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Kann man seine Persönlichkeit verändern?

Kurze Antwort: Es kommt darauf an, was man unter „Persönlichkeit“ versteht und es kommt darauf an, wie man vorgeht.

Die meisten Menschen wollen irgendwie anders sein, als sie sind. In den USA wollen (Hudson & Roberts, 2014) 87 % der Menschen extravertierter sein und 97 % gewissenhafter sein als sie gegenwärtig sind. Diese Menschen geben jährlich Milliardenbeträge für Bücher, Videos und Seminare aus, die versprechen, ihnen dabei zu helfen, anders zu werden.

Aber kann man seine Persönlichkeit überhaupt verändern? Einige Forscher (McCrae & Costa, 2008) meinen, dass Persönlichkeitseigenschaften biologisch bedingt und mehr oder weniger unveränderlich sind. Dennoch verändern sich Persönlichkeiten aufgrund von Lebenserfahrungen. Mit dem Alter werden Menschen für gewöhnlich reifer. Wir werden verträglicher, gewissenhafter und emotional stabiler. Wenn wir z. B. nach dem Studium eine Arbeit aufnehmen, werden wir gewissenhafter. Wenn wir eine glückliche Beziehung beginnen, werden wir emotional stabiler. Der Grund für diese Veränderung liegt in den geänderten Kontingenzen, denen wir nun unterliegen. Wer seinen Job behalten will, muss gewissenhaft sein: Gewissenhaftes Verhalten wird bei Menschen, die arbeiten, ganz anders verstärkt, als bei Menschen, die keinen Job haben. Um eine Beziehung, an der einem etwas liegt, aufrecht zu erhalten, muss man verlässlich und emotional stabil sein. Die sozialen Rollen, die wir einnehmen, beeinflussen, wie wir uns selbst – z. B. in einem Persönlichkeitsfragebogen – beschreiben.

Was tun Menschen, wenn sie ihre Persönlichkeit verändern wollen? Quinlan et al. (2006) fanden z. B., dass Studenten, die befürchteten, langweilig zu sein, häufiger übermäßig Alkohol konsumierten. Welche Strategien sind nun aber wirklich erfolgreich, wenn man seine Persönlichkeit verändern möchte?

Hudson und Fraley (2015; siehe auch 2017) testeten experimentell, ob es ihren 135 Versuchspersonen über vier Monate hinweg gelang, ihre Persönlichkeit zu verändern. Eine Gruppe (die Kontrollgruppe) sollte einfach nur angeben, wie sie sich verändern wollte. Eine andere Gruppe (der Experimentalgruppe) von Versuchspersonen sollte sich einen Veränderungsplan machen. Diese Intervention erwies sich jedoch als wenig hilfreich. Die Versuchspersonen der Experimentalgruppe konnten sich kaum besser verändern als die Versuchspersonen der Kontrollgruppe. Die Autoren machten als Ursache für das Scheitern der Veränderungsbemühungen aus, dass die Versuchspersonen sich selbst zumeist nur vage Veränderungsziele setzten (wie etwa „Ich möchte positiver denken“). Daher änderten sie in einem zweiten Versuch mit 151 neuen Versuchspersonen den Interventionsplan ab. Die Versuchspersonen der Experimentalgruppe wurden nun angehalten, sich verhaltensbezogene Ziele zu setzen, deren Einhaltung sie täglich kontrollieren konnten (z. B. „Ich möchte jeden Tag mindestens dreimal jemand Fremden ansprechen“). Je konkreter und objektiver die Ziele waren, desto besser gelang den Versuchspersonen die Persönlichkeitsveränderung.

Verhaltensanalytiker verstehen unter „Persönlichkeit“ überdauernde Verhaltensmuster. Die Persönlichkeit ist wie ein Pfad, der durch das ständige Benutzen entsteht. Wenn ich mich überdauernd extravertierter benehme, werde ich auch extravertierter. Man kann also seine Persönlichkeit (in gewissen Grenzen) willentlich verändern, aber nur, wenn man sich spezifische und verhaltensbezogene Ziele setzt. Letztlich bewirkte die Instruktion in der Untersuchung von Hudson und Fraley (2015), dass die Versuchspersonen sowohl ihr offenes, nicht-sprachliches Verhalten als auch ihr sprachliches Verhalten (in der Selbstbeschreibung im Persönlichkeitsfragebogen) veränderten. Nach allem, was wir wissen, entspricht diese Summe an Veränderungen im sprachlichen und im nicht-sprachlichen Verhalten, wenn sie mittelfristig stabil ist, einer Persönlichkeitsänderung.

