essentielle Natur“ menschlicher Wesen und diese Grammatik soll also genetisch codiert sein. Jedoch ist der Nachweis des Beitrages der Genetik zum menschlichen Verhalten aus vielerlei Gründen sehr schwierig. So ist es z.B. unmöglich, diesen Nachweis experimentell zu erbringen – und im Falle der Sprache ist auch der Umweg über das Experiment am Tier (z.B. Zuchtexperimente oder Experimente, bei denen Tiere isoliert von Artgenossen aufwachsen) ausgeschlossen, denn Tiere zeigen keine dem Menschen vergleichbare Sprache.

Chomsky meint mit der „angeborenen Grammatik“ tatsächlich eine Grammatik im traditionellen Sinne, eine Sammlung von Regeln. Er benutzt häufig alltagssprachliche mentalistische Begriffe wie „Absicht“, „Glaube“, „Wille“ und „Geist“, ohne diese zu definieren. Deswegen bleibt seine Darstellung abstrakt und metaphorisch. Offenkundig, so Palmer, wartet Chomsky auf den Tag, an dem jemand kommt und seine Begriffe operationalisiert, ohne zugleich sein formales System, das er auf diesem terminologischen Treibsand errichtet hat, einstürzen zu lassen.

Chomskys Analyseeinheit ist der Satz und seine Daten sind seine Urteile – und die von ihm unterstellten Urteile anderer – darüber, welche Sätze „wohlgeformt“ seien und welche nicht. Sätze aber sind ein Begriff aus einem formalen System, nicht Einheiten der natürlichen Sprache. Wenn das verbale Verhalten eines Menschen und seine Urteile über verbale Äußerungen (ob diese „wohlgeformt“ oder nicht sind) eine Funktion der speziellen Erfahrungen sind, die diese Individuum in einer speziellen Umwelt gemacht hat, dann werden uns Überlegungen über einen idealen Sprecher in einer hypothetischen Gemeinschaft nicht weiterhelfen. Sobald er mit ungeordneten Daten konfrontiert wird, zieht sich Chomsky in eine hypothetische Welt zurück, in der Ordnung erscheint. Es ist nicht überraschend, dass noch nie jemand einen alternativen Ansatz zu Chomsky vorgeschlagen hat, denn diese Welt ist eine, die Chomsky selbst entworfen hat.

Die genetische Ausstattung ist oft eine bequeme Quelle für „Erklärungen“, wenn wir es mit einem Verhaltensphänomen zu tun haben, das wir nicht verstehen. Die Evolution hilft Chomsky nicht, wenn er seine angeborene Grammatik zu rechtfertigen sucht. Wenn eine Regel dieser Grammatik eine willkürlich Beschränkung ohne Konsequenzen in der ontogenetischen Umwelt ist und daher nicht durch kommunikative Kontingenzen erzeugt worden sein kann (wie Chomsky selbst schreibt, 1980, S. 41), dann kann sie auch keinen Selektionsvorteil für den Organismus darstellen, der in dieser Umwelt lebt. Wohlgemerkt: Die Fähigkeit zur Sprache als solche stellt sehr wohl einen Selektionsvorteil dar, nicht aber die Regeln einer universellen Grammatik. Also können sie auch nicht im Laufe der Stammesgeschichte erworben worden sein, denn sie würden ihrem Träger keinen adaptiven Nutzen bringen. Chomsky scheint darüber hinaus das Evolutionsprinzip nicht so recht zu begreifen, wenn er diesem Einwand entgegnet, die Stammesgesichte habe aber sehr viel Zeit gehabt, diese Regeln in das Erbgut zu schreiben: Wenn sie keinen Vorteil bringen, dann werden sie nicht ins Erbgut übernommen, egal wie viel Zeit vergeht. Chomsky sieht zuletzt noch einen Ausweg in „Zufallsmutationen“ oder in „physikalischen Gesetzen, die wir jetzt noch nicht kennen“ (1969, S. 262), um seine These von der genetisch verankerten Grammatik zu retten.

Zwar ist es zutreffend, dass nicht alles, was in den Genen codiert ist, von adaptivem Wert sein muss – Haar- und Augenfarbe sind hier Beispiele – jedoch sind diese Merkmale auch nicht universell. Die Erklärung, dass Sprache ein zufälliges Nebenprodukt anderen, früherworbenen Verhaltens ist, erscheint ebenso plausibel. Menschen verfügen über die nötige organische Ausstattung, um zu sprechen, ihr Verhalten ist besonders formbar durch soziale Verstärkung und einiges mehr. Diese Unterschiede sind quantitative, nicht qualitative. Sie können leicht durch die Mechanismen von Variation und Selektion entstanden sein und sie allein genügen, um das verbale Verhalten von Menschen zu erklären.

Wenn Chomsky behauptet, dass Sprache genetisch determiniert ist, dann muss er angeben können, welche Umweltereignisse dieses angeborene Verhalten auslösen oder steuern. Aber offenkundig gibt es keine physikalischen Merkmale, die erkennen lassen, ob ein Wort beispielsweise ein Verb oder ein Substantiv ist. Chomsky „löst“ das Problem dadurch, dass er es zu einem prinzipiell nicht-lösbaren erklärt.

