Monatsarchiv: November 2014

Warum Skinner kein kognitiver Psychologe sein wollte

Die „kognitive Psychologie“ begeht einige Denkfehler, so B. F. Skinner in einem Artikel von 1977.

Auch kognitive Psychologen untersuchen die Zusammenhänge zwischen Umweltereignissen und Verhalten, aber sie beschäftigen sich damit nie direkt, sondern sie erfinden innere Stellvertreter, die der Gegenstand ihrer Wissenschaft sind.

Ein Beispiel: Der Hund in Pavlows Experiment hört eine Glocke und wird dann gefüttert. Wenn das oft passiert, speichelt der Hund, sobald er die Glocke hört. Die übliche mentalistische Erklärung hierfür lautet, dass der Hund die Glocke mit dem Futter „assoziiert“. Aber es war Pavlow, der sie „assoziiert“ hat. Der Hund speichelt, wenn er die Glocke hört, mehr nicht. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass er das tut, weil er über interne Stellvertreter der von Pavlow arrangierten Kontingenzen verfügt.

Menschen sollen Gedanken miteinander assoziieren. Wenn wir schon mal Zitronen gegessen haben, riechen wir evtl. Zitronen, wenn wir sie sehen. Wir tun das aber nicht, weil wir diese beiden Reize assoziieren, sondern weil sie in der Natur assoziiert sind. Wenn uns zum Wort „Haus“ (house) das Wort „Heim“ (home) einfällt, dann nicht, weil wir diese zwei Worte assoziieren, sondern weil sie im üblichen Sprachgebrauch assoziiert sind.

Tauben können lernen, auf Plättchen zu picken, auf denen „weiß“, „rot“, „grün“ usw. steht. Die Taube sieht durch eine Scheibe verschiedenste Objekte, die verschiedene Farben haben. Man kann es nun so arrangieren, dass die Taube immer dann Futter erhält, wenn sie auf das Plättchen mit der Aufschrift „weiß“ pickt, wann immer ein weißes Objekt zu sehen ist, auf „rot“, wenn das Objekt rot ist usw. Hier war es der Experimentator, der die Umwelt der Taube so arrangiert hat, dass sie das beschriebene Verhalten zeigte. Kinder lernen auf ganz ähnliche Weise, Farben zu benennen. Kognitive Psychologen sagen hier, dass die Kinder lernen zu „abstrahieren“ oder dass sie ein „Konzept“ entwickeln.

Verhalten ändert sich, weil sich die Kontingenzen ändern, nicht weil sich ein „mentales Konzept“ entwickelt.

Ähnlich verhält es sich mit der Erfindung innerer Ursachen von Verhalten. Vielleicht verhält sich die Taube ja so, weil ihr einfach danach ist, sich so zu verhalten. Aber was wäre der nächste Schritt, wenn man das Verhalten erklären möchte? Die Kontingenzen, denen das Tier unterliegt, sind noch dieselben. Was wäre gewonnen durch die Einführung eines inneren Prozesses? Die „Gefühle“ der Taube und das Verhalten wären noch immer dasselbe.

Die Besonderheiten des operanten Verhaltens verlocken allerdings zur Einführung innerer mentaler oder kognitiver Prozesse. Bei einem – unkonditionierten oder konditionierten –Reflex wird das Verhalten eindeutig durch einen bestimmten Reiz ausgelöst. Nicht so beim operanten Verhalten. Verhalten, das positiv verstärkt wurde, tritt in Situationen auf, die zwar prädisponieren, aber nicht zwingen. Das Verhalten tritt nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit auf und dieses scheinbare Nicht-Verursacht-Sein verführt zur Einführung einer inneren Ursache, eines kognitiven oder mentalen Prozesses als unmittelbarem Auslöser.

Noch schwerwiegender ist die „Verinnerlichung“ der Umwelt. Die alten Griechen erfanden den „Geist“, um zu erklären, wie wir die Welt wahrnehmen können. Mittlerweile erscheint es als selbstverständlich, dass wir nur ein Abbild der Welt und nicht die „wirkliche Welt“ kennen. Das ist insoweit wahr, als wir uns täuschen können. Diese Aussage setzt aber zugleich voraus, dass „wir“ irgendwo im Inneren eines Körpers angesiedelt sind, der in Kontakt zur „wirklichen Welt“ steht. Auch wird gerne angenommen, dass „Wissen“ bedeutet, mentale Kopien der wirklichen Dinge herzustellen. Wie aber erkennen wir diese Kopien? Machen wir auch davon Kopien? Einige kognitive Psychologen erkennen, dass Wissen ein Vorgang ist, aber sie beziehen sich dabei auf andere mentale Stellvertreter. Wissen ist demnach ein System von Propositionen. Doch Propositionen sind lediglich nach innen verlagerte Kontingenzen.

Dieses Wissen soll in uns gespeichert sein: Wenn wir ein Fußballspiel beobachtet haben, wissen wir, was da passiert ist. Tatsächlich aber sagt das nur aus, dass wir in der Lage sind, zu beschreiben, was bei dem Spiel passiert ist. Unser Verhalten hat sich verändert, aber es gibt keinen Hinweis darauf, dass wir „Wissen erworben“ haben. Wenn irgendetwas gespeichert ist, dann ist es Verhalten. Was man beobachten kann, ist einfach genug: Wir haben eine Verhaltensrepertoire erworben, von dem wir Teile bei bestimmten Gelegenheiten zeigen. Die Metapher des Speicherns und Abrufens geht weit über die beobachtbaren Fakten hinaus. Um auf die oben erwähnte Taube zurückzukommen: Was ist dadurch gewonnen, wenn wir von einer Taube, die auf verschiedene Farben verschieden reagiert, zu einer Taube wechseln, die auf verschiedene Farben in ihrem Geist reagiert?