Literatur

Hudson, N. W., & Fraley, R. C. (2015). Volitional personality trait change: Can people choose to change their personality traits? Journal of Personality and Social Psychology, 109(3), 490-507. https://doi.org/10.1037/pspp0000021

Hudson, N. W., & Fraley, R. C. (2017). Volitional personality change. In J. Specht (Ed.), Personality Development Across the Lifespan (pp. 555-571). Academic Press. https://doi.org/10.1016/b978-0-12-804674-6.00033-8

Hudson, N. W. & Roberts, B. W. (2014). Goals to change personality traits: Concurrent links between personality traits, daily behavior, and goals to change oneself. Journal of Research in Personality, 53, 68-83. https://doi.org/10.1016/j.jrp.2014.08.008

McCrae, R. R. & Costa, P. T. (2008). The five-factor theory of personality. In O. P. John, R. W. Robins & L. A. Pervin (Eds.), Handbook of Personality: Theory and Research (3rd ed., pp. 150-181). New York: Guilford Press.

Quinlan, S. L.; Jaccard, J. & Blanton, H. (2006). A decision theoretic and prototype conceptualization of possible selves: Implications for the prediction of risk behavior. Journal of Personality, 74, 599-630. https://doi.org/10.1111/j.1467-6494.2006.00386.x

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Persönlichkeitsdimensionen sind nicht universell

Die angeblich empirisch gut bestätigten fünf grundlegenden Dimensionen der Persönlichkeit – Neurotizismus, Introversion – Extraversion usw. – sind mehr ein Produkt der Lebensumstände als eine angeborene Konstante.

Das Fünf-Faktoren-Modell der Persönlichkeitspsychologie gilt als universell. Jeder Mensch lässt sich demnach anhand von fünf Dimensionen beschreiben, die auch als die „großen Fünf“ (Big Five) bezeichnet werden. Für diese fünf Persönlichkeitsdimensionen gibt es mittlerweile etablierte Testverfahren. Die Dimensionen werden folgendermaßen bezeichnet:

  1. Neurotizismus: Damit wird das Ausmaß emotionaler Instabilität bezeichnet.
  2. Inroversion-Extraversion: Manche Menschen sind lieber für sich (introvertiert), andere sind geselliger.
  3. Offenheit für Erfahrungen: Diese Dimension bildet ab, wie sehr sich eine Person für neue Erfahrungen interessiert, wie experimentierfreudig sie ist usw.
  4. Verträglichkeit: Menschen mit hoher Verträglichkeit kommen gut mit anderen zurecht, Menschen mit geringer Verträglichkeit sind eher egozentrisch.
  5. Rigidität: Diese Dimension steht u. a. für das Ausmaß an Gewissenhaftigkeit einer Person.

Allgemein wird immer wieder hervorgehoben, wie allgemeingültig die „Big Five“ wären. Selbst bei Schimpansen will man diese fünf Persönlichkeitsfaktoren gefunden haben (King & Figueredo, 1997). Selbstverständlich soll auch die individuelle Ausprägung der fünf Dimensionen bei Menschen zu 50 % erblich sein (Bouchard & McGue, 2003).

Gruven et al. (2013) kritisieren, dass die meisten Stichproben, an denen die Gültigkeit des Fünf-Faktoren-Modells getestet wurde, aus den städtischen, eher gebildeten Schichten der Bevölkerung stammen. Diese WEIRD-Populationen (WEIRD steht für western, educated, industrialized, rich, democratic) sind nicht gerade repräsentativ für die meisten Menschen in der meisten Zeit der menschlichen Entwicklung. Sie prüfen daher das Modell an insgesamt 1060 Angehörigen einer bolivianischen Volksgruppe, den Tsimane. Die Tsimane betreiben überwiegend Ackerbau, zum Teil jagen sie auch und sammeln Nahrung in den Amazonasurwäldern. Nur wenige Tsiname können lesen und schreiben. Gruven et al. (2013) verwendeten eine in die Sprache der Tsimane übersetzte spanische Version des Big Five Inventory (Benet-Matínez & John, 1998).

Die Autoren konnten das Fünf-Faktoren-Modell bei den Tsimane nicht bestätigen. Dies gelang weder für den Fall der Selbstbeschreibung (die Probanden sollten die Testfragen für ihre eigene Person beantworten) noch für die Fremdbeschreibung (die Fragen sollten für den Ehepartner beantwortet werden). Die Fünf Faktoren fanden sich auch nicht bei Tsiname, die Spanisch sprachen oder solchen, die lesen und schreiben konnten. Auch verschiedene Methoden der Datenaufbereitung förderten die Fünf Faktoren nicht zutage. Dies lag nicht an der Qualität des Messintrumentes. Einige Tsimane wurden zweimal befragt. Hierbei fanden die Autoren eine Retest-Reliabilität (ein Maß für die Übereinstimmung der Antworten bei der ersten und der zweiten Befragung) von 0,415. Das ist zwar niedriger als der gemeinhin in westlichen Populationen gefundene Wert von 0,65, aber bei weitem nicht bodenlos.

