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Freud als Pseudowissenschaftler

Ich empfehle die Lektüre der Werke Freuds allen meine Leserinnen und Lesern sehr (ebenso meinen Studentinnen und Studenten). Sigmund Freud ist ein begnadeter Erzähler, dessen Werke über weite Strecken sehr unterhaltsam zu lesen sind (er schreibt auch ein sehr gutes Deutsch), sie sind voller überraschender Beispiele und Anekdoten. Auch seine Erklärungen sind – als Gedankenspiele – sehr anregend. Wahrscheinlich hat Freud seine Popularität unter anderem auch diesem Umstand zu verdanken. Besonders empfehlen kann ich persönlich die „Traumdeutung“, „Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten“ und „Zur Psychopathologie des Alltagslebens“.

Noch unterhaltsamer wird die Freud-Lektüre, wenn man beim Lesen darauf achtet, welche Kniffe Freud anwendet, um seine Leser für sich einzunehmen. Anthony Derksen (2001) hat die Strategien, die Freud nutzte, um zu überzeugen, zusammengefasst. Er nennt sie die „sieben Strategien des fortgeschrittenen Pseudowissenschaftlers“.

Derksen (2001) erklärt, warum Freud auch bei ansonsten sehr kritischen und wissenschaftlich denkenden Geistern kaum als Pseudowissenschaftler auffällt. Freud ist, so Derksen, ein sehr geschickter Pseudowissenschaftler. Er benutzt alle sieben Strategien des Pseudowissenschaftlers auf raffinierte Art und Weise und wirft so eine der großartigsten Nebelbomben der Geistesgeschichte.

Von diesen sieben Strategien sind nicht alle für sich allein verwerflich, einige gleichen sogar sehr lobenswerten Grundsätzen. In der Art, wie Freud sie jedoch zusammen mit den anderen Strategien anwendet, dienen sie perfekt der Verschleierung der Tatsache, dass die Psychoanalyse eine Pseudowissenschaft ist.

Die sieben Strategien sind die folgenden

  1. Die Strategie des ehrlichen Empiristen.
    Freud betont immer wieder, dass man sich auf die unvoreingenommene Beobachtung stützen müsse. Er macht den Empirismus – im Gegensatz zum Vorgehen der Philosophen – sogar nachgerade zu seiner höchsteigenen Sache. Nur wird er dieser Forderung in seinem Vorgehen nie selbst gerecht.
  2. Die Strategie der rücksichtslosen Selbstkritik
    Freud führt in seinen Schriften oft einen scharfen Kritiker seiner selbst ein, der alles, was Freud vertritt, für fragwürdig erklärt. Jedoch verlaufen sich diese Ansätze immer in einer rhetorischen falschen Fährte. Die ursprüngliche Kritik wird am Ende nie beantwortet, sondern nur als beantwortet hingestellt. Skeptiker kennen diese Strategie von anderen Pseudowissenschaftlern: „Also ich bin ja total skeptisch, aber…“
  3. Die Strategie, unvoreingenommen zu sein
    Freud betont immer wieder, seine Prämissen im Lichte widersprechender Befunde jederzeit aufgeben zu wollen. Jedoch tut er das nie. Entweder er gibt nur Prämissen auf, die gar nicht seine eigenen waren oder er verwendet die oben beschriebene Strategie der rücksichtslosen Selbstkritik. Trotzdem erzeugt er beim Leser den Eindruck, quasi von den Tatsachen zur Annahme bestimmter Punkte seiner Theorie gezwungen worden zu sein.
  4. Die Strategie des schlagenden, aber irrelevanten Beispiels
    Freud ist ein Meister im Anführen schöner – aber für die jeweils zu belegende Behauptung irrelevanter – Beispiele. Man nehme Freuds Fehlleistung, immer „Klosetthaus“ statt „Korsetthaus“ zu lesen, als er dringend auf die Toilette musste: Für seine Theorie von den Impulskonflikten als Ursache der Fehlleistungen ist das Beispiel völlig bedeutungslos.
  5. Die Strategie des Beleges an anderer Stelle
    Freud verweist mit Vorliebe auf Belege an anderer Stelle (bei sich selbst oder bei anderen). Er kleidet dies geschickt in didaktische Vorwände und ermuntert den Leser geradezu, seinen Behauptungen nicht zu trauen und zu prüfen. Nur finden sich an den von Freud angegebenen Stellen entweder überhaupt keine relevanten Belege oder aber nur die nach den oben erwähnten Mustern gestrickten rhetorischen Kniffe.
  6. Die Strategie des günstigen Kompromisses
    Freud räumt in seinen Schriften oft dem bereits erwähnten imaginären Kritiker einen scheinbar für diesen günstigen Kompromiss ein. Im Endeffekt erweist sich dieser Kompromiss jedoch immer als eine glatte Bestätigung von Freuds eigentlicher Position. So gelingt es Freud, den Anschein zu erwecken, auf seine Kritiker wirklich ernsthaft einzugehen.
  7. Die Strategie, methodischen Scharfsinn zu zeigen
    Es gibt zahlreiche Zitate von Freud, die ein skeptisch-wissenschaftlicher Psychologe jederzeit unterschreiben könnte, Zitate, die von tiefer Einsicht in die methodischen Probleme der Psychologie zeugen. Nur werden diese methodischen Grundsätze (z. B. bezüglich des Suggestionsvorwurfes) von Freud nie in die Praxis umgesetzt. Im Grunde dient diese Strategie demselben Ziel wie die der rücksichtslosen Selbstkritik.