Indem sie die Umwelt in Form von bewusster Erfahrung und das Verhalten in Form von Absicht, Wille und Entscheidung in den Kopf verlagert haben, konstruierten die kognitiven Psychologen eine Art inneren Doppelgänger des Organismus. Ist dies erst einmal geschehen, überrascht auch nicht mehr die Geschwindigkeit, in der kognitive Prozesse erfunden werden, um Verhalten zu erklären. Skinner zitiert hier das Beispiel von Moliers Arzt, der erklärt, dass der Grund, warum Opium müde mache, darin zu suchen sei, dass Opium eine soporifische (schlafmachende) Natur besitze, die die Sinne betäube.

Warum sollte man diese inneren Prozesse annehmen, wenn durch sie eigentlich nichts gewonnen wird? Eine mögliche Antwort lautet, dass wir ja von diesen inneren, kognitiven Prozessen durch die Introspektion wüssten. – Wissen denn nicht alle denkenden Menschen, dass sie denken? Und wenn die Behavioristen sagen, dass sie das nicht tun, dann offenbaren sie doch eine niedere Geistigkeit oder aber sie tun so, um ihre eigenen Annahmen weiter stützen zu können. – Niemand bezweifelt, dass Verhalten innere Prozesse beinhaltet. Die Frage ist aber, wie gut man sie durch Introspektion erkennen kann. Selbsterkenntnis wird nur möglich, wenn sprachliches Verhalten vorhanden ist.

Der Umstand, dass die „kognitiven Prozesse“ als innerlich angenommen werden, verführt dazu, sie als näher an der Physiologie zu betrachten als die Kontingenzen, die von den Verhaltenswissenschaftlern untersucht werden. Aber nur dadurch, dass sie innerhalb der Haut angesiedelt werden, sind sie nicht übereinstimmend mit den physiologischen Vorgängen. Andererseits sollte man bedenken, dass die Faszination für ein vorgestelltes inneres Leben dazu geführt hat, dass die beobachtbaren Fakten vernachlässigt werden. Wir beschreiten den falschen Pfad, wenn wir annehmen, dass es unser Ziel ist, die „Herzen und Geister der Menschen“ – anstatt der Welt, in der sie leben – zu ändern.

Literatur

Skinner, B.F. (1977). Why I am not a cognitive psychologist. Behaviorism, 5, 1-10.

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Eingeordnet unter Kritik, Psychologie, radikaler Behaviorismus, Verhaltensanalyse

Wenn man miteinander redet, verhält man sich verantwortlicher

Ob sich Menschen egoistisch oder altruistisch entscheiden, hängt weniger davon ab, ob andere ihre Entscheidung mitbekommen, sondern davon, ob sie mit den anderen Menschen in Kontakt treten.

Borba et al. (2014) ließen ihre Versuchspersonen an einer Aufgabe arbeiten, bei der sie sich letztlich zwischen zwei Alternativen entscheiden mussten. Entschieden sie sich für Variante 1, so hatte dies für sie selbst unmittelbar positive Konsequenzen, für die Gruppe aber langfristig negative Konsequenzen – eine impulsive, egoistische Wahl. Entschieden sie sich für Variante 2, so führte dies für sie selbst unmittelbar zu nur wenigen positiven Konsequenzen, für alle Gruppenmitglieder zusammen aber langfristig aber zu mehr positiven Konsequenzen – ein Wahl, die man als „ethische Selbstkontrolle“ bezeichnen könnte.

Borba et al. (2014) variierten die Bedingungen, unter denen die Versuchspersonen an der Aufgabe arbeiten und sich letztlich entscheiden mussten.

  1. Wenn jede Versuchsperson allein wählen konnte, entschied sie sich fast ausschließlich egoistisch impulsiv.
  2. Saßen die Versuchspersonen zusammen vor der Aufgabe, konnten reden und sahen, für welche Alternative sich die anderen Versuchspersonen entschieden, so trafen sie meist die Wahl, die ethische Selbstkontrolle zeigte.
  3. Saßen sie zusammen an der Aufgabe und konnte reden, hatten aber keine Informationen über die Entscheidungen der anderen, entschieden sie sich ebenfalls häufig für die ethische, Selbstkontrolle zeigende Alternative.
  4. Zuletzt saßen die Versuchspersonen zusammen an der Aufgabe, konnten aber nicht miteinander reden, jedoch sehen, wie sich die anderen Versuchspersonen entschieden. Hier entschieden sich wieder viele Versuchspersonen impulsiv und egoistisch.

Die sprachliche Interaktion scheint für die Wahl, ob man sich egoistisch und impulsiv oder altruistisch und beherrscht verhält, entscheidend zu sein. Der Umstand, dass man selbst die Entscheidung der anderen sehen kann (und diese die eigene Entscheidung), scheint dagegen wenig Einfluss auf verantwortungsvolles Handeln zu haben.

Literatur

Borba, Aécio; Rodrigues da Silva, Bruno; dos Anjos Cabral, Pedro Augusto; Bentes de Souza, Lívia; Leite, Felipe Lustosa & Tourinho, Emmanuel Zagury. (2014). Effects of exposure to macrocontingencies in isolation and social situations in the production of ethical self-control. Behavior and Social Issues, 23, 5-19. PDF 575 KB

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