Chomsky setzt den Satz als Analyseeinheit als evident voraus. Sätze aber sind formale Einheiten, keine des Verhaltens. Wenn die Analyseeinheiten a priori definiert werden, dann haben sie möglicherweise nur wenig mit dem zu tun, was in der Realität tatsächlich geschieht. Chomsky betont immer wieder, dass die Grammatik eine unendliche Anzahl an Sätzen hervorbringen kann. Er folgert daraus, dass auch Menschen eine unendliche Zahl an Sätzen hervorbringen und verstehen können. Selbstredend ist das keine empirische Tatsache. Palmer (2000) zieht folgenden Vergleich: Bekanntlich vollführen Bienen nach ihrer Heimkehr von der erfolgreichen Futtersuche zum Stock einen Tanz, durch den sie anderen Bienen die Richtung und Entfernung der Futterquelle mitteilen. Die Kreise, die die Bienen dabei vollführen, können prinzipiell unendlich viele verschiedene Durchmesser haben. Zweifelsohne haben noch nie zwei Bienen exakt denselben Tanz vollführt. Trotzdem ist diese Variabilität irrelevant, sofern sie nicht in einer Beziehung zur Position der Futterquelle steht. Denn natürlich kann keine Biene eine unendliche Zahl an Tanz-Mustern unterscheiden, weder als Tänzerin, noch als Zuschauerin. Obwohl nun also eine abstrakte Beschreibung der Bienensprache eine unendliche Zahl an möglichen „Sätzen“ zutage fördern könnte, so ist es doch wahrscheinlich, dass Bienen nicht mehr als cirka hundert Muster wirklich unterscheiden (indem sich ihr Verhalten in Reaktion darauf unterscheidet). Festzustellen, dass Bienen die „Kompetenz“ besitzen, eine unendliche Zahl an Mustern zu interpretieren, bedeutet, eine Eigenschaft unseres formalen Systems der Bienensprache mit einer Eigenschaft des Organismus zu vermengen.

Naom Chomsky im Interview mit Javier Virues-Ortega (2006)

Chomskys (1959) Besprechung ist beinahe ebenso berühmt wie Verbal Behavior selbst. Leahey (1987) erklärte, Chomskys Besprechung sei die einflussreichste Einzelarbeit in der Psychologiegeschichte seit Watsons (1913) Psychology as the behaviorist views it. Knapp (1992) berichtet, zwischen 1972 und 1990 sei auf zwei Zitationen von Verbal Behavior eine von Chomskys Besprechung gekommen – ein wohl einzigartiges Verhältnis zwischen einem Buch und seiner Rezension (S. 87). Laut Marc Richell (nach Virues-Ortega, 2006, S. 243) spiegelt dies wohl den Umstand wieder, dass sich die meisten Wissenschaftler mit Informationen aus zweiter Hand zufrieden geben.

Für Nicht-Behavioristen stellt Chomskys Besprechung (1959) einen Meilenstein in der Geschichte der Psychologie dar. Die Besprechung zeige, so Fodor und Katz (1964, S. 564), dass sprachliches Verhalten nicht durch Skinners funktionale Analyse erklärt werden könne. Nach Smith (1999) ist Chomskys Besprechung die wohl vernichtendste, die je über ein Buch geschrieben wurde, es handle sich hier um die Totenglocke das Behaviorismus (S. 97). Darüber hinaus wird das Buch als einer der grundlegenden Texte des Kognitivismus betrachtet (ebd.).

Skinner selbst betrachtete die Besprechung als schwer zu beantworten. Chomskys Ton sei emotional und der Inhalt lasse grundlegende Kenntnisse der Verhaltensanalyse vermissen: „Chomsky versteht einfach nicht, worüber ich rede und ich sehe keinen Sinn darin, ihm zuzuhören“ (Skinner im Gespräch mit Andresen, 1991, S. 57, Übersetzung CB).

Javier Virues-Ortega (2006) stand über zwei Jahre hinweg mit Chomsky in Kontakt. Ein am 23. März 2004 geführtes Interview mit ihm wurde in der Zeitschrift der Association for Behavior Analysis, The Behavior Analyst mit dem Einverständnis Chomskys abgedruckt.

Chomsky erläutert hier zunächst, was ihn am Behaviorismus missfiel. Er fände schon das ganze Vorhaben, Verhalten zum Gegenstand einer Wissenschaft machen zu wollen, fragwürdig. Das Verhalten sei das Datenmaterial, mit dem man sich auseinandersetze. Verhalten könne nicht der Gegenstand sein; der Gegenstand, den man untersuche, sei die Kompetenz oder die Kapazität, Verhalten zu zeigen. Verhalten zum Gegenstand der Psychologie zu machen sei, als ob man die Physik als die Wissenschaft vom Ablesen der Messgeräte definiere.

Chomsky schildert weiter den konkreten Anlass, wie es zu Abfassung der Besprechung kam. Skinner und Skinners Texte hätten in den fünfziger Jahren die Orthodoxie repräsentiert. Verbal Behavior war einer jener heiligen Texte, die zu dieser Zeit jeder gelesen hätte. Außer ihm (Chomsky) habe es nur sehr wenige Menschen gegeben, die gespürt hätten, dass mit all dem etwas nicht in Ordnung ist. Noch vor Abfassung von Verbal Behavior wären die Mitschriften der William-James-Vorlesung Skinners von Hand zu Hand gereicht worden. Auf diese habe er sich auch bezogen, als er die Besprechung geschrieben habe: „I actually wrote the review before the book was published“ (S. 246).

