Die Aktivierung des Betroffenen ist entscheidend für die Behandlung von Depressionen. Die Veränderung der „kognitiven Strukturen“ scheint dagegen unwirksam bis unnütz zu sein.
„Es ist ein Irrtum, zu meinen, wir litten an unseren Gefühlen. Wir leiden an den mangelhaften Verstärkungskontingenzen, die für unsere Gefühle verantwortlich sind“ (Skinner, 1987, S. 154, Übersetzung CB).
Depressionen sind die häufigste psychische Erkrankungen überhaupt. Als wenigstens zum Teil erfolgreich in der Behandlung von Depressionen haben sich u. a. die kognitive Verhaltenstherapie (Cognitive Behavior Therapy, CBT), die kognitive Therapie (Cognitive Therapy, CT), die Verhaltenstherapie (Behavior Therapy, BT) und die interpersonale Therapie (IT) erwiesen (Cullen et al., 2006).
Verhaltensanalytiker betrachten Depressionen als Verlust von oder Mangel an verhaltenskontingenter positiver Verstärkung (vgl. auch hier). Das bedeutet, vereinfacht ausgedrückt, wer durch seine Handlungen keine positive Verstärkung erlangt, wird depressiv. Dieser Zustand wird oft durch aversive Lebensereignisse ausgelöst, die zum Verlust von Verstärkungsmöglichkeiten führen (z. B. den Tod des Partners oder den Verlust an körperlicher Leistungsfähigkeit). Menschen, die an Depressionen leiden, tun also selten etwas, dass ihnen Spaß macht. Dafür tun sie häufig etwas, um unangenehmen Ereignissen zu entgehen. Anders ausgedrückt: Ihr Verhalten wird vor allem von negativer Verstärkung bestimmt.
Die Verhaltensaktivierung (Behavioral Acitvation, BA) ist eine Therapie auf verhaltensanalytischer Basis. Sie geht zurück auf eine Untersuchung von Jacobson und anderen (1996), die (entgegen ihrer eigentlichen Erwartung) festgestellt hatten, dass eine reine verhaltensorientierte Form der kognitve Verhaltensthearpie (CBT) genauso effizient ist wie die komplette CBT (auch bis zu zwei Jahre nach der Behandlung, vgl. Gortner et al., 1998). Das Ziel der BA ist es, eine angemessene Verteilung der Verstärkung im Leben des Patienten zu erreichen. Seit Jacobson und Kollegen (1996) wurde die BA deutlich weiter entwickelt hin zu einer ideographischen und funktional-analytischen Therapie.
Die kognitive Verhaltensthearpie (CBT) und die kognitive Therapie (CT) gehen auf einen Aspekt der sogenannten kognitiven Wende zurück, nach dem es nicht genügen sollte, „nur“ das Verhalten zu ändern, sondern dass eine Veränderung der „depressiven Schemata“ und „kognitiven Strukturen“ erforderlich ist. Mittlerweile gilt die CBT als der „beste Standard“ für die Behandlung von Depressionen. Doch die Studien von Jacobson und anderen (1996) stellten das Dogma der CBT, dass die depressiven Schemata und kognitiven Strukturen „direkt“ behandelt werden müssten, in Frage.
Die Verhaltensaktiviationstherapie (BA) ist eine wesentlich sparsamere, schnellere und kostengünstigere Therapie als die komplette CBT. Sie ist auch sowohl für den Therapeuten als auch für den Klienten leichter zu bewältigen als die CBT. Die Aktivationstherapie (behavioral activation) wurde als ein fundiertes Verfahren zur Behandlung von Depressionen von der amerikanischen Psychologenvereinigung APA anerkannt (Mazzucchelli et al., 2009). In einer randomisierten, placebokontrollierten Studie (RCT) wurde festgestellt, dass die Aktivationstherapie genauso wirksam ist wie eine Medikation mit Antidepressiva und während der akuten Behandlung wirksamer als die als Gold-Standard geltende kognitive Verhaltenstherapie (CBT). In der Prävention von Rückfällen war sie im Beobachtungszeitraum von zwei Jahren der KVT vergleichbar und nachhaltiger und kosteneffizienter als die Medikation mit Antidepressiva (Dobson et al., 2008). Einen Überblick über die Forschung zur Wirksamkeit der Aktivationstherapie geben mehrere Metaanalysen (Cuijpers et al. 2007, 2008; Ekers et al., 2007, 2014; Mazzucchelli et al., 2009, 2010). Diese Studien und Metaanalyse zeigen durchgehend, dass die Effektstärke der Verhaltensaktivierung mit der der kognitiven Therapie vergleichbar oder ihr überlegen war. Zudem gibt es Hinweise, dass die Verhaltensaktivierung seltener zu Therapieabbrüchen führt. In einer Studie zeigte sich die Verhaltensaktivierung auch der Pharmakotherapie als überlegen, da sie seltener zu Rückfällen führte (vgl. auch Sturmey, 2009). Verhaltensaktivierung wird mittlerweile vielfältig eingesetzt, insbesondere bei Populationen, die bei der CBT weniger Erfolgsaussichten haben (Lehmann & Bördlein, 2020; Martin & Oliver, 2019; Martínez-Vispo et al., 2018).
Literatur
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Martínez-Vispo, C., Martínez, Ú., López-Durán, A., Fernández Del Río, E., & Becoña, E. (2018). Effects of behavioural activation on substance use and depression: a systematic review. Substance abuse treatment, prevention, and policy, 13(1), 36-36. https://doi.org/10.1186/s13011-018-0173-2
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Mazzucchelli, Trevor G.; Kane, Robert T. & Rees, Clare S. (2010). Behavioral activation interventions for well-being: A meta-analysis. The Journal of Positive Psychology, 5(2), 105-121. https://doi.org/10.1080/17439760903569154
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