Derksen (2001) gesteht Freud zu, dass er in der Tat um wissenschaftliche Redlichkeit bemüht gewesen sein mag. Nur hat sich dieser Vorsatz nie in wirklichem Handeln niedergeschlagen. Freud war nicht nur unredlich gegen den Leser, er war es mit hoher Wahrscheinlichkeit auch gegen sich selbst. Als brillanter Rhetoriker blendete er nicht nur andere, sondern vor allem sich selbst.

Literatur

Derksen, A. A. (2001). The seven strategies of the sophisticated pseudo-scientist. Journal for General Philosophy of Science, 32(2), 329-350. https://doi.org/10.1023/a:1013100717113

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Die „Forschungsdatenbank“ des NLP

Aufgrund des großen Interesses noch ein Nachtrag zum Neurolinguistischen Programmieren (NLP). NLP ist eine Pseudowissenschaft. Die Vertreter von Pseudowissenschaften versuchen, den Anschein einer Wissenschaft zu erwecken, ohne diesem gerecht werden zu können. Zum Beispiel, indem sie eine „Forschungsdatenbank“ führen, die den Eindruck erwecken soll, es gebe eine rege Forschungstätigkeit zum NLP. Mit dieser Forschungdatenbank auf der Seite www.nlp.de ist es allerdings nicht weit her. Die wenigsten Einträge der „Forschungsdatenbank“ referieren tatsächlich empirische Forschung. Meist handelt es sich um Artikel, die man wohlwollend als „Diskussionspapiere“ oder „theoretische Beiträge“ bezeichnen kann. Oft sind es lediglich Zeitschriftenbeiträge eher journalistischer Prägung, sehr oft auch nur plumpe NLP-Werbung im Gewand eines Artikels.

Gelegentlich muss man bei den Einträgen der Forschungsdatenbank vermuten, dass gezielt der falsche Eindruck erweckt werden sollte, es handle sich um empirische Arbeiten auf hohem Niveau. So finden sich beispielsweise Einträge zu drei Artikeln über NLP, die eine Joanne Walter und ein Ardeshir Bayat 2003 verfasst haben. Diese sollen, laut Forschungsdatenbank (hier, hier und hier), im „BMJ“ – dem British Medical Journal, einer hochangesehenen wissenschaftlichen Zeitschrift erschienen sein. Die Datenbank gibt sogar die richtige Bandangabe (326) des BMJ für das Jahr 2003 an. Allerdings findet man im „BMJ“ die entsprechende Artikel nicht. Wer weiter recherchiert, entdeckt, dass die Artikel im „Student BMJ“ (2003, Band 11) erschienen sind – einem Ableger des BMJ, der von und für Studierende geschrieben wird. Die Artikel referieren zudem keine Forschungen, es handelt sich noch nicht einmal um theoretische Arbeiten. Es sind lediglich kleine, journalistisch verfasste Einführungen in die bekannten Grundgedanken des NLP, Selbstdarstellungen des NLP, verfasst von jugendlichen Anhängern der Psychotechnik. Wollte der Verwalter der Forschungsdatenbank lediglich das Renommee des „BMJ“ für NLP nutzen? Eine Volltextsuche des gesamten BMJ ergibt jedenfalls keinen Treffer, hinter dem sich eine wissenschaftliche Arbeit zum NLP verbirgt. Warum sollte sich auch das BMJ für NLP interessieren?