Chomskys Besprechung war nun nicht die erste und auch nicht die einzige, die über Verbal Behavior geschrieben worden war. Der Grund, warum sie so erfolgreich war, lag laut Chomsky im guten Timing. Die Linguistik begann zu dieser Zeit zu erkennen, dass Sprache einfach nicht so funktionieren könnte wie Skinner das beschrieb. Es habe damals ein „interaktives Amalgam“ gegeben, in das sehr wenige Leute (außer ihm) einbezogen gewesen seien. Hinzu sei gekommen, dass sich die Befunde dafür, dass der Behaviorismus zu Erklärung des Verhaltens nicht tauglich sei, damals gehäuft hätten. Die Brelands hätten dann ja 1961 gezeigt, dass er nicht mal bei Tieren funktioniere. Die Brelands, so Chomsky, hätten bemerkt, dass ihre Versuche, Tiere zu konditionieren, früher oder später scheiterten, weil die Tiere wieder in ihr instinktives Verhalten zurückgefallen seien. Nicht mal bei Tauben (Skinners Haupt-Versuchstieren) funktioniere es so, wie Skinner das behauptet habe. Der Behaviorismus sei eben genau zu diesem Zeitpunkt kollabiert und die kognitive Psychologie habe das Feld übernommen.

[Chomskys Darstellung der Arbeiten der Brelands weicht übrigens ganz erheblich von dem ab, was diese geschrieben haben. – Auch die Abfolge der Ereignisse im Rahmen der sog. kognitiven Wende ist etwas verzerrt. Viele Indikatoren zeigen an, dass die Verhaltensanalyse nach wie vor ein wachsendes, lebendiges Forschungsprogramm ist. Ein schneller Wechsel der Paradigmen hat schlicht nicht stattgefunden.]

Auf die Frage, welchen Effekt seine Arbeit auf die Verbreitung der kognitiven Psychologie hatte, entgegnet Chomsky, es sei nun wirklich nicht an ihm, diese Frage zu beantworten. Auch andere (z.B. die Brelands) hätten Anteil an diesem Wechsel gehabt.

MacCorquodale (1970) und andere haben einige Mängel in Chomskys Besprechung aufgezeigt, so unter anderem:

  • Chomsky unterstellt Skinner, die Wirkungsweise der Verstärkung über die Reduktion der Triebenergie zu erklären – was nicht der Fall ist. Chomsky verwendet volle 6 Seiten auf eine Kritik der Triebreduktionstheorie (die schon Jahrzehnte vor Verbal Behavior weder von Skinner noch von irgendeinem anderen Behavioristen vertreten wurde).
  • Die „Stärke“ einer Reaktion werde, so Chomsky, von Skinner über den Widerstand gegen die Extinktion definiert (eine Reaktion sei also um so stärker, je schwieriger es sei, sie zu extingieren). Dies ist definitiv nicht Skinners Position, Reaktionsstärke ist für ihn die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Reaktion.
  • Skinner behandle in seinem Buch nicht die Grammatik (d. h. die Frage, wie es dazu kommen kann, dass Äußerungen eines Sprechers den Regeln der Grammatik gehorchen). Auch dies ist definitiv nicht so: Skinner widmet diesem Thema viele Seiten seines Buches.

Virues-Ortega (2006) bittet Chomsky, zu diesen Punkten Stellung zu nehmen, erfährt von diesem aber nur, er habe bereits vor 30 Jahren ausführlich darauf geantwortet. Natürlich sei ihm klar gewesen, dass die Triebreduktionstheorie von Skinner nicht vertreten werde. Er habe aber mit seiner Besprechung weit über Skinner hinaus gehen wollen und den Behaviorismus als Ganzes kritisieren wollen. [Anmerkung.: Welcher andere Behaviorist hat dann noch 1959 die Triebreduktionstheorie vertreten?]. Sein Standpunkt sei nach wie vor: Wenn man Skinner wörtlich nehme, liege er offenkundig falsch. Wenn man seine Äußerungen aber als Metaphern auffasse, dann seien sie nur eine schlechte Übersetzung der normalen mentalistischen Terminologie in eine Terminologie, die man aus dem Labor herausgenommen habe und ihrer Bedeutung beraubt habe.

Einige Hunderte sauber durchgeführte Studien sind seit Verbal Behavior auf Grundlage der dort verwendeten Prinzipien durchgeführt worden. Viele empirische Befunde und angewandte Methoden, die aus den in Verbal Behavior dargelegten Konzepten abgeleitet wurden, haben gezeigt, dass diese einen Nutzen außerhalb des Labors haben, z. B. Verfahren zur Behandlung von Sprechstörungen und Sprachlehrmethoden im allgemeinen (z. B. Goldstein, 2002). Virues-Ortega fragt Chomsky, ob er nicht meine, dass die Anwendung der Verhaltensanalyse auf den Bereich der menschlichen Sprache zumindest manchmal nützlich sein könne.

Natürlich, so Chomsky, könne Verhaltensanalyse nützlich sein. So diene die Verhaltensanalyse z. B. dazu, den Effekt von Medikamenten auf das Verhalten von Menschen und Tieren zu untersuchen [ein anderes Beispiel kann Chomsky auch an anderer Stelle nicht nennen]. Aber darum sei es ja ursprünglich nie gegangen. Es gäbe genau Null („precisely zero“, S. 248) Nutzen in den Bereichen, die die Verhaltensanalyse ursprünglich angepeilt habe.