Schlicht und einfach scheint es die fünf angeblich universellen Dimensionen der Persönlichkeit bei diesem Volk nicht zu geben.

Auch von anderen Stichproben aus Entwicklungsländern wird berichtet, dass das Fünf-Faktoren-Modell dort nicht oder nur schwer repliziert werden konnte (McCrae et al., 2005).

Gurven et al. (2013) diskutieren kurz die möglichen Erklärungen dieses Ergebnisses. Die Ausprägung von Persönlichkeitseigenschaften scheint weit stärker von den Lebensumständen abzuhängen als man bislang annahm. Dies deckt sich auch mit der Haltung der Verhaltensanalyse zum Thema „Persönlichkeit“. „Persönlichkeit“ ist die Summe der Tendenzen, sich auf eine bestimmte Art verhalten. Diese Tendenzen werden durch die Lernerfahrungen, die eine Person im Lauf ihres Lebens macht, geformt. Zwei Personen, die unter sehr unterschiedlichen Bedingungen aufgewachsen sind und leben, werden andere Verhaltenstendenzen entwickeln.

Vermutlich auch extravertiert: Starke Männer

Die relative hohe „Erblichkeit“ der fünf Faktoren lässt sich auch durch andere Faktoren erklären, die nichts mit einer Vererbung von Persönlichkeitsmerkmalen im engeren Sinne zu tun haben. So weiß man, dass Männer, die stärker und attraktiver als der Durchschnitt der Bevölkerung sind, im Allgemeinen auch extravertierter sind (Lukaszewski & Roney, 2011). Wer stark und attaktiv ist, hat einfach größere Chancen, mit „extravertiertem“ Verhalten erfolgreich zu sein (z. B. von der menschlichen Umwelt so akzeptiert zu werden). Die „Erblichkeit“ der Persönlichkeitseigenschaften ist in diesem Fall nur ein Nebenprodukt der Erblichkeit von Körpermerkmalen. Im Übrigen gilt diese Erklärung der „Erblichkeit“ mentalistischer Konstrukte (wie „Persönlichkeitseigenschaften“ es sind) auch für die „Intelligenz“ und für zahlreiche psychische Erkrankungen, die ebenfalls hochgradig erblich sein sollen. Man vergleiche hier meine Ausführungen auf verhalten.org: Wer z. B. besonders hässlich ist, hat öfter psychische Probleme als normal aussehende Menschen; Mädchen, die besonders früh reif werden, machen (im Schnitt) früher sexuelle Erfahrungen und werden auch deshalb (im Schnitt) später häufiger psychisch krank . Das Aussehen und der Zeitpunkt der sexuellen Reife werden vor allem von den Genen bestimmt. Auch dies erzeugt die hohe „Erblichkeit“ psychischer Störungen (ein rein statistisches Maß). Ein eigenes „Gen für“ Depressionen oder „sexuelle Devianz“ braucht es dafür nicht.

Noch eine Anmerkung: Selbst wenn Persönlichkeitseigenschaften universell wären, folgte daraus nicht notwendigerweise, dass sie erblich sind. Auch universelle Kontingenzen in der Lebensgeschichte aller Menschen können bewirken, dass wir uns alle in bestimmert Weise ähneln. Wir leben alle auf dem selben Planeten.

Literatur

Bouchard, Thomas J. & McGue, Matt. (2003). Genetic and environmental influences on human psychological differences. Journal of Neurobiology, 54(1), 4-45. PDF 493 KB

Benet-Martínez, V. & John, O. P. (1998). Los Cinco Grandes across cultures and ethnic groups: Multitrait-multimethod analyses of the Big Five in Spanish and English. Journal of Personality and Social Psychology, 75, 729-750.

Gurven, Michael; von Rueden, Christopher; Massenkoff, Maxim; Kaplan, Hillard; Vie, Marino Lero. (2013). How universal is the Big Five? Testing the five-factor model of personality variation among forager-farmers in the Bolivian amazon. Journal of Personality and Social Psychology, 104(2), 354-370.

King, J. E. & Figueredo, A. J. (1997). The five-factor model plus Dominance in chimpanzee personality. Journal of Research in Personality, 31, 257-271.

Lukaszewski, A. W. & Roney, J. R. (2011). The origins of extraversion: Joint effects of facultative calibration and genetic polymorphism. Personality and Social Psychology Bulletin, 37, 409-421.

McCrae, R. R.; Terracciano, A. & 78 Members of the Personality Profiles of Cultures Project. (2005). Universal features of personality traits from the observer’s perspective: Data from 50 cultures. Journal of Personality and Social Psychology, 88, 547-561.

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