Nichts desto trotz brüstete sich Urheber dieser Forschungsdatenbank am 20. März 2009 in der Mailingliste „NLP4all“, es handle sich um eine Sammlung „von über dreihundert mühelos einsehbaren Studien“, von denen ich (CB) wohl nur eine oder zwei kennen dürfte. Das Wort Studie bezeichnet jedoch eine „(empirische) wissenschaftliche Untersuchung“. Das aber trifft nur auf eine Minderheit der Einträge in der „Forschungsdatenbank“ zu. Zudem sind die meisten echten Studien älteren Datums, in der Regel aus den späten siebziger und frühen achtziger Jahren. Über diese Studien hat jedoch schon Sharpley (1987) zusammenfassend geurteilt. 2010 legte Tomasz Witkowski eine umfassende Analyse der „Forschungsdatenbank“ des NLP vor, die zu einem vernichtenden Ergebnis kommt, was deren Wissenschaftlichkeit angeht.

Literatur

Sharpley, Christopher F. (1987). Research findings on neurolinguistic programming: Nonsupportive data or an untestabel theory? Journal of Counseling Psychology, 34(1), 103-107.

Walter, Joanne & Bayat, Ardeshir. (2003a). Neurolinguistic programming: Verbal communication. StudentBMJ, 11(May), 163-164. online

Walter, Joanne & Bayat, Ardeshir. (2003b). Neurolinguistic programming: Temperament and character types. StudentBMJ, 11(June), 204-205. online

Walter, Joanne & Bayat, Ardeshir. (2003c). Neurolinguistic programming: The keys to success. StudentBMJ, 11(July), 252-253. online

Witkowski, Tomasz. (2010). Thirty-Five Years of Research on Neuro-Linguistic Programming. NLP Research Data Base. State of the Art or Pseudoscientific Decoration? Polish Psychological Bulletin,41(2), 58-66. PDF 800 KB

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Eingeordnet unter Kritik, Skepsis

NLP als Pseudowissenschaft

An dieser Stelle wurde schon einmal über das Neurolinguistische Programmieren (NLP) und die daraus abgeleitete Neurolinguistische Psychotherapie (NLPt) bereichtet. Sowohl das NLP als auch die NLPt entbehren einer wissenschaftlichen Grundlegung und eines Nachweises für ihre starken Wirksamkeitsbehauptungen. Dies ist lange bekannt.

Joachim Bliemeister beschäftigte sich schon 1987 mit der empirischen Überprüfung einiger Grundannahmen des Neurolinguistischen Programmierens (NLP). NLP soll nach Aussagen seiner Entwickler Erstaunliches bewirken:

„Phobien und andere unerfreuliche Gefühlsreaktionen in weniger als einer Stunde … kurieren. … Kindern und Erwachsenen mit „Lernstörungen“ … bei der Überwindung ihrer Begrenzungen … helfen – oft in weniger als einer Stunde… unerwünschte Gewohnheiten in wenigen Stunden … eliminieren, Rauchen, Trinken, Fettsucht, Schlaflosigkeit usw. … viele körperliche Schwierigkeiten in wenigen Sitzungen … kurieren – nicht nur die meisten derjenigen, die als „psychosomatisch“ eingeschätzt werden, sondern auch einige andere“ (Bandler & Grinder, 1981, S. 14).

Die Gründer des NLP behaupten weiter, dass erfahrene NLP-Praktiker diese Behauptungen mit „soliden, sichtbaren Ergebnissen belegen“ könnten, dass NLP andererseits aber „nicht alles“ erreichen könne (ebd.).

Schon hier findet sich ein typisches Argumentationsmuster von NLP-Vertretern: Erst werden in kräftigen Worten „erstaunliche Erfolge“ behauptet, die „solide“ belegt werden könnten, dann aber werden diese Behauptungen wieder so eingeschränkt („eine Menge, aber nicht alles“), dass sie kaum zu widerlegen sind. Diese Immunisierungsstrategien werden, so Bliemeister (1987) durch eine „vage, schwammige und indifferente Diktion“ (S. 397) unterstützt.

Bandler und Grinder (1981) ahnen den ungünstigen Eindruck, den ihre Ausführungen auf kritisch denkende Menschen haben könnten, voraus und versichern dem Leser, „daß die Inkonsistenzen, die plötzlichen Gedankensprünge, die unangekündigten Wechsel in Inhalt, Stimmung und Richtung, die er in diesem Buch aufdecken wird, in ihrem ursprünglichen Kontext ihre eigene zwingende Logik hatten“ (S. 18).

Für den wahrscheinlichen Fall, dass er das den Autoren nicht abkauft, schieben Bandler und Grinder (ebd.) den schwarzen Peter vorsorglich gleich dem Leser zu: „Ist der Leser scharfsinnig genug, diesen Kontext zu rekonstruieren…?“ fragen Sie frech.