Ob die Verhaltensanalyse und die Analyse der Sprache nach Chomsky nicht voneinander profitieren könnten, fragt Virues-Ortega. Er könne sich nicht vorstellen, wie das gehen solle, so Chomsky. Er wisse von keinem Forschungsprogramm auf der Basis von Verbal Behavior. Das einzige, was von Skinners Arbeit übrigbleibe, seien einige rechte nützliche experimentelle Techniken. Deswegen schlössen sich eine formale und eine funktionale Analyse der Sprache nicht gegenseitig aus, das werde durchaus praktiziert, z. B. von ihm selbst.

Chomsky (1959) räumt ein, dass die Untersuchung von Konditionierungsprozessen insbesondere bei Tieren durchaus ihre Berechtigung habe. Die Übertragung auf den Bereich menschlichen, insbesondere sprachlichen Verhaltens sei aber nicht angemessen. Die dort verwendeten Konzepte seien „leer“ und nutzlos. Hängt also, so Virues-Ortega, die Gültigkeit dieser Konzepte von der Komplexität des Untersuchungsgegenstandes ab (schon MacCorquodale hat 1970 bemerkt, dass Chomsky offenbar davon ausgeht, dass außerhalb des Labors andere Naturgesetze gelten als innerhalb)?

Chomsky betont nun wieder, dass die Verhaltensanalyse ja z. B. auch in der pharmazeutischen Industrie ihre Anwendung gefunden habe und dass ihre Techniken durchaus auch gelegentlich in der „ernsthaften“ („serious“, S. 249) experimentellen Psychologie verwendet werden. Aber die Verhaltensanalyse sage wenig darüber aus, wie sich tierisches Verhalten entwickle oder wie es ausgeführt werde. Ob überhaupt so etwas wie Konditionierung existiere, werde ja auch immer wieder in Frage gestellt, z. B. von dem kognitiven Neuropsychologen Randy Gallistel (Gallistel & Gibbon, 2002) [Anmerkung.: Gallistel bezieht sich jedoch fast ausschließlich auf das klassische Konditionieren].

Zuletzt konfrontiert Virues-Ortega Chomskys mit den Einschätzung Skinners und anderer Verhaltensanalytiker bezüglich des Tonfalls seiner Besprechung. Skinner selbst fragte sich angesichts von Chomskys (1971) Besprechung von Skinners (1971) Beyond Freedom and Dignity, warum dieser wohl so wütend auf ihn sei. In der Besprechung von Verbal Behavior verwendet Chomsky viele Begriffe, die von Verhaltensanalytikern als herabsetzend oder aggressiv eingestuft wurden („Hebeldrückexperimente“, „perfekt nutzlos“, „Tautologie“, „sagt nichts von Bedeutung“, „Als-ob-Wissenschaft“ – „play-acting at science“ usw., alle Zitate aus Chomsky, 1959, S. 36-39).

Chomsky erwidert, er habe nachgeschaut, in welchem Kontext einige der oben genannten Wendungen vorgekommen seien. Es habe sich jedes Mal um eine vollkommen wertfreie Feststellung gehandelt. Dass die Definition von Verstärkung eine Tautologie sei, werde ja immer wieder von anderen als ihm festgestellt. Er könne also nicht erkennen, was da „wütend“ oder „aggressiv“ wirke. Er dagegen finde die Reaktionen auf seine Besprechung als nachgerade beleidigend („offensive“, S. 250). Die Kommentatoren sollten also gewissermaßen erst mal vor ihrer eigenen Türe kehren.

David Palmers Analyse des Interviews

Palmer (2006) sieht durch das Interview (Virues-Ortega, 2006) bestätigt, dass Chomsky Skinners Ansatz zur Erklärung sprachlichen Verhaltens noch immer völlig verständnislos gegenübersteht und dass er nach wie vor äußerst stereotype Ansichten über dessen konzeptuelle und empirische Grundlagen hegt.

Zunächst berichtet Palmer einige Hintergründe zur Entstehungsgeschichte von Verbal Behavior, die Chomskys Ausführungen im Interview illustrieren. Der Impuls für Verbal Behavior ging 1934 von einer Unterhaltung Skinners mit dem Philosophieprofessor Alfred North Whitehead bei einem Dinner in Harvard aus. Skinner legte seine Ansichten dar, bis Whithead ihn aufforderte, doch sein sprachliches Verhalten zu erklären, wenn er jetzt gleich „No black scorpion is falling upon this table“ („Kein schwarzer Skorpion fällt jetzt auf diesen Tisch“) sagen werde. Skinner begann noch in der Nacht nach dem Gespräch mit Whitehead die Arbeit an einer verhaltenswissenschaftlichen Interpretation der Sprache. Er widmete einen Großteil des Jahres 1944 diesem Projekt und fasste seine Erkenntnisse 1947 in der William James Vorlesungsreihe an der Universität Harvard zusammen. Kopien des Vorlesungsskripts kursierten bald unter den Studierenden, was nicht nur Chomsky (im Gespräch mit Virues-Ortega, 2006), sondern auch Osgood (1958) bestätigt. Während eines Forschungsfreisemesters 1955, das Skinner in Putney im US-Bundesstaat Vermont verbrachte, verfasste er den Rohtext von Verbal Behavior.

