Dawkins (1976) prägte den Begriff des „Mems“. Das Mem ist eine Metapher für die Übertragung kultureller Information durch eine Art Träger, ähnlich wie das Gen ein Träger der Erbinformation ist. Diese Idee hat mittlerweile ein Eigenleben entwickelt, eine eigene Art Wissenschaft, die „Memetik“ beschäftig sich damit, wie diese angenommenen Replikatoren kultureller Information funktionieren, wie sie sich verbreiten usw. Dabei wird den Memen eine kausale Rolle bei der Verursachung von Verhalten zugeschrieben. Im Rahmen der Memetik wird z. B. bisweilen auch angenommen, dass es sich bei (vielen) Religionen um memetische Viren handelt. Doch spielt sich all das im Raum des metaphorischen Denkens ab. Niemand hat bislang das reale Gegenstück zum Konstrukt Mem gefunden, so wie man die Chromosomen als die realen Träger der (in Genen codierten) Erbinformation identifiziert hat.
Simon und Baum (2011) kritisieren das Konzept des Mems aus behavioristischer Sicht. Statt von Memen zu sprechen, kann man auch gleich das beschreiben, was hinter der Idee des Mems steckt, nämlich Zusammenhänge zwischen Verhaltensweisen und Umweltereignissen die für Vorhersagen genutzt werden können.
Meme lassen sich in verschiedener Weise auffassen:
- Als Abstraktionen, im Sinne von mentalen Repräsentationen, Informationen und Ideen
- Als Neurologische Erregungsmuster
- Als Einheiten von Verhalten
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Zwar weisen es die meisten Autoren von sich, doch lässt sich die Nähe des Mem-Konzepts zum Dualismus nicht verneinen. Wenn Meme nicht als Metapher, sondern als real aufgefasst werden, stellt sich die Frage, wie sie mit dem Körper, der sich letztlich verhält, interagieren. Wer die Texte von Autoren, die Meme als Informationsreplikatoren ansehen, liest, kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Meme verborgene Entitäten in einer geistigen Welt sind, die irgendwie Verhalten verursachen.
So schreibt Dennett (1991), der sich ansonsten vehement gegen den Dualismus ausspricht, dass der Geist geschaffen werden, indem Meme das Gehirn restrukturieren (S. 207). Wenn man kein Dualist ist, wie soll man es dann verstehen, dass Meme das Gehirn restrukturieren? Wenn Dennett damit allerdings nur sagen wollte, dass individuelles Verhalten mit Veränderungen im Gehirn einhergeht, bleibt unklar, was die Einführung des Begriffs Mem zu dieser Erklärung beiträgt. Ebenso klingt die Aussage von Susan Blackmore (1997) sehr dualistisch, dass unsere Gehirne und unsere Geister das Produkt von zwei Replikatoren sind („our brains and minds have been the product of two replicators… but as memetic evolution proceeds faster and faster, our minds are increasingly the product of memes, not genes“, S. 44). An anderer Stelle schreibt sie (1999), es gebe in uns nichts, dass das Tun tue, außer einem Bündel Meme (S. 240). Sie ersetzt lediglich das (von ihr zurecht als „magische“ und „aus dem Nichts entstehende“ Kraft bezeichnete) verhaltensverursachende „Bewusstsein“ durch „Meme“. Die Memetik macht nicht deutlich, was Meme von imaginären Agenten unterscheidet.
Den Dualismus vermeidet man, wenn man Meme als Begriffe auffasst, die sich auf Verhaltensregularitäten beziehen. Zum Beispiel bedeutet der Glaube, dass Inzest falsch ist (ein typisches „Mem“), dass man Inzest vermeidet, sich dagegen ausspricht, ihn bestraft, wenn er vorkommt usw. Die Verhaltensweisen, die wir hier aufzählen, sind real.
Die Aussage, dass Meme (als Ideen) unser Verhalten verursachen, ist ein Beispiel für Mentalismus, die von B. F. Skinner kritisierte Vorstellung, dass es neben den realen Verhaltensweisen weniger oder gar nicht reale geistige Inhalte gebe, die Verhalten verursachen sollen. Allerding führt der Mentalismus sehr leicht zu Pseudo-Erklärungen. So fragt man sich, wenn Meme Verhalten verursachen, was verursacht dann die Meme? Haben Meme wiederum Meme in sich? Das Problem des Homunculi tritt immer dann auf, wenn man Verhalten einem Teil – insbesondere einem verborgenen Teil – der Person zuschreibt, anstatt den Organismus als Ganzes zu betrachten.
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Wenn man dagegen Meme als neuronale Muster auffasst, müsste man zeigen, dass zwei Menschen, die die gleichen Meme haben, auch eine zumindest ähnliche neuronale Erregung zeigen. Außerdem stellt sich die Frage, wie in diesem Fall ein Mem von einer Person auf eine andere übertragen wird. Alles was wir sehen, ist, dass sich erst eine Person und dann eine andere Person auf eine bestimmte Weise verhält.
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Nur Verhalten, das die Umwelt beeinflusst, kann aufgrund seiner Konsequenzen selektiert werden. Eine kulturelle Praxis besteht aus einem bestimmten Verhalten und den Konsequenzen, die diese Verhalten hat, z. B. das Waschen von Lebensmitteln, was zu einer Vermeidung von Krankheiten führt. Oft wird die Konsequenz aber auch sozial vermittelt. Es gibt eine Regel („Wasche die Früchte, bevor du sie isst“), deren Befolgung durch die Zustimmung anderer Personen verstärkt wird.
Alles in allem erschöpft sich die Mem-Debatte in mehr oder weniger geistreichen Analogien. Verhalten kann durch die Annahme von Memen nicht besser vorhergesagt werden als durch die Analyse von Verhaltenskontingenzen.
Literatur
Blackmore, Susan J. (1997). The power of the meme meme. The Skeptic, 5, 43-49.
Blackmore, Susan J. (1999). The meme machine. New York: Oxford University Press.
Dawkins, R. (1976). The selfish gene. Oxford, New York: Oxford University Press.
Dennett, D. C. (1991). Real patterns. Journal of Philosophy, 88, 27-51.
Simon, C., & Baum, W. M. (2011). Expelling the meme-ghost from the machine. An evolutionary explanation for the spread of cultural practices. Behavior and Philosophy, 39/40, 127-144. http://www.behavior.org/resources/727.pdf