Bliemeister kommentiert das: „Aber auch derjenige Leser, der den notwendigen Scharfsinn nicht aufbringt, die im Originalzusammenhang bestehende „zwingende Logik“ des Textes zu „rekonstruieren“, kann sich trösten, wird ihm doch in Aussicht gestellt, daß er zu einem „eher persönlichen, unbewussten Verständnis“ der Ausführungen gelangen kann“ (S. 398). Der zweite Fall ist wahrscheinlicher, denn wer die Ausführungen Bandlers und Grinders durchdringt, erkennt notwenigerweise, dass ihr Geschreibsel reines Wortgeklingel ist, mit wenig Sinn und Substanz.

Die Immunisierung gegen rationale Kritik ist, so Bliemeister (1987), kein Zufallsprodukt, sondern „Ausdruck einer Strategie“ (S. 398). Als Beleg führt er folgendes, berühmt-berüchtigtes Zitat von Bandler und Grinder (1981) an: „Glaubt ihr das? Es ist gelogen. Alles, was wir euch hier erzählen werden, ist gelogen. Alle Generalisierungen sind Lügen“ (S. 35).

Ein weiteres Beispiel: Bandler und Grinder differenzieren zwischen „wahr sein“ und „nützlich sein“. Bliemeister fragt, ob das denn etwa Gegensätze seien. „Kann etwas, was nicht wahr ist, nützlich sein? Kann eine Lüge etwa gut funktionieren, wenn man so tut als sei sie wahr? Oder soll hier etwa durch eine Serie von paradoxen Äußerungen der Verstand des Lesers eingeschläfert werden?“ (S. 399). Bliemeister erkennt die Strategie der „Verwirrungsinduktion“, die aus der Hypnose bekannt ist. Sie verhindert die rationale Auseinandersetzung mit den doch sehr realen Wirksamkeitsbehauptungen des NLP.

Augen

Aus den Augenbewegungen kann man, laut NLP, den Denkstil ableiten

Bliemeister (1988)  versucht, aus den wenig konkreten Angaben Bandlers und Grinders eine übeprüfbare Hypothese zu gewinnen. Die Begründer des NLP (z. B. Dilts, 1978) beziehen sich vage auf die sogenannte LEM-(“lateral eye movement”)-Hypothese (nach Day, Duke und Bakan), welche besagt, dass die Augen einer problemlösenden Person, je nachdem welche Hirn-Hemisphäre gerade aktiviert ist, jeweils in eine bestimmte Richtung blicken. Ehrlichmann und Weinberger (1978) fassen die Ergebnisse der diesbezüglichen Forschung dahingehend zusammen, dass sich keine eindeutigen Zusammenhänge nachweisen ließen.

Bleimeister (1988) folgert: “Die Beziehung zwischen Augenbewegung und Problemlösetyp ist also keinesfalls eine feste, eine Tatsache, die die Glaubwürdigkeit der NLP-Postulate nicht gerade erhöht” (S. 24). Die NLP-Augenbewegungs-Hypothese wird also durch bisherige Untersuchungen nicht gestützt.

Bliemeister (1988) stellt eine Null-Hypothese auf, die er durch seine Untersuchung zu widerlegen versucht. Demnach besteht kein Zusammenhang zwischen den Blickbewegungen einer Person und ihren Erinnerungen, Vorstellungen usw. visueller, akustischer oder kinästhetischer Art und den verwendeten Prozessworten (anhand derer man nach Bandler und Grinder das jeweils vorherrschende primäre Referenzsystem erkennen könne).

Bliemeisters (1988) Ergebnisse sind eindeutig: Kein wie auch immer gearteter Zusammenhang im Sinne der NLP-Hypothesen ließ sich nachweisen. Der Autor verweist abschließend noch auf die Schwierigkeiten, aus den Aussagen von Bandler und Grinder überhaupt testbare Hypothesen zu gewinnen, da die “Annahmen außerordentlich komplex und mit einer großen Anzahl von ´Ausnahmen` versehen” (S. 29) sind.

Literatur

Bandler, Richard & Grinder, John. (1981). Neue Wege der Kurzzeit-Therapie. Neurolinguistische Programme. Paderborn: Jungefermann.

Bliemeister, Joachim. (1987). Empirische Überprüfung von Grundannahmen des Neurolinguistischen Programmierens (NLP). Integrative Therapie, 1987(4), 397-406.

Bliemeister, Joachim. (1988). Empirische Überprüfung zentraler theoretischer Konstrukte des Neurolinguistischen Programmierens (NLP). Zeitschrift für Klinische Psychologie, 17, 21-30.

Dilts, R. (1978). Neuro-Linguistic programming. In R. Dilts (Ed.), Roots of Neuro-Linguistic Programming (Part III). Cupertino: Meta Publications.

Ehrlichman, H. & Weinberger, A. (1978). Lateral eye movements and hemispheric asymmetry: A critical Review. Psychological Bulletin, 85(5), 1080-1101.

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