Skinner (1957) betont gleich auf den ersten Seiten von Verbal Behavior, es handle sich hier nicht um eine experimentelle Analyse sondern vielmehr um eines Interpretation von alltäglichen Fakten. Dabei beruht diese Interpretation auf gut kontrollierten Laborexperimenten. Skinner bezieht sich nicht auf traditionelle strukturelle Formulierungen und steht weit jenseits der üblichen Spekulationen in der Psychologie und der Linguistik. Die konzeptuellen Grundlagen des Buches sind gänzlich bereits in The Behavior of Organisms (1938) und in Science and Human Behavior (1953) zu finden.

Die ersten Besprechungen des Buches waren zum Teil positiv, zum Teil gemischt, immer aber respektvoll (siehe Knapp, 1992, für eine Zusammenfassung). Chomskys (1959) Besprechung dagegen war 33 Seiten lang und in einem aggressiven, debattenartigen Stil verfasst, wie er unter Linguisten und Philosophen gelegentlich üblich ist. Chomsky schickte Skinner einen Entwurf seiner Besprechung, der sie aber nach kurzer Lektüre, angewidert von ihrem polemischen Stil, beiseite legte (Skinner, 1972, S. 345-346).

Chomskys (1959) zentraler Punkt ist folgender: Wenn man Skinners Analyse wörtlich nimmt, dann ist sie offenkundig falsch. Wenn man sie im übertragenen Sinne auffasst, dann ist sie nicht mehr als eine alltägliche Betrachtung, die in die Sprache des Labors gefasst ist. „This creates the illusion of a rigorous scientific theory with very broad scope, although in fact the terms used in the description of real-life and laboratory behavior may be mere homonyms“ (S. 31). Chomsky argumentiert, dass Begriffe wie „Stimulus“, „Wahrscheinlichkeit“ und „Stimuluskontrolle“ unangemessen sind, wenn sie auf menschliches Verhalten übertragen werden. Er illustriert dies an vielen Beispielen. Der Begriff „Reaktionsstärke“ etwa sei eine Umschreibung für weniger eindrucksvolle Ausdrücke wie „Interesse“, „Absicht“, „Glaube“ usw. Skinner sage etwa über den Vorgang, wie eine wissenschaftliche Aussage betätigt werde aus, dass dabei zusätzliche Variablen generiert werden, die die Wahrscheinlichkeit der Aussage erhöhen („generating additional variables to increase its probability“, S. 425). Wenn man diese Definition, so Chomsky (S. 34), wörtlich nehme, dann könne man den Grad der Bestätigung einer wissenschaftlichen Aussage daran ablesen, wie laut, schrill oder häufig diese geäußert werde.

Gerade hier sieht man, wie sehr Chomsky Skinner absichtlich missverstand, um in der Debatte einen Punkt zu machen. Skinner überließ es oft dem Leser, sich die offenkundigen Beispiele selbst dazu zu denken. Die Überzeugungskraft von Chomskys Besprechung beruht zum Teil darauf, dass er sich nicht auf diese Aufgabe einlässt. Wann immer Skinners Text eine absurde Interpretation zuließ, stürzte sich Chomsky darauf. Es scheint, dass sich Chomsky auf die naheliegende Annahme stützte, dass kaum ein Leser die Mühe auf sich nehmen würde, die Zitate im Buch selbst im Kontext nachzulesen. Im obigen Bespiel zeigt die genaue Lektüre, dass Skinners Position gegenüber Chomskys Witzelei vollkommen immun ist. Nach Skinner hängt der Grad, zu dem ein Ereignis eine Äußerung „bestätigt“, zur Gänze von der Lerngeschichte des Individuums in Hinsicht auf die zusätzlichen kontrollierenden Variablen ab, von all dem, was diese ausmacht, von ihrer Art, von der Zuverlässigkeit des Sprechers usw. Ein Tact ist hier zum Beispiel wichtiger als ein Echoic. Zudem würde der Leser entdecken, dass die von Chomsky zitierte Passage in eine ausführliche Diskussion der pragmatischen Natur der wissenschaftlichen Wahrheit eingebettet ist, die alles andere eine bloße Umschreibung alltäglicher Weisheiten ist.

Wiest (1967) entgegnete auf Chomskys (1959) Besprechung, dass man Skinner wohl kaum zum Vorwurf machen kann, dass er es verabsäumte, die Konstrukte einer konkurrierenden Theorie zu beachten. Katahan und Koplin (1968) bezogen sich auf Kuhn (1962) und entgegneten, dass Wiest seine Zeit vergeude, denn der Konflikt zwischen dem Behaviorismus und seinen Kritikern sei ein paradigmatischer und dieser könne nicht durch einen Disput entschieden werden – nur die Zeit könne die Frage klären.

Kenneth Mac Corquodale (1970) schrieb eine ausführliche Entgegnung zu Chomskys Besprechung (vgl. oben) und reichte diese bei Language ein (der Zeitschrift, in der Chomskys Besprechung erschienen war). Aus nicht bekannten Gründen wurde das Manuskript dort abgewiesen, was angesichts der Bedeutung, die Chomsyks Besprechung hat, doch schon sehr erstaunt (und MacCorquodale ist kein Niemand, sondern einer der bedeutendsten Behavioristen). MacCorquodale veröffentlichte dann im Journal of the Experimental Analysis of Behavior. Palmer (2006) vermutet hierin einen der Gründe, warum so wenige Nicht-Behavioristen die Argumente gegen Chomsyks Besprechung wahrgenommen haben. MacCorquodale fasst Chomskys Besprechung so zusammen, dass diese sich auf drei Hauptargumente reduzieren lässt:

  1. Skinner Buch ist nicht mehr als eine ungetestete Hypothese
    Nach MacCorquodale setzt dieses Argument voraus, dass in der „wirklichen Welt“ (der menschlichen Sprache) andere Naturgesetze gelten als im Labor (was eine fürwahr wenig sparsame Grundannahme ist).
  2. Skinners technisches Vokabular ist lediglich eines Umschreibung traditioneller Begriffe
    Dem hält MacCorquodale entgegen, dass Skinners Begriff bei weitem sauberer definiert sind, als die diffusen Konzepte der Vernacular.
  3. Sprache ist ein komplexes Phänomen und es bedarf daher einer komplexen, neurologisch-genetischen Theorie, um sie zu erklären
    Wie interessant die zugrundeliegenden Prozesse auch sein mögen, eine Verhaltenswissenschaft ist nicht auf sie angewiesen, um Verhalten erklären zu können.

Zudem ignoriert oder missversteht Chomsky die Komplexität von Skinners Analyse. Chomsyk scheint zu glauben, dass wann immer Skinner eine kontrollierende Variabel nennt, er meint, damit die einzig verantwortliche Variable gefunden zu haben – so als sei Sprache nur eine Sammlung von Reflexen. Die multiple Verursachung von Sprechakten zieht sich jedoch als Thema durch das ganze Buch. In der Besprechung wird sie kein einziges Mal erwähnt.

Es gibt in der Tat auch informierte und faire Kritik an Teilen von Skinners Buch. So haben Hayes, Barnes-Holmes und Roche (2001), Stemmer (2004) und Tonneau (2001) eine Reihe an Problemen mit Skinners Theorie aufgelistet, die von trivialen zu fundamentalen Kritikpunkten reicht. Immer aber waren diese Kritiken mit einem Vorschlag zu einer verhaltensanalytisch basierten Verbesserung verbunden. Es ist somit unwahrscheinlich, dass ihre Vorschläge Chomsky zufrieden stellen würden.

Chomsky (1973) antwortete auf die Kritik MacCorquodales (1970) nur indirekt, in einer Fußnote (S. 24). Er erwidert aber praktisch gar nicht inhaltlich, sondern wiederholt lediglich sein bereits 1959 vorgebrachtes Argument: Wenn man Skinner wörtlich nehme… usw.

David Palmer (2006) erwiderte auf die zentrale Aussage Chomskys, dass man dieselbe Argumentation auch gegen Newtons Mechanik anwenden könnte: Wenn man Newtons Gesetze der Bewegung wörtlich nehme, dann seien sie (im Alltag) offenkundig falsch. Wenn man sie im übertragenen Sinne auffasse, dann seien sie nicht mehr als wissenschaftlich klingende Umschreibungen der Daumenregeln des Handwerkers. Skinner aber habe nicht beabsichtigt, dass man seine Analyse als Metapher auffasse. Er machte die starke Voraussage, dass die Prinzipien des Verhaltens, die im Labor entdeckt wurden im technischen Sinne auf die Interpretation sprachlichen Verhaltens angewandt werden können. Wenn Chomsky meine, leicht Beispiele aufzeigen zu können, die belegten, dass Sprache nicht so funktioniere, wie von Skinner beschrieben, dann vernachlässige er, dass die Realität immer komplex ist und Übertragungen von Laborergebnissen immer etwas spekulativ sind: Schon Newton klagte, dass er verzweifle, wenn er darüber nachdenke, wie der die Bewegung von nur drei Körpern (Erde, Sonne, Mond) bestimmen solle. Wie viel komplexer aber ist der Bereich menschlichen Verhaltens.

Spätestens seit 1970 wurde Chomskys Besprechung von Verbal Behavior zu einem Meilenstein der kognitiven Psychologie und Psycholinguistik. Kaum ein Lehrbuch der kognitiven Psychologie erwähnt sie nicht. Wann immer die Besprechung erwähnt wird, dann in der Regel so, als würde eine klassische Arbeit genannt – die Gültigkeit der Argumente Chomskys scheint für die Autoren außer Frage zu stehen. Bruner (1983) bezeichnete Chomsyks Besprechung als „elektrisierend: Noam in Höchstform, gnadenlos bringt er sein Opfer zur Strecke, brillant, Seit‘ an Seite mit den Engeln… in der selben Kategorie wie St. Georg, der den Drachen schlägt“ (S. 159-160, Übersetzung CB). Solche Äußerungen sind in der kognitiven Literatur weit verbreitet; nie aber findet man ein Anzeichen dafür, dass der Autor auch nur eine Zeile von Skinners Buch oder MacCorquodales Text gelesen hat (so Palmer, 2006, S. 259). Darüber hinaus ist die Behauptung, dass verhaltensanalytische Interpretationen von komplexen Vorgängen unangemessen sind, so etwas wie ein Axiom in den kognitiven Wissenschaften – und die Besprechung wird als ausreichender Beleg dafür angesehen.

