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Der Korrumpierungseffekt – Ein Mythos und ein Phantom

Der Korrumpierungseffekt sagt voraus, dass Verstärker das sogenannte intrinsische Interesse an einer Tätigkeit zerstören können. Verstärkt man ein Verhalten und hört dann wieder damit auf, dann zeigt die Person das Verhalten anschließend seltener als vor Beginn der Verstärkung. Das Problem mit dem Korrumpierungseffekt ist, dass es ihn nicht gibt. Und wenn es ihn doch geben sollte, dann tritt er nur in den Fällen ein, in denen man üblicherweise auch gar keine Verstärker einsetzt.

Zum Korrumpierungseffekt habe ich mich schon ausführlich geäußert. Eine skeptische Betrachtung der Datenlage entlarvt ihn als einen Mythos (Cameron et al., 2001). Auch das in der Laienpsychologie der Fußball- und Kommunikationstrainer zwar sehr populäre, vom Standpunkt der Logik her betrachtet aber sehr verquere Konzept der intrinsischen Motivation wird hier analysiert.

Mehrere Metaanalysen konnten zeigen, dass der sogenannte Korrumpierungseffekt nur unter sehr speziellen Bedingungen auftritt. Ursprünglich wurde der Einsatz von Verstärkern generell als schädlich angesehen (Bem, 1967; Deci 1971). Mittlerweile wird nur noch angenommen, dass der Einsatz von Verstärkern bei ursprünglich sehr hohem Interesse dazu führt, dass das Interesse nach dem Absetzen des Verstärkers abnimmt. Bei den Studien, die dies zu belegen versuchen, gibt es mehrere methodische Schwachpunkte: Unter anderem wird in der Regel nicht vorab geklärt, ob der mutmaßliche Verstärker, der zum Einsatz kommen soll, auch tatsächlich ein Verstärker ist (oder nur eine „Belohnung“). Zudem werden meist nur zwei bis drei Messungen durchgeführt, nämlich das Ausmaß des Interesses vor und nach dem Einsatz eines Verstärkers, evtl. auch während des Verstärkereinsatzes. Der Korrumpierungseffekt im engeren Sinne – bei ursprünglich hoher „intrinsischer“ Motivation – ist also zumindest zweifelhaft. Abgesehen von allem anderen: Wenn es tatsächlich so wäre, dass jemand, der schon ein hohes Interesse an einer Tätigkeit hat, evtl. vorübergehend weniger Interesse daran hat, wenn er eine Zeit lang für diese Tätigkeit belohnt wurde, dann frage ich mich, wo der Schaden ist. Üblicherweise versuchen Verhaltensanalytiker nicht, Verhalten, dass natürlicherweise schon häufig ausgeführt wird, noch zusätzlich zu verstärken. Wozu auch? Sollte es den Korrumpierungseffekt im engeren Sinne tatsächlich geben, wäre er bedeutungslos.

Gänzlich und unleugbar gescheitert ist der Korrumpierungseffekt im weiteren Sinne: Die schädliche Auswirkung von Verstärkern bei einem ursprünglich geringen bis mittleren Interesse. Und gerade hier liegt ja das Haupteinsatzgebiet von Verstärkern. Im Normalfall werden Verstärker dazu eingesetzt, ein Verhalten, das (aus irgendeinem Grund und für irgendeinen Zweck) „natürlicherweise“ nicht häufig genug auftritt, zu verstärken – d. h. seine Frequenz zu erhöhen.

Die scheinbar bestätigenden Befunde zum Korrumpierungseffekt sind eher mit dem bekannten Phänomen der Extinktion oder Löschung vereinbar als mit dem einer Schädigung der „intrinsischen Motivation“. Wird ein Verhalten, das bislang von positiver Verstärkung aufrechterhalten wurde, plötzlich nicht mehr verstärkt, sinkt die Rate des Verhaltens. D. h. das Verhalten wird „auf Extinktion gesetzt“ oder „gelöscht“. Zudem muss man noch den Regressionseffekt in Rechnung stellen: Auf Extremwerte (z. B. sehr hohe Werte für das Interesse an einer Tätigkeit) folgen in der Regel niedrigere Werte (die sich dann als Abnahme des Interesses infolge des Absetzens der Verstärkung interpretieren lassen).

Sehr empfehlen kann  ich hier noch mal das Buch „The Power of Reinforcement“ von Stephen Ray Flora, in dem die ganze Korumpierungseffektgeschichte sehr schön auseinandergenommen wird. Das Buch habe ich hier schon mal besprochen.

Literatur

Bem, D. J. (1967). Self-perception. An alternative interpretation of cognitive dissonance phenomena. Psychological Review, 74, 536-537.

Cameron, J.; Banko, K. & Pierce, W.D. (2001). Pervasive negative effects of rewards on intrinsic motivation. The myth continues. The Behavior Analyst, 24(1), 1-44. PDF 275 KB

Deci, E. L. (1971). Effects of externale mediated rewards on intrinsic motivation. Journal of Personality and Social Psychology, 18, 105 – 115.

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