Interessanterweise stoßen kognitive Forscher immer wieder auf Ergebnisse, die die Wirksamkeit der verhaltensanalytischen Prinzipien nahe legen (Dale, 2004). Statt nun aber diese Prinzipien zu vereinnahmen, schneidet sich die kognitive Psychologie davon ab. Richelle (1993) bemerkt hierzu, dass nur wenige Spezialisten bereit sind, das Risiko auf sich zu nehmen, in den Augen ihrer Kollegen in die Nähe von Skinner gerückt zu werden, wenn sie auch nur vermuten könnten, dass Skinner einige Entwicklungen der Psycholinguistik vorweggenommen hat. Chomskys Besprechung ist zumindest zum Teil dafür verantwortlich, dass die Verhaltensgesetze in den Theorien der Linguisten und Kognitivisten ausgeblendet werden. Die Besprechung war also sehr einflussreich: Ob der Einfluss der Psycholinguistik zum Vor- oder Nachteil gereicht, bleibt abzuwarten.

Man muss Chomsky zugute halten, dass er einer Diskussion mit Verhaltensanalytikern nie abgeneigt war. Der verhaltensanalytische Philosoph Ullin Place führte über 1993 eine Debatte mit Chomsky, die in The Analysis of Verbal Behavior veröffentlich wurde (Chomsky, Place & Schoneberger, 2000). Hier wie auch im Interview mit Virues-Ortega (2006) scheint Chomsky das Gefühl zu haben, aus einer Position der Stärke heraus argumentieren zu können. Palmer (2006) bemerkt einige Punkte zu Chomskys Interview von 2006:

Chomsky bestreitet, dass Verhalten ein Gegenstand der wissenschaftlichen Untersuchung sein kann. Es gehe immer um die zugrundeliegenden Prozesse, für die das Verhalten nur ein Indikator ist. Skinner widmete sich aber diesen „zugrundeliegenden Prozessen“ über weite Strecken seiner Karriere (vgl. Morris, Lazo & Smith, 2004). Chomsky scheint damit jedoch in keiner Weise vertraut zu sein und offenbart durch diese Aussage mehr über sich als über Skinner.

Chomsky weigert sich 2006 auch nur den geringsten Fehler einzugestehen, auch wenn er mit offenkundigen Fehlern seiner Besprechung konfrontiert wird. Zum Beispiel widmete er sechs Seiten der Besprechung einer Widerlegung der Triebreduktionstheorie der Verstärkung – der weder Skinner noch ein anderer Behaviorist seiner Zeit je anhing. Virues-Ortega hält Chomsky noch zwei weitere Beispiele vor, bei denen Chomsky Skinner Positionen unterstellt, die dieser nie vertreten hat. Man könnte nun erwarten, dass Chomsky diese Fehler zwar einräumt, aber bspw. als unbedeutend abtut. Doch nein: Chomsky übergeht diese Punkte einfach: „Natürlich habe ich die Triebreduktionstheorie diskutiert, aber ich habe sie nicht auf Skinner bezogen“ (Virues-Ortega, 2006, S. 247, Übersetzung CB). Wieso „natürlich“? Wessen Triebreduktionstheorie diskutierte Chomsky dann? Und welche Bedeutung könnte das für Skinners Verbal Behavior haben? – Chomsky beantwortet diese Fragen so: Er habe weit über Skinner hinaus gehen wollen, um quasi den Behaviorismus in toto zu besprechen. Man fragt sich jedoch unwillkürlich, ob dies nicht einfach eine post-hoc Interpretation ist, durch die Chomsky vermeidet, seine Schlamperei einzugestehen. Denn merkwürdigerweise dreht sich die Besprechung nur um Skinner. Chomsky schreibt darin kein einziges Mal, dass er „eigentlich“ den „ganzen Behaviorismus“ kritisieren wolle. Selbst wenn man hierüber großzügig hinweg geht: Kein damals (1957) lebender Behaviorist vertrat je die Triebreduktionstheorie. Skinners Position ist nicht eine Unterabteilung eines „allgemeinen Behaviorismus“. Einige Teile der Besprechung wären, wenn man Chomsky glauben soll, somit gegen Skinner, einige gegen einen nicht-spezifizierten (durch keine Person verkörperten) „allgemeinen Behaviorismus“ gerichtet. Nur wird der Leser nicht darin eingeweiht, wann Chomsky über was schreibt. Wenn die Besprechung also ohne Fehler sein soll, dann muss sie ein zusammenhangloses Gemenge sein.

Chomsky bestreitet, dass die Besprechung in einem scharfen Ton geschrieben sei. Man sollte Chomsky zugestehen, dass Linguisten in ihren Debatten oft einen sehr polemischen Stil pflegen. Gemessen daran ist Chomskys Stil in der Besprechung von Verbal Behavior höflich und zurückhaltend. Doch Chomsky scheint das Gespür dafür zu fehlen, wie Außenstehende seine Formulierungen wahrnehmen (z.B. Czubaroff, 1988, S. 324). Der Ton, den Chomsky anschlägt, lässt sein Gegenüber auf keine fruchtbringende Debatte hoffen. Der Tonfall der Besprechung von Verbal Behavior ist aggressiv, nicht wütend. Nimmt man dagegen Chomskys Bemerkungen zu Beyond Freedom and Dignity (Skinner, 1971), so sieht man, wie Chomsky sich anhört, wenn er „in Höchstform“ ist. Hier ein Beispiel für Chomskys Stil: „Es fällt schwer, sich eine schlagenderes Beispiel vorzustellen, wie jemand unfähig ist, auch nur die Grundlagen des wissenschaftlichen Denkens zu verstehen“ (Chomsky, 1973, S. 46).

Chomsky fasst das Erbe Skinners so zusammen, dass nichts übriggeblieben sei, außer ein paar experimentelle Techniken von begrenztem Wert. Unter anderem sei die Verhaltensanalyse von den Entwicklungen in der vergleichenden Psychologie und Ethologie überrollt worden. Er beruft sich hier v. a. auf die Arbeit der Brelands (1961). Offenkundig ist er mit diesen Arbeiten nicht vertraut. Keller Breland und Marian Breland-Bailey sowie Robert Bailey nutzten über 50 Jahre lang die Prinzipien des operanten Konditionierens, um Tiere zu dressieren. Sie taten das überaus erfolgreich; keineswegs stellten sie fest, wie Chomsky das darstellt, dass die Tiere nur vorübergehend leicht von ihrem instinktivem Verhalten abwichen, um bald wieder in dieses zurück zu fallen. Vielmehr erwies sich, dass einige Generalisierungen nicht so funktionierten, wie man sich das ursprünglich gedacht hatte: Dieser „Breland-Effekt“ wurde jedoch ohne begriffliche Verrenkungen in die Verhaltensanalyse integriert. Skinner bezog sich später auf die Untersuchungen der Brelands und diese wiederum blieben Verhaltensanalytiker und Skinner weiter eng verbunden.

Chomsky scheint sich die Verhaltensanalyse als eine Art Dogma vorzustellen, an dem unbeeindruckt von Erkenntnissen festgehalten wird. Die Verhaltensanalyse hat sich über die Jahre eine Vielzahl an neuen Forschungsbereichen erschlossen, sowohl in der Grundlagenforschung als auch in der angewandten, genannt sei hier nur – für den Bereich sprachlichen Verhaltens – die Forschung zum „joint control“ (z. B. Lowenkron, 1998), zur Namensgebung (z. B. Horne & Lowe, 1996), zur Stimulusäquivalenz (z. B. Sidman, 1994) und zur Relational Frame Theory (z. B. Hayes et al., 2001).

Chomsky betont 2006 mehrfach, wie einflussreich Skinners Gedanken zur Sprache in den fünfziger Jahren gewesen seien und wie wenige Dissidenten es gegeben hat (offenkundig, um sich selbst als einen der „glücklichen Wenigen“ – oder deren Anführer – zu präsentieren). Skinner mag zwar eine charismatische und einflussreiche Persönlichkeit im Harvard der fünfziger Jahre gewesen sein. Chomsky aber überschätzt die Bedeutung Skinners zu dieser Zeit. Außerhalb von Harvard spielten Skinners Gedanken kaum eine Rolle. Im Gegenteil, Skinners Schüler taten sich so schwer, ihre Arbeiten in etablierten psychologischen Fachzeitschriften unterzubringen, dass sie letztlich ihre eignen gründen mussten.

Palmer (2006) fasst zusammen, dass Chomsky 1959 wie 2006 einen Strohmann abfackelt: Einen extremen Umwelttheoretiker, der dem Stimulus-Response-Dogma anhängt und für Belege und empirische Daten unempfänglich ist. Ein solches Zerrbild lässt sich leicht vernichten. Chomsky hatte einen enormen Einfluss auf die Psychologie – jedoch nicht in produktiver Hinsicht. Schriften von ihm, die später als 1965 datieren, werden kaum zitiert (Cook & Newsom, 1996, S. 78). Über zwei Jahrzehnte versuchten Chomsky und seine Anhänger die Syntax mit Transformationsregeln zu modellieren, mussten diesen Versuch aber letztlich aufgeben. Chomsky musste die Erklärung für alles in das Lexikon verlagern – eine Schritt, der seine Modell kein bisschen plausibler machte. Es ist wahr, dass die kognitive Psychologie in den Jahren seit Chomskys Besprechung aufblühte. Aber ebenso – und von kognitiven Psychologen ignoriert – erblühte die Verhaltensanalyse. Das Interesse an Skinners Analyse des sprachlichen Verhaltens ist so groß wie nie. Die Zahl wissenschaftliche Arbeiten, die von Skinners Buch angeregt wurden, hat sich in den letzten dreißig Jahren verachtfacht (Eshleman nach Palmer, 2006, S. 265, auch Eshleman, 1991, Sautter & LeBlanc, 2006). Praktische Anwendungen gibt es zuhauf – die Therapie des Autismus sei als nur eine von vielen genannt. Palmer (2006) bemerkt, dass er von keiner praktischen Anwendung wüsste, die auf Chomskys Analyse aufbaut.

David Palmer schließt mit den folgenden Worten:
„Skinners analysis of verbal behavior is not a museum piece, a moribund historical curiosity; it is the foundation of an active research program, continuing conceptual development, and of practical applications with potentially far reaching effects“ (S. 265).

